Mit „Liebe, D-Mark und Tod“ hat Cem Kaya eine Dokumentation über türkische Musik in Deutschland gedreht. Im Interview erzählt er, warum sie – trotz goldener Schallplatten – in der BRD kaum Beachtung fand. (Interview: Michael Brake)
fluter.de: Herr Kaya, in „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ zeichnen Sie die Geschichte türkischer und kurdischer Musikkultur in Deutschland ab den 1960ern nach. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?
Cem Kaya: Auslöser war die Compilation „Songs of Gastarbeiter“ aus dem Jahr 2013, zusammengestellt von İmran Ayata und Bülent Kullukcu. Die zwei haben diese Musik für viele überhaupt erst wieder ins Bewusstsein gerufen, auch in meins. Denn das allgemeine Bild des „Gastarbeiters“ zeigte ihn ja immer als malochenden, als leidenden Menschen. Freizeit, Unterhaltung, Vergnügen – so was fand medial kaum statt. Das war gewissermaßen für uns Einwanderer nicht vorgesehen, weil wir hier Arbeitsbienen sein sollten, Knechte der deutschen Wirtschaft. Dabei gibt es eben diese ganz andere Seite von migrantischem Leben in Deutschland. Und die ist auch bunt, sie ist auch fröhlich.
Eine Kultur, von der die deutsche Mehrheitsgesellschaft wenig mitbekommen zu haben scheint.
Nein, denn diese Musiker wurden halt nicht zu „Wetten, dass ..?“, zu „Dalli Dalli“ oder in die anderen großen westdeutschen Unterhaltungsshows der damaligen Zeit eingeladen. Die waren nicht präsent, und entsprechend hat man sich selbst auch immer sehr unterrepräsentiert gefühlt. Wenn ich meinen Freunden Ende der Achtziger, als ich so 12, 13, 14 war, türkische Musik vorgespielt habe, haben die die Nase gerümpft: „Was ist das denn? Wir verstehen die Texte nicht.“ Und ich habe gesagt: „Ja, aber bei Michael Jackson verstehst du ja auch die Texte nicht. Also: Come on!“
Der Film wird getragen von Aufnahmen aus den 60er-, 70er-, 80er-Jahren. Es sind tolle Bilder von Hochzeiten, von Konzerten, von Fernsehshows, aber auch von Einkaufspassagen, von Streiks oder von medizinischen Untersuchungen bei den allerersten Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Wo haben Sie das ganze Material her?
Wir durften die Archive der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nutzen, und das war wirklich ein Riesenfund, das hat mich selber sehr überrascht, wie viel es da gibt. Ein wichtiger Teil aus diesem Archivschatz waren die sogenannten Gastarbeiter-Sendungen, also Magazine, die sich gezielt an Italiener, Griechen, Spanier und eben auch Türken richteten. Beim WDR gab es ab 1965 „Ihre Heimat, unsere Heimat“, beim ZDF den „Brief aus der Türkei“ und „Nachbarn in Europa“. Da gab es dann Nachrichten aus der Türkei, man hatte so einen sozialen Teil – wie beantrage ich Kindergeld, wie kommt mein Kind aufs Gymnasium? –, und der dritte Teil der Sendung war immer Kultur und Musik.
Als musikalisches Medium spielen im Film Kassetten eine tragende Rolle. Warum waren sie so wichtig?
Ganz einfach: Du kannst sie im Auto hören. Man darf nie vergessen, Migration bedeutet Mobilität. Und man ist ja in den Sommerurlaub in die Türkei mit der Großfamilie nicht geflogen, das konnte man sich gar nicht leisten. Also hat man den Ford Transit vollgepackt, ist drei Tage gefahren, und unterwegs musste man ja irgendwie unterhalten werden. Kassetten waren außerdem billig, es gab mehrere große türkische Independent-Labels, die in Deutschland Kassetten produziert, aufgenommen und vertrieben haben. Wie Türküola aus Köln, die haben Millionen verkauft. Oder Uzelli aus Frankfurt, die hatten ein Patent auf eine hitzeresistente Kassette. Damit sie auf dem Weg in den Sommerurlaub im aufgeheizten Auto nicht kaputtgeht.
Was sind die Themen der Lieder, die in Ihrem Film vorkommen?
Wenn man sich das als Ganzes anschaut, von den Songs aus den Sechzigern, als die ersten Arbeiter hierherkamen, bis später zum Hip-Hop, dann ist der rote Faden sicher die Auflehnung gegen Diskriminierung und Rassismus. Der allererste türkische Barde, der hier in Deutschland berühmt wurde, war Asik Metin Türköz. Der hat sinngemäß Texte gesungen wie: „Schaut mal, wir haben einen Vertrag bekommen in der Türkei, dann haben sie uns in den Zug gesetzt, wir sind drei Tage gefahren und ins Heim gekommen, statt einer normalen Matratze haben sie uns eine Strohmatratze hingelegt, und seitdem maloche ich hier.“ Oder die „Nachtigall von Köln“, Yüksel Özkasap …
… die in den Sechzigern und Siebzigern von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt mehrere Goldene Schallplatten für ihre Singles gewann und wie viele der Sängerinnen und Sänger von damals in Ihrem Film als Interviewpartnerin auftritt.
In ihren Liedern singt sie auf Türkisch so etwas wie: „Armut, du hast mich nach Deutschland gezwungen“. Oder: „Ich bin in Köln jetzt und immer noch unverheiratet“, also letztendlich ein Song über Sexualität. Das sind alles Texte über Diasporaerfahrungen. Oder noch mal Asik Metin Türköz mit seinem Song „Guten Morgen Mayistero“, in dem es um seinen Vorarbeiter geht und in dem er als einer der Ersten deutsche Wörter mit reinmischt. Das ergibt dann einen Sprachmix, der so nur in der Diaspora möglich ist. Auch „Ahmet Gündüz“ von Fresh Familee, der vielleicht erste genuine deutschsprachige Rapsong, schildert eine Diskriminierungserfahrung.
Nun sind wir bereits Anfang der 90er-Jahre, Deutschland ist wiedervereinigt …
… und im Zuge dessen hatte die Ausländerfeindlichkeit einen Hochpunkt erreicht. Rassistische Anschläge waren damals fast an der Tagesordnung, das kam noch on top auf die ganzen Diskriminierungen, die man im Alltag erlebt hat.
War Hip-Hop eine Reaktion auf den Rassismus?
Damit hatte es ja schon in den Achtzigern angefangen. Es gab 1982 bereits die große Breakdance-Welle, auf den Jams damals waren vor allem Kinder der Arbeiterklasse vertreten, und so gab es eben auch viele migrantische Kids, die gebreakt, gesprüht und gerappt haben. Nur DJs waren sie nicht, weil sie nicht das Geld hatten, um Platten zu kaufen. Da musstest du schon Mittelklasse sein. Das sieht man auch bei Fresh Familee – da war der DJ ein Deutscher.
„Im Mainstream war kein Platz für den Migranten. Das hat sich erst geändert, als er eine Rolle übernommen hat, die ihm zugedacht wurde – und das war der Gangster“
Heute ist migrantischer Hip-Hop ein fester Teil der deutschen Popmusik.
Heute ja. 1991, 1992 hat der Mainstream den deutschen Hip-Hop à la Die Fantastischen Vier abgefeiert. In der Euphorie der Wiedervereinigung musste erst mal alles deutsch sein. Da hieß es „deutsche Reimkultur“, man hat versucht, irgendwie an die großen Dichter und Denker anzuknüpfen. Da war kein Platz für den Migranten, erst recht nicht, wenn der Migrant zu politisch wurde. Das hat sich erst geändert, als der Migrant eine Rolle übernommen hat, die ihm zugedacht wurde – und das war der Gangster. Erst mit dem Gangsterrap hatte er eine Nische und hat auch Major Deals bekommen.
Die Gangsterrapper kommen in „Aşk, Mark ve Ölüm“ aber nicht mehr vor.
Der Film endet in den Zweitausendern mit Muhabbet, der als Erster erfolgreich mit türkischer Kehle auf Deutsch gesungen hat. Wir mussten irgendwo die Kurve kriegen. Alles, was danach kam, also die große Erfolgsgeschichte der migrantischen Musik in Deutschland, reißen wir nur in einer schnellen Fotocollage an. Denn das ist ein komplett neuer Film.
– – –
Dieser Text wurde am 14.02.2022 veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Autor: Michael Brake, für Fluter.de.
Dokumentarfilm, Deutschland, 2022, FSK: 0, Buch & Regie: Cem Kaya, Produktion: Florian Schewe, Stefan Kauertz, Claus Herzog-Reichel, Mehmet Akif Büyükatalay
Schreiben Sie einen Kommentar
Sie müssen angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.