Bei den sogenannten „TV-Events“ der öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter bin ich eigentlich grundsätzlich vorsichtig. Zu oft haben sie sich in der Vergangenheit an ihren Großproduktionen übernommen. In diesem Jahr wurde ich dagegen von der ARD überrascht. Und das liegt zuvorderst am grandiosen Oliver Masucci.
Die Biografie des Großbankers aus dem Ruhrgebiet (Essen) wird eigentlich ausgeblendet in diesem Zweiteiler (im TV). Die Geschichte im Film beschränkt sich auf die letzten drei Jahre seines Lebens. Damit wird sie dem Leben des mächtigsten Mannes der ehemaligen Deutschland-AG kaum gerecht. Doch verleiht gerade diese Selbstbeschränkung dem Film seine Spannung. Und das, obwohl wir alle beim Einschalten schon wissen, wie er ausgeht.
Wir sehen das Berufsporträt eines bemerkenswerten Bankers mit viel Gegenwind. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen, famos gespielt von Oliver Masucci, übersetzt Machtanspruch mit Gestaltungswillen. Die Doppelspitze der Bank ist ihm ein Ärgernis. Vorstandssitzungen sind spannend wie anderswo Thriller. Dieser Herrhausen, der auch rücksichtslos und ungeduldig mit dem eigenen Körper umgeht, hat Albträume, die Bedrohungen und Untergang vorahnen lassen.
Das Attentat auf Herrhausen mag zwar schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegen, doch konnte es bis heute nicht aufgeklärt werden. So ist dann auch der Stoff, aus welchem dieser Film gewoben wurde, noch immer auch einer unserer Gegenwart. Nicht zuletzt auch, weil noch immer Angehörige der letzten Generation der RAF im Untergrund der gesamtdeutschen Normalität leben – und dann und wann auffliegen.
Bei einer solchen, noch nicht abgeschlossenen Faktenlage, kann ein Film natürlich nichts anderes als selbst nur eine spekulative und fiktionalisierte Nacherzählung historischer Ereignisse sein. Etwas anderes gibt er auch nicht vor. Und deshalb können wir uns darauf einlassen, ohne einem Täter/Opfer-Mythos zum Opfer zu fallen.
Es hat tatsächlich etwas von einer Heldenerzählung, auch weil Herrhausen, weit mehr als nur ein Symbol des Großkapitals, sondern vor allem ein durch Instinkt, Machtbewusstsein, Eitelkeit und seine politischen Visionen ohnehin herausgehobener Protagonist unter ganz und gar nicht Gleichen (Primus inter pares) gewesen ist.
Der Film stellt ihn in einen Kontext, der ihn tatsächlich zu einem entscheidenen Akteur einer Zeit gemacht hat, in der sich Europa und die Welt so sehr und so schnell verändert haben, wie es nur Jahre zuvor kaum ein Mensch hätte ahnen können.
Herrhausen war ein Rocker im Gewand eines Dreiteilers, den er immer trug. Ich habe beim Spielen gedacht, ich halte diese Bürgerlichkeit nicht mehr aus. Aber er hat die Form gewahrt. Er war ein Denker, der Leute mitzog und die Kraft besaß, Dinge voranzutreiben. Bis heute hallt noch diese Form des humanistischen Denkers nach, der sich selber ins Verhältnis setzt: Wir sind Kapitalisten, aber wir haben Verantwortung. Er hat den sozialpolitischen Kontext gesehen. Solche Figuren haben wir nicht mehr.
Oliver Masucci im Interview mit Jörg Seewald, FAZ, 01.10.2024
Masucci ist hier wirklich in seinem Element. Schon weil er seinem Herrhausen ein so von innen getriebenes, verdichtetes und hyperaktives Antlitz verleiht, dass mir, schon beim Zuschauen, eigentlich kaum ein anderer Darsteller einfallen will, der diese Rolle vielleicht auch hätte spielen können. Wenn ein Schauspieler es schafft, sich eine Rolle so sehr zu eigen zu machen, dann hat er bei mir alles gewonnen. Und Masucci ist unzweideutig der größte Gewinner dieses Projektes.
Die Erzählung ist hochverdichtet. Und so manches eben zwangsläufig verkürzt und tatsächlich reine Dichtung. Das mag ich den Autor:innen aber nicht vorwerfen. Andere hätten aus dem Material vielleicht eine 12-teilige Serie gemacht. Die (oft spekulativen) Hintergründe und Verwebungen von CDU, KGB, Stasi, RAF und Weltpolitik, die Verwicklung der Deutschen Bank und der Regierungspolitik, ihre Entwicklung zu einem der größten Geldhäuser des Planeten (und ihre Rolle in der Finanzkrise 2008), wo hätten sie anfangen, was hätten sie weglassen sollen?
Das Thema an sich ist unendlich groß und – für mich – auch äußerst spannend. Ich bin grundsätzlich fasziniert von Stoffen wie der letzten großen deutschen Finanzserie „Bad Banks“ (ZDF, 2018/2020), und natürlich den großen Wall-Street Dramen wie „Margin Call“ (2011) oder „The Wolf of Wall Street“ (2013). In dieser Tradition steht „Herrhausen“ als Drama in allerbester Gesellschaft.
Weil Thema und die Story dieses Filmes aber eben nicht rein fiktional, sondern auch ein Ausschnitt aus gesamtdeutscher Geschichte sind, braucht der Film eigentlich auch eine gesellschaftliche und politische Einordnung. Früher hat die ARD zu solchen Themen häufiger einmal zu einem „Themenabend“ geladen, zu welchem eben jenes auch versucht wurde. Ob es dazu eine Talkshow-Sonderausgabe oder einen Dokumentarfilm gebraucht hätte, mag ich nicht entscheiden.
Doch diesen Thriller, der in erster Linie auf die völlig legitimen Spannungsbedürfnisse des Publikums zielt, einfach so im luftleeren Raum des Programms (und der Mediathek), zwischen Provinzkrimi und Tagesthemen zu platzieren, einzig ergänzt durch eine enttäuschende 30-minütige Kurzbiografie, ist für mich ein Versäumnis der ARD. Da macht die Eventisierung des Stoffes keinen Sinn und die praktizierte Wirklichkeit ihrem originären Programmauftrag tatsächlich einen Strich durch die Rechnung.
Ich halte das, was die Publizistin Carolin Emcke, die sich selbst damals als Herrhausens „Patentochter“ bezeichnet hat, schon 2007 für die ZEIT geschrieben hat, noch immer für einen äußerst wichtigen Beitrag, der bis heute nichts, aber auch gar nichts von seiner Relevanz verloren hat:
Achtzehn Jahre ist der Mord an Alfred Herrhausen her. Jemand wird erwachsen genannt, der diese Zeitspanne überlebt hat. Ich war zu jung damals, um das Unverfügbare zu kennen. Zu alt, um es abstreiten zu können. Die Täter sind zu alt heute, um noch an die Logik des Verrats zu glauben. Zu jung, um ihr Leben in der Lüge weiterzuleben.
Die Bundesrepublik ist alt genug, um selbstkritisch sein zu können. Zu jung, um die Verkrustungen der Vergangenheit nicht aufbrechen zu können. Niemand braucht zu fürchten, der Staat zeige Schwäche oder löse sich auf, wenn er auf sein Recht auf Strafe verzichtete.
Dreißig Jahre ist der Deutsche Herbst her. Die gesellschaftliche Selbstsicherheit, die damals noch nicht bestand, ließe sich heute auch gegenüber denjenigen demonstrieren, die sie infrage stellen: durch Großzügigkeit. Durch ein Angebot. Zum Gespräch. Zur Aufklärung. Damit wären die Verbrechen nicht entschuldigt. Damit wären die Taten nicht verharmlost. Aber das Eis könnte zu schmelzen beginnen.
Denn das Eis ist lange noch nicht geschmolzen. Und um die Selbstsicherheit der deutschen Republik ist es heute womöglich weit weniger gut bestellt, als je nach 1989.
Nichtsdestotrotz halte ich „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ trotz aller Schwächen, bei aller immanenten Spekulation, allen Verkürzungen und allen, leider wahrscheinlich unvermeidlichen Klischees, für einen überraschend gelungenen ARD-Thriller in zwei Teilen. Warum er für die Mediathek in vier Teile (mit jeweils 5-minütigem Nachspann) zerstückelt werden musste, erschließt sich mir allerdings ganz und gar nicht.
Doch sei es drum.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 10.10.2024.
Thriller in 2 (4) Teilen, Deutschland, 2024, Regie: Pia Strietmann, Drehbuch: Thomas Wendrich, Musik: Martina Eisenreich, Kamera: Florian Emmerich, Mit: Oliver Masucci, Julia Koschitz, Sascha Nathan, David Schütter, Ursula Strauss, Franz Hartwig, Philippe Brenninkmeyer, Harry Michelll, Lisa Vicari, Yousef Sweid, Anton Spieker, Joshua Seelenbinder, August Zirner, Thomas Loibl, Bettina Stucky, Peter Benedict
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