– Eine Mediathekperle bei der ARD –
Die Welt ist mit mehr Konflikten, Kriegen und Terror beschäftigt, als ein durchschnittlich politisch interessierter Mensch verarbeiten kann. Da bleibt es nicht aus, das der neueste Schrecken den gerade erst geschehenen schon wieder überlagert. In der Ukraine ist seit über 600 Tagen Krieg. Der Überfall der Hamas auf Israel ist auch schon sechs Wochen her – und noch eskaliert die Öffentlichkeit über den Folgen und Gegenreaktionen.
So viele sind gestorben
Hier zitiere ich die von mir sehr verehrte Frau Berg. Vor einigen Minuten erst gelesen und auf den Kontext passend, wie von ihr simultan souffliert:
Eine Katastrophe ist geschehen. Luft anhalten. Bis 100 zählen dann – ziehen die erregten Medien weiter? Die Aufmerksamkeit wendet sich etwas anderem zu. Dem Wetter. Dem Winter, einer anderen Katastrophe, einem anderen Leid. Der Moment der Anteilnahme scheint vorüber. Der Moment, da sich Menschen in andere Menschen fühlen können, in ihr Leid, ihr bodenloses Erstarren, in den Moment, in dem die Welt jener, die Geliebte verloren haben, sich nicht mehr dreht. Grau geworden ist, dumpfes Rauschen.
Via @SibylleBerg : Tacheles – Das jüdische Wochenmagazin, 17.11.2023
Und jetzt mal ehrlich: Wer hat denn bei uns heute noch, zum Beispiel den 11. September 2001 auf dem Zettel? Wer erinnert sich noch an die 20 Jahre Krieg im Irak und Afghanistan? Und das war ja tatsächlich sozusagen „erst gestern„…
Der Krieg gegen den Terror
Die „Herstellung von Erinnerung“ ist eine der wichtigsten Rollen der Kultur. Und, ob wir es wollen, oder nicht, der Einfluß von Filmen auf unser kollektives Gedächnis ist größer, als uns häufig bewußt ist. So werden wir mitunter manipuliert, mitunter werden wir aufgeklärt und mitunter erinnert.
Der von den USA geführte „Krieg gegen den Terror“ ist noch keineswegs vorbei. Er führt noch jeden Tag zu neuen Opfern. Und seien es das Recht und die Würde der Menschen, die seit Jahrzehnten hinter Gittern sitzen, ohne jemals ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen zu haben, oder von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden zu sein.
Guantanamo – Die historische Schande
Weil die ARD nun für sieben Tage den Film „Der Mauretanier“ (2021) in das Programm der Mediathek aufgenommen hat, ist das eine gute Gelegenheit sich daran zu erinnern, dass noch immer rund 30 Menschen in Guantanamo Bay, einem exterritorialen Gefängnis der USA auf ihrem Millitärstützpunkt auf Cuba festgehalten werden.
Es ist, soviel sei verraten, eigentlich kein klassisches Gerichtsdrama. Es ist weit mehr. Spannung vermittelt die wahre und verstörend realistische Geschichte und ein wirklich ganz hervorragender Cast. Und sowohl die drastische Realitätsnähe der Vorgeschichte als auch die im Prozess verhandelte Folter und menschenverachtende Behandlung des Angeklagten Mohamedou – macht den Film zutiefst erinnerungswürdig.
Um so mehr er uns auch an die Schuld an den fortwährenden und elementaren Menschenrechtsverletzungen erinnert, die alle US-Administrationen von Bush jun., über Obama, Trump, bis hin zu Biden tragen. „Gitmo“ ist bis heute eine Realität, die wir unter keinen Umständen vergessen dürfen.
Nicht zu Unrecht hat Hollywood Veteranin Jodie Foster für ihre Darstellung einer Anwältin einen weiteren Golden Globe für ihre Sammlung entgegen nehmen dürfen. Ihr Partner, Benedict Cumberbatch, hier ein am System zweifelnder Ankläger des US-Militärs, steht ihrer Leistung nicht im Geringsten nach.
Meine größte Bewunderung gilt aber dem Haupdarsteller Tahar Rahim, der sich für die Rolle des Gefangenen, des Folteropfers und Angeklagten sichtlich nicht geschont hat. Ich kannte ihn zuvor nur aus der niedlichen französischen Sozialkomödie „Heute bin ich Samba„, die ich damals sehr gemocht habe. Wo dort allerdings in Rahims kleinerer Sidekick-Rolle noch nichts zu ahnen war, von dem was er im dann im „Mauretanier“ zu demonstrieren wusste.
Sehen sie sich das an. Sie haben nur 7 Tage Zeit sich zu erinnern!
Der Mauretanier – verfügbar in der ARD-Mediathek, bis zum 23.11.2023
UPDATE 26.11.2023:
Der Mauretanier – wurde durch eine TV Wiederholung verlängert bis zum 02.12.2023
Warum sich dafür aber der Link in die ARD-Mediathek ändern musste, wissen nur die hochqualifizierten Administrator:innen des hochkomplexen Streamingangebotes… mir bleibt derlei ein Mysterium.
Spielfilm, USA, UK, 2021
Regie: Kevin Macdonald, Buch: Michael Bronner (nach dem Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi)
Mit: Tahar Rahim, Benedict Cumberbatch, Jodie Foster, Shailene Woodley, Zachary Levi.
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