Überleben lernen (II.)

Eine der viralen Kontroversen dieses Sommers entwickelte sich um ein ganz kleines Spiegel Interview und dem folgenden Shitstorm in der Twitterblase des  Meteorologen, TV-Moderators und notorischem Social-Media-Menschen Jörg Kachelmann. Als wäre er als Schweizer an sich nicht schon genug Provokation für die deutsche Seele (die Sprache, die Währung, das Schwarzgeld, die Schokolade, die Kavallerie!), erlaubte dieser Mann sich den, damals noch nicht in Italien weilenden, Bundesgesundheitsminister der „aktiven Sterbehilfe“ zu bezichtigen. Und das alles nur um die Frage „Fenster auf?“ oder „Fenster zu?“. Und wie wir den Sommer überleben?

Immer mehr (H.Mitteregger, 1985)

Kennen sie vermutlich? Die Deutschen an sich – so mein persönlicher Eindruck, und der hat nicht viel mehr zu bedeuten, als sie ihm selbst zumessen wollen – haben hauptsächlich Angst. Hier etwa die Angst vor „Zug“… der Bewegung von Luft. Denn Oma bekommt davon immer Rheuma, Papa einen steifen Hals und überhaupt… heiß und kalt. Wir mögen halt Extreme nicht. Und wenn es draußen warm ist, kommt doch die Hitze ins Haus.

„Der Player beim Überleben ist nicht die Temperatur, sondern die Luftfeuchtigkeit.“ (Kachelmann, DLF, 19. Juli 2022 oder Badische Neueste Nachrichten, 06. Juli 2019)

Ich hab‘ da auch so das eine oder andere aufgesammelt in meiner eigenen Sozialisation. Mensch will ja erst mal glauben, was seit Generationen überliefert wurde. Und es eigentlich gar nicht so schwer, das eine oder andere davon wieder abzulegen. So auch diese spezielle Ausprägung der „German Angst„. Das Internet – der wirksamste (Aber-)Glaubensverstärker des Anthropozäns – kann diesen Prozess durchaus unterstützen. Es kommt halt nur darauf an, wohin sie klicken. (Warnung: Der letzte Link führt auf eine Webseite aus Österreich!)

Cowboy Rocker (Udo Lindenberg, 1974)

Meinen Durchbruch in der Erkenntnis fand ich selbst erst recht spät im Leben. Doch er lässt sich präzise datieren: Auf den 27.05.2000. Wenn sie, wie ich, die Musik von Bruce Springsteen schätzen, dann wissen sie vielleicht noch, dass der Mann aus New Jersey an diesem Tag das erste Mal in seiner schon damals langen Karriere in Las Vegas, NV aufgetreten ist. Nur deshalb habe auch ich das erste Mal die Reise in die Stadt, die es eigentlich und wirklich gar nicht geben dürfte, auf mich genommen. Denn überhaupt galt für mich schon lange vorher: Lass uns nach Las Vegas reiten… Die Sonne putzen.

„Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.“ haben wir schon 1795 bei Goethe gelernt. Seine Italienreisen sind universeller deutscher Kanon. Doch selbst ihm hat die Hitze die Wörter genommen welche aufzuschreiben er die lange Reise nach Rom überhaupt erst angetreten sei. Was ihnen Goethe in Rom gewesen sein mag, war mir also Springsteen in Vegas… Es hat mein Leben nachhaltig verändert denn ich habe dort unmittelbar begriffen, dass dieser absolut surreale und artifizielle Ort tatsächlich nicht existieren würde, wenn Willis Haviland Carrier nicht fast 100 Jahre zuvor die Klimaanlage erfunden hätte.

Goethe war gut (Rudi Carell, 1978)

Wäre der Frankfurter nur 200 Jahre später in die ewige Stadt aufgebrochen, so hätte ihm eine Installation einer solchen Technologie auch dort sicher Linderung verschafft. Und mir fällt es schwer, mir vorzustellen, was denn wohl der Deutschen Seele widerfahren wäre, hätte sie deren Nutzen nur früher erkannt… also bevor die Nachfahren Carriers sich über den sauerländischen Heizungsbauer Viessmann in den deutschen Wärmepumpenmarkt hineingekauft haben.

I get it! (Tony Soprano, 2006)

Wenn die Existenz Las Vegas schon ökologisch durch überhaupt nichts zu rechtfertigen und erst recht nicht zu kompensieren ist, so ist sie doch ein Labor für den Klimawandel und die technologische Antwort darauf. Und einige Antworten darauf sind durchaus universell übertragbar und in Rom, Frankfurt und dem Südmünsterland gleichermaßen gültig:

Ich war noch einige Male in der Stadt, diesen Ort, den es eigentlich nicht geben dürfte – und den es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in nur ein paar Jahrzehnten auch gar nicht mehr gibt. Denn die Stadt ist abhängig vom Hoover Dam, welcher nicht nur die pervers unermesslichen Mengen an Elektrizität produziert, mit denen Vegas seine Klimaanlagen betreibt, sondern auch das Wasser, ohne welches überhaupt kein Leben in dieser Wüste möglich wäre.

A Horse With No Name (America, 1971)

Und wenn sie durch die Wüste reiten und die Sonne putzen, dann brauchen sie Wasser! Denn nicht die Hitze bringt Menschen um, sondern die Dehydrierung ihres Körpers. In den Kofferaum eines Ford Mustang Cabrio (2010) passen etwa 250 Literflaschen Wasser. Damit können sie zu zweit etwa einen Monat überleben – im Münsterland etwas länger. Und, ja, Fahrtwind (a.k.a. „Zug“) im Cabrio „kühlt“ auch bei 100 Grad Fahrenheit. Machen sie das Dach aber unbedingt zu, wenn sie in den Stadtverkehr geraten… denn bei Stop&Go werden sie unmittelbar gegrillt!

Ja, Klimaanlagen könnten eine Erfindung zur Absatzförderung ihres Energieversorgungsmonopolisten sein, tatsächlich sind sie aber nur eine Einrichtung zur Umwandlung von elektrischer Energie in Kälte (sie haben so etwas an ihrem Kühlschrank) oder Wärme (dann sind es Wärmepumpen!) und als solche seit 100 Jahren schon ein sehr effizientes und bewährtes Überlebenswerkzeug, nicht nur in unwirtlicher Umgebung Nevadas.

Balkonien (Fresse, 2019)

Während im Jahr 2000 Photovoltaik in Las Vegas noch kaum ein Thema war, ist die Stadt inzwischen nach Honolulu, HI zweigrößter Produzent von elektrischer Solarenergie (je Bevölkerung) in den USA, gefolgt von San Diego, CA, Albuquerque, NM, und San Jose, CA… Und selbst auf dem Dach meiner Garage steht inzwischen ein „Balkonkraftwerk“… dessen Stromerzeugung (600W) würde zum Betrieb einer Klimaanlage im Sommer und damit zur Kühlung unseres 1Familienhauses genügen… und somit mutmaßlich klimaneutral zur erheblichen Verlängerung unserer Lebenserwartung – in jedem Fall aber Lebensqualität beitragen. (Im Augenblick lässt es unseren Stromzähler allerdings rückwärtslaufen, weil wir noch keine Klimaanlage haben und der Netzbetreiber mit der Montage neuer Zähler nicht nachkommt. – So sind wir zur Zeit noch „Strompiraten“ – und „verdienen“ so EUR 0,38 pro Kilowattstunde die wir nicht selbst verbrauchen. Das geht auch in Mietwohnungen!)

Was macht Berlin? (Die Toten Hosen, 2017)

„Ungeschickt, dreist …und dann auch noch dumm gelaufen.“ – so hat Roland Appel seinen Beitrag zur Entwicklung der Novelle des Gebäudeenergiegesetz (GEG) – in seiner davor letzten Form bereits von 2020(!) – überschrieben. Sachlich will ich ihm da gar nicht widersprechen. Dumm waren dabei aber tatsächlich (fast) alle Beteiligten an dem Shitstorm auf Robert Habeck (Die Grünen) und den Entwurf des Gesetzes. Nun muss kein:e Journalist:in erst Thermodynamik studiert haben um zum Thema sachlich zu berichten. Sachlichkeit ist eben auch kein messbarer Wert. Es wäre aber durchaus hilfreich gewesen, wenn der eine Heizungsbauer oder die andere Lobbyistin wenigstens Grundkursniveau in Physik hätten demonstrieren wollen… wenn das schon für für die meisten Parlamentarier:innen wohl zu viel verlangt ist.

Wenn aber „Influencer“ in solchen Fragen zur „sachlichen“ Referenz von Überlebensstrategien werden, dann merken sie, wie sehr „das Internet“ inzwischen zur Grundlage und zum Werkzeug von (beileibe nicht nur politischer oder Meinungs-) Bildung geworden ist.

Der Kommissar (Falco, 1982)

Ich empfehle ihnen zum Beispiel Carsten Herbert, den Energiesparkomissar. Ein äußerst freundlicher Späthippie (und Bauingenieur sowie Energieberater) aus dem Hessischen, der hier unentgeltlich verrät, wie sie die 65% Quote erneuerbarer Energie bei der Heizung ihres Hauses erreichen, OHNE ihre alte Gas/Ölheizung demontieren zu müssen.

Sollten sie weniger auf Beratung, sondern eher auf Erfahrung wert legen, dann finden sie die bei Andreas Schmitz, dem „Akkudoktor„. Herr Schmitz war in einer ganz ähnlichen Lage wie wir in unserem Altbau aus den siebziger Jahren… wie ist so eine Hütte heute OHNE eine Totalsanierung nachhaltig zu beheizen?

Wir werden uns nun über den Winter einen Plan machen, wie wir das Projekt im nächsten Jahr umsetzen können. Das ist ja tatsächlich nicht mal eben an einem Wochenende zu schaffen. Doch im Grunde reden wir hier auch nicht über Atomphysik. Das komplizierteste am Thema dürfte die Finanzierung und damit die Erschließung unüberschaubarer und komplizierter Förderung der diversen Bundes- und Landesagenturen sein. Und ob wir das überhaupt in Anspruch nehmen wollen (müssen).

Und wenn wir damit durch sind, dann stelle ich einen Teller Kekse in den Heizungskeller. Falls Robert Habeck mit seinem Rollkommando durch den Kamin kommt, um unsere Ölheizung (Viessmann, 2013) rauszureißen…

Bis dahin laufen eben die drei Deckenventilatoren im Haus mit dem Strom vom Garagendach.

Wir werden zu berichten haben, bis dahin: Bleiben sie schattig!

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