Deutschland 9/11, 7500

– Deutschland 9/11 (2021) –

Warum diese ARD Dokumentation – gestern abend um 22:15 in der ARD – für die Mediathek in vier Teile zerschnitten wurde, weiß vermutlich nur Christine Strobl. Für mich ist das jedenfalls ein mehr als deutlicher Hinweis auf die „Dokumentations-Leuchttürme“ mit denen die ARD-Programmdirektorin in der Zukunft ihre neue TV- & Online-Strategie umzusetzen gedenkt. Häppchen machen aber nur selten satt. Das gilt auch für die einzelnen Teile dieser, etwas euphemistisch, „Mini-Serie“ genannten 90minütigen Dokumentation.

Dabei ist der Inhalt des ganzen Filmes tatsächlich nicht verkehrt. Hier werden wenige Fragen beantwortet, ja sie werden erst gar nicht gestellt. Die Interviewer:innen tauchen nicht auf. Dafür eine Auswahl von Zeitzeug:innen, darunter die Frau und Tochter eines getöteten Passagiers eines der Flugzeuge, ein Kapitän der Lufthansa, der deutsche Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, Verantwortliche in Polizei, Staatsschutz und Presse (vor allem in Hamburg) und prominentere Talking-Heads wie Ulrich Wickert, Joschka Fischer, Otto Schily & Tochter Anna, US-Botschafter Coats, Islamwissenschaftler Stefan Weidner, die Tochter des afghanischen Botschafters Tereschkowa Obaid oder die Schriftstellerin/Moderatorin Else Buschheuer und eine Afghanistan-Veteranin der Bundeswehr.

Keine einordnende Analyse also, immerhin aber, auch durch das Format bedingt, etwas relativ glaubwürdige Selbstkritik der Repräsentanten der Sicherheitsbehörden über ihr offensichtliches Totalversagen. Ebenso im Gedächtnis bleibt die Aussage von Außenminister Fischer zur „uneingeschränkten (militärischen) Solidarität“ mit den USA und somit auch die – nicht nur im Angesicht der Entwicklung der letzten Wochen – unglaublich selbstgerechte Rechtfertigung des Krieges in Afghanistan.

Dass auch Otto Schily mit 88 Jahren und selbst nach der drastischen Intervention vom Bundesverfassungsgericht (2006) keine Selbstzweifel hegt und nicht damit aufhören mag, nach neuen und schärferen Mitteln der Überwachungs- und Fahndungswerkzeuge für Polizei und Geheimdienste zu rufen, das nimmt man ihm ab, und bedauert den alten Mann nur noch dafür.

Doch die „personalisierte Nacherzählung“ der Katastrophe aus einer „deutschen Perspektive“ in diesem Format funktioniert – auch und eben weil die Autoren Jan Peter und Daniel Remsperger sich nicht darauf beschränken, den 11. September nachzuerzählen, sondern den Blick auf die ganzen letzten zwei Dekaden weiten und so die Aussagen der Zeitzeug:innen, insbesondere von Fischer und Schily in einen innen- und aussenpolitischen Kontext setzen. Der letzte Teil dieser Dokumentation ist wegen eben dieser Perspektive unbedingt der wertvollste.

Da haben die „Häppchen“ so doch wieder einen Sinn?

„Deutschland 9/11“ – in der ARD-Mediathek verfügbar bis 10.09.2022


– Code 7500 (2019) –

Am 11. September 2001 stieg ich gegen 14:40 in Düsseldorf in einen Airbus der SAS oder der Air-Berlin – an dieses Detail kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Nur ca. eine Stunde später hat die Maschine in Kopenhagen Kastrup aufgesetzt. Bis zum Öffnen der Kabinentür war es nur ein weiterer meiner damals wöchentlichen Flüge ins Büro… und danach war die Welt für uns alle nicht mehr die selbe.

Wenn nun ARTE gestern – am Vorabend des 20. Jahrestag der Anschläge auf NYC, Washington und des Absturzes eines United-Airline Jets in Pennsylvania – einen Schocker über eine Geiselnahme an Bord eines Fluges von Berlin-Tegel nach Paris in das Programm nimmt, dann fällt es schwer da keinen Zusammenhang zu unterstellen.

Das Drehbuch, von Senad Halilbasic und Patrick Vollrath, der in seinem Langfilmdebüt auch Regie geführt hat, mag, wie das Casting, recht schlank gewesen sein. Nur sieben Rollen galt es für ihren Film zu besetzen. Darunter, neben dem Amerikaner Joseph Gordon-Levit auch meine Lieblingsschauspielerin Aylin Tezel, über deren Rolle ich hier kein weiteres Wort verlieren darf, weil das hieße, den Film zu spoilern.

Formell, ein äußerst gelungener Triller, der sich zu 95% der Filmlaufzeit tatsächlich auf einen einzigen – klaustrophobischen – Ort, das enge Cockpit des Airbus 319 bei Nacht, beschränkt – der Rest sind Aufnahmen von Überwachungskameras des Flughafens in Tegel. Bemerkenswert vielleicht, dass keine dieser Kameras das folgende Drama verhindert. Ziemlich nahe an der Realität, soweit!

Ein Kammerspiel also, im wahrsten Sinne des Wortes. Voraussetzung für ein verdichtetes Drama und psychologisches Spiel der Protagonist:innen. Tatsächlich fantastisch, was Regie und vor allem Kamera(s) aus dieser, vielleicht nicht mehr als fünf Quadratmeter großen, Kammer herauszuholen in der Lage waren!

Der Film lohnt sich alleine dafür. Doch wenn sie neben einer, ohne Frage spannenden, Handlung, und den technisch herausragenden Qualitäten dieses Films auch eine weiter- und tiefergehende Motivation für die gezeigte „Action“ erwarten, dann seien sie gewarnt: Hier sind die gezeigten „Islamistischen Extremisten“ doch wieder nur die generischen „Bösen“ – ganz wie die Filmnazis, Filmrussen oder Filmchinesen in den Generationen zuvor. Selbst wenn einem von ihnen (wie auch dem 1. Offizier) eine kleine Backstory aus Berlin-Kreuzberg – und ein Anruf von Mama – zugestanden wurde, findet das Ganze vor einem psychologisch nur leidlich unterkomplex ausgeführtem Hintergrund statt.

Am Ende haben alle verloren.

Aber spannend ist das schon!

„Code 7500“ – in der ARTE-Mediathek verfügbar nur noch bis zum 16.09.2021

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