Ich bin „draußen“ aufgewachsen. Das lag wohl zuvorderst an dem unglaublichen Privileg, dass es mitten im größten Ballungsraum Europas, dem Ruhrgebiet, stattfinden konnte. In einem Haus im Essener Norden, welches auf einem eingezäunten Grundstück von mehreren Tausend Quadratmetern stand. Umgeben von großen alten Bäumen, einer eigenen Gemüselandwirtschaft, Kaninchenställen, sogar ein gläsernes Gewächshaus gab es dort. Im Süden die RWE-Müllverbrennungsanlage, im Westen die Kokerei Prosper, im Norden das VEBA-Glaswerk und die später stillgelegte Zeche Matthias Stinnes, und im Osten gleich noch eine weitere Zeche, Nordstern, die noch einige Jahrzehnte weiterlaufen und so unsere Familie ernähren sollte.
Summer In The City – (Joe Cocker, 1994)
Ich habe die Sommer in der Stadt geliebt. Sie waren lang. Und gelegentlich waren sie heiß. Aber die rund 50 Zentimeter starken Außenmauern und der Schatten der alten Bäume hat die Hitze fast immer erfolgreich aus unserer Wohnung ferngehalten. Im Dachgeschoss wurde es dagegen schon mal etwas wärmer, denn gedämmt war an dem Haus gar nichts. Wird wohl auch nicht mehr. Inzwischen ist es über 100 Jahre alt.
Nur 55 Jahre später sind die Sommer nicht kürzer geworden, eher länger – und vor allem: Heißer… Und das, in den letzten Jahrzehnten schon zu beobachten, fast jedes einzelne Jahr. Und ich bin daran nicht unschuldig. Ganz so wie meine ganze Familie, für welche die Förderung von Steinkohle die wirtschaftliche Grundlage (nicht nur) unserer Existenz und eine der Ursachen für die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre unseres Planeten war.
Ich lehne mich tatsächlich nicht besonders weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Den Extradienst aus Beuel gäbe es wohl auch nicht, wenn der Vater dieses Autors (und des Herausgebers) seinerzeit als Wirtschaftsflüchtling eben nicht in den Ruhrpott gezogen wäre, sondern wie seine Freunde lieber nach Kanada oder Australien ausgewandert wäre. Ausgerechnet… Ob die CO2 Bilanz unseres Lebens am Ende eine andere gewesen wäre? Die Frage ist (zum Glück) nicht abschließend zu beantworten. Aber Spuren in der Biographie hinterlässt so etwas jedenfalls…
So habe ich in den folgenden Jahrzehnten meines Lang- und Kurzzeit-Wohnens noch viele Sommer erleben und überleben dürfen. Intensive Sommer in meiner ersten eigenen (RWE Werks-)Wohnung am Rande der Essener Innenstadt. Dann, als Durchreisender einige Jahre in Wiesbaden, Wien, Wuppertal, Werne (das hab ich mir nicht ausgedacht!)… Viele kurze aber wunderbare Sommer in Helsingborg, am Öresund in Schweden. Aber in der zweiten Lebenshälfte (noch 5 Jahre bis zur Rente mit 63), darf man(n) sich schon mal Gedanken machen, wie das denn mit dem nächsten, dem übernächsten und dem Sommer nach dem Übernächsten so laufen wird… zumal ich meiner Kleinfamilie ja auch noch eine Immobilie ans Bein gebunden habe. Da packt man(n) nicht mehr mal eben den Container und zieht weiter, da läuft man(n) einfach nicht mehr weg. Da kommt der Klimawandel dann frei Haus. Da holt er uns ein. Sogar im südwestlichen Münsterland.
Wir alle leben im Erdgeschoss (H.R.Kunze, 1981)
Es war schon sehr heiß, diesen Sommer. Schon gegen Anfang Juni standen die Nachttemperaturen in unserem Wohnzimmer bei +/- 27 Grad. Das ist nach einer, spätestens zwei Wochen Hitze leider unvermeidlich. Denn bei unserem Haus handelt es sich um die ineffizienteste Form der Architektur überhaupt: einen Bungalow. So etwas ist schwer zu lüften (kein Kamineffekt über mehrere Stockwerke – Wärme will immer nach oben!), kostet überdurchschnittlich Energie beim Beheizen (alles Außenwände) und ist unübertroffen beim Flächenverbrauch. Also eigentlich dürfte so heute gar nicht mehr gebaut werden – auch weil es schlicht unbezahlbar wäre. Vor 50 Jahren ging das aber eben noch. Und heute ist es vor allem eins: Barrierefrei! Das haben wir so gewollt. Und wenn sie mal auf einen Rollator angewiesen sind, wie ich es, zu meinem unendlichen Glück, nur für einige Wochen war, dann wollen sie das auch nicht mehr anders.
Nun werde ich ob meiner endlosen Privilegien hier sicher nicht beginnen, mich zu beklagen. Erst recht nicht übers Wetter. Aber wenn Karl Lauterbach davor warnt, Italien könnte für Touristen so unbewohnbar werden, wie das Death Valley, dann hat er damit wohl nicht ganz unrecht. Jedenfalls, so weit es mich betrifft. Denn bei Temperaturen über 30, erst recht über 40 Grad Celsius setzen bei mir ganz elementare Körperfunktionen aus. Da will ich dann gar nichts mehr.
Nur noch überleben.
Im zweiten Teil dieser Sommerloch-Mini-Serie geht es weiter mit Keksen für Robert, Strompiraten und Elvis…
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