Update am 12.08.2023
Fast hätte ich auf das alte Schlachtross des deutschen Musikfeuilleton, Professor Diedrich Diederichsen draufgeschlagen, dabei war es aber Detlef (soweit ich weiss, nicht verwandt und nicht verschwägert?) Diederichsen, der in der taz einen Satz schrieb, der mich traf, wie der Blitz den Wanderstab Moses. Und das wegen Robbie Robertson. Denn bei dem bin ich nicht neutral, sondern nehme persönlich.
So schrieb Detlef, nicht Diedrich(!) in seinem recht kurzen Nachruf auf das lange Leben eines der bedeutendsten amerikanischen Musiker – mindestens – des letzten Jahrhunderts: „Während seine Soundtracks, vor allem für Scorsese-Filme, durchaus funktionierten, muss man seine späteren Soloplatten eher als missglückte Versuche deuten, eine neue eigene Stimme zu finden.“ Und da hat er mich dann verloren.
Sie werden in diesen Tagen sowieso anderswo schon alles über Robertson und Bob Dylan, sowie The Band gelesen haben, da beschränke ich mich auf das, was danach kam. Und das, was ich, seit ich später Teenager war, bis heute, selbst mit einem Auge schon die Rente im Blickfeld, aus den Plattengeschäften dieses Landes zu mir nach Hause getragen habe.
Robertson hatte ja tatsächlich weit mehr als nur eine Stimme. Seine Zeit mit und seine Rolle bei „The Band“ mag die erfolgreichste und bedeutsamste Phase seiner langen Karriere gewesen sein. Und durch ihren Einfluss oder die wechselseitige Inspiration durch, mit und für Bob Dylan ist es mit Sicherheit auch die Phase die ihm und „The Band“ ihren Platz im Olymp der Musikgeschichte erspielt hat. Doch für den Künstler war es eben auch „nur“ der Beginn und die Ermöglichung seiner kreativen und ökonomischen Unabhängigkeit. (Alleine von den Tantiemen werden seine Erben noch einige Generationen gut leben.)
Somewhere Down The Crazy River (1987)
Dieses Lied hat mich damals getroffen, wie ein Pfeil, lautlos aus dem Nichts. Und seitdem lebe ich damit. Sommer wie Winter, am Ende eines Tages, mit einem Scotch vor dem Haus sitzend, der untergehenden Sonne folgend… ich weiß nicht, wie ich diesen Stil bezeichnen soll? Imaginatives Songwriting? Cinemascope für die Ohren? Geschenkt! Scorsese hat das Video gemacht. Dafür ist es eher ziemlich durchschnittlich. Ausser natürlich der hinreißenden Maria McKee (Lone Justice). Hier ein gemeinsam geschriebener Song der beiden: Nobody’s Child
Nun war die „Stimme“ Robertsons sicher keine mehr für den Mainstream (damals war das noch MTV), und er war auch niemand, der das endlose Unterwegssein auf Welttourneen als anzustrebende Lebensart besonders geschätzt hätte. Doch auch ohne die permanente kommerzielle Exposition seiner selbst, würde ich, wenn sie mich testen wollten, bei einem Blindtest unter zehn beliebigen Produktionen wohl immer die eine von Robbie Robertson erkennen – eben weil all das trotzdem kulturell wirksam war.
Nehmen sie sein Album, „Music For The Native Americans“ von 1994. Ein Werk, welches, obschon voll im dem Trend der „Weltmusik“ mit welchem zb. die Zeitgenossen Peter Gabriel oder Paul Simon seinerzeit Millionen Platten verkauften, damals wohl nicht exotisch genug für kommerziellen Erfolg war. Und ein wenig unangenehm wohl auch, denn die pure Akzeptanz der „Native Americans“ als „Americans“ war in Nordamerika selbst in progressiven Kreisen noch längst nicht wirklich überall im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Es ist noch immer ein langer Weg den Fluß der Geschichte entlang. Bei Robertson allerdings war es keine „Mission“ sondern als Sohn einer Mohawk-Mutter nichts anderes als eine sehr persönliche Angelegenheit dieses zu ändern.
Robbie Robertson & Ulali Mahk Jchi – Heartbeat Drum Song (1994)
Vier Jahre (1998) später hat Robertson dann alle kulturellen Kreise geschlossen und mit „Contact from the Underworld of Redboy„ ein Album vorgelegt, welches tatsächlich alle musikalischen Einflüsse seines Lebens („It’s in the blood, I can’t let go…“) und die modernsten Produktionsmittel eines Studios miteinander in Einklang zu bringen vollbracht hat. Geholfen haben dabei in der Produktion unter anderem Zeitgenossen wie Howie B, DJ Premier, Marius de Vries (Björk, Massive Attack).
Sein letztes Soloalbum, „Sinematic“ von 2019 sollte dann nochmal einen ganz anderen (Lebens-)Kreis schließen. Denn mit Van Morrison, der schon 1976 beim Abschied von The Band zum The Last Walz auf der Bühne stand, entstand das Duett „I hear you paint houses“… ein Lied, das natürlich ganz von den charakteristischen Stimmen dieser beiden alten Männer lebt, die ich mein ganzes Leben lang in mich aufgesogen und geliebt habe. (Ja, ich weiß, Van Morrison ist tatsächlich für viele ein zertifiziertes Arschloch. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.)
Das schönste Geschenk der letzten Jahre hat Robbie Robertson uns und sich selbst aber sicherlich mit seiner Beteiligung an einem Projekt der Playing For Change Stiftung gemacht. Denn wenn sie sehen und hören, wie Musiker:innen aus nahezu allen Kulturkreisen und geographischen Ecken unseres Planeten seinen Song „The Weight“ und sein Lebenswerk gemeinsam feiern, dann sind sie hoffentlich gerührt und dankbar, einen großen Teil ihrer Lebenszeit mit diesem großen Künstler geteilt haben zu dürfen.
The Weight – Playing for Change (2019)
Hier gibt es das sehenswerte „Making Of“: Teil 1 – Teil 2
Farewell, Mr. Robertson, and „Thank you for the music“.
Update am 12.08.
Wenn es ARTE nicht gäbe, dann müssten wir es wohl erfinden. Seit heute gibt es in der Mediathek den Dokumentarfilm (1994) von David Fincher (Seven, Fight Club, Benjamin Button…) anlässlich der Aufnahme von Robbie Robertson und The Band in die Rock’n’Roll Hall of Fame: „Von The Band“ Zur „Hall Of Fame“… https://www.ARTE.tv/de/videos/006685-000-A/robbie-robertson/ (verfügbar bis 09.11.2023)
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