Es fällt mir schwer, diesen Film nicht zu lieben. Wahrscheinlich, weil Paul Dinge tut, die ich in meinem Leben nie getan habe. Ein Roadmovie ist die einzig angemessene Form, davon zu erzählen. Und dieser kleine deutsche Film repräsentiert nichts anderes als die Essenz dieser Gattung.
Ganz ehrlich, ich hatte diesen Film nicht „auf dem Schirm“ seit er 2018 im Wettbewerb der Berlinale für Furore gesorgt hat. Das ist nun schon unglaubliche sechs Jahre her. Doch „Paul“ ist gut gealtert. Denn seine Geschichte ist zeitlos und universell. Und (schon wieder) ein Grund, die Mediatheken zu lieben. Denn wo sonst würden sie so etwas heute noch sehen können?
Autor und Regisseur Julian Pörksen war mir ein Begriff. Seine Serie „Aus dem Tagebuch eines Uber Fahrers“ (2019) hat mir viel Freude bereitet. Da war, auch aufgrund meiner eigenen Biografie als lizenzierter Taxifahrer, für mich eine Menge wiederzufinden.
Bei „Whatever Happens Next“ (2018) war das anders. Da habe ich wieder gefunden, was ich nie war. Doch ganz ehrlich, so ein, zweimal im Leben wäre mir vielleicht tatsächlich danach gewesen, einfach vom Rad zu steigen und loszulaufen. Irgendwo hin. Und nicht zurückzuschauen. Ich hab’s nicht getan. Aber was wäre gewesen, wenn?
Die Geschichte von Paul ist nicht aufregend. Ja, sie ist nicht mal besonders bemerkenswert oder spannend. Sie passiert einfach irgendwie… Vielleicht würden wir in Social-Media von ihm erfahren, oder in einer Vermisstenanzeige. Doch da er in der Geschichte kein größeres Verbrechen verübt, und niemand durch ihn zu Schaden kommt, wird sich kaum ein Mensch für diesen Mann interessieren, der da die Straße lang läuft.
Ob er wegläuft und wenn, wovor er wegläuft, erfahren wir nicht. Wir erfahren überhaupt nicht viel über ihn. Außer, dass er tut, was wir uns nie trauen würden. Er lässt sich treiben, hat Begegnungen und „nichts mehr vor“. Er hat sich reduziert, auf seine bloße Existenz.
Sebastian Rudolph spielt diesen Paul ganz fantastisch. Fast möchte ich ihn einladen, dass er mal bei mir vorbeikommt und mir seine Geschichte(n) erzählt. Eine Couch und Frühstück hätte ich sicher für ihn. Doch bin ich nicht sicher, ob ich ihn erkennen würde, wenn er an der Tankstelle vor mir steht. Man(n) schaut da ja nicht immer genau hin. Und will schnell weiter.
Außer Paul. Paul hat keinen Plan. Und wenn er mal Verpflichtungen hatte, dann hat er die längst hinter sich gelassen. Er sammelt Menschen und Beziehungen, und dort, wo diese ihn hinführen, dort können wir ihn treffen. Ein Leben als Zufall.
Was für ein fantastischer, poetischer, melancholischer, liebevoller Film. Was für ein unscheinbarer kleiner (schmutziger) Edelstein. Überhaupt keine Held:innen. Keine großen Geschichten. Nur kleine Existenzen. Nur im Hier und Jetzt. Morgen sind sie entweder noch da oder doch schon wieder woanders.
PS: Lilith Stangenberg ist ein Superstar!
Dieser Beitrag erschien zuerst am 06.06.2024.
Roadmovie, Deutschland, 2018, FSK: ab 6, Regie: Julian Pörksen, Drehbuch: Julian Pörksen, Produktion: Stefan Gieren, Musik: Mahan Mobashery, Kamera: Carol Burandt von Kameke, Schnitt: Carlotta Kittel, Mit: Sebastian Rudolph, Peter René Lüdicke, Lilith Stangenberg, Christine Hoppe, Eike Weinreich, Henning Peker, Monika Lennartz, Hanns Zischler, Eva Löbau, Niels Bormann, Andrzej Mastalerz, Ines Marie Westernströer
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