#KillTwitter #DeleteFacebook

Mit Update am Nachmittag

Vor ziemlich genau vier Jahren habe ich unter dem Titel „#DeleteFacebook – Warum soziale Netzwerke dezentralisiert werden müssen“ eine Diskussion aufgenommen, die Roland Appel unter der starken Überschrift „Asoziale Netzwerke sind asoziale Netzwerke“ begonnen hat. Am Ende meines Beitrags habe ich dem zu diesem Zeitpunkt gerade erst neu designierten Bundesbeauftragten für den Datenschutz Ulrich Kelber ein Stöckchen hingehalten. Was er inzwischen daraus gemacht hat, ist beachtlich.

Sie erinnern sich noch? Gerade erst war während des US-Wahlkampfes herausgekommen, dass Facebook im Zusammenspiel mit einem gigantischen Datenstaubsauger (Cambridge Analytica) einen der größten Datenschutzskandale seiner Geschichte zu verantworten hatte. Auf den Auswirkungen der Wellen, die das geschlagen hat, surft Mark Zuckerberg noch heute.

Es liegt nicht ganz fern, zu vermuten dass die Umbennenung des Facebook-Konzerns (WhatsApp, Instagram) in „Meta“ auch damit zu tun hatte, dass das Kerngeschäft nicht nur einen erheblichen Vertrauensverlust seiner „Kundschaft“ sondern tatsächlich auch wirtschaftlich relevante Einbußen hinzunehmen hatte. Nun stinkt der Haufen Geld, auf dem Zuckerberg und seine Aktionär:innen sitzen deshalb nicht weniger – im Gegenteil, er ist noch viel größer geworden. Doch die Welt hat sich weiter gedreht und durchaus daraus gelernt!

Und hier kommen wir zurück zum „Beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ aus Bonn. Ulrich Kelber – selbst als Informatiker vom Fach – Mitglied des Bundestages (SPD) seit 2000 und seit 2002 auch bei Zweitstimmenmehrheit der CDU immer mit einem Direktmandat wiedergewählt, führt bereits seit kurz nach seinem Amtsantritt 2019 ein privates Konto auf dem dezentralen sozialen Netzwerk „Mastodon“. (Auf welchem auch der Beueler-Extradienst schon seit 2018 vertreten ist.)

Dieser Move des BfDI hat ihm damals zu enormer Credibility in der Szene verholfen und seine Performance dort hat seinem Ruf sicher nicht geschadet. Doch sich darauf auszuruhen war für seine über 300.000 Follower:innen sicher nicht akzeptabel. Das wusste er vermutlich schon, bevor er seine ersten Schritte dort unternommen hat. Und weil er auch die zugrunde liegende Technik verstanden hat, war es nicht genug auf irgendeiner Instanz des Netzwerkes weitere Konten einzurichten – er (bzw. seine Dienststelle) musste selber zu einem Betreiber einer Instanz des Netzwerkes werden.

Gestern nun war es kurzfristig soweit, dass das offizielle Konto des „Datenschutzbeauftragten“ auf der offiziellen Netzwerkinstanz des „Datenschutzbeauftragten“ social.bund.de mehr Follower:innen hatte, als der „private“ Account von Kelber – der nach wie vor auf der lokalen Instanz Bonn.social läuft. Heute haben sich diese Verhältnisse wieder etwas umgekehrt und das Bonner Konto liegt wieder vor den Berliner:innen. 😉

Schön und gut… Und was soll das ganze nun?

Es wäre vielleicht wirklich ein Thema für Nerds, wenn es denn dabei geblieben wäre und die Mastodon Instanz social.bund.de einzig als „Proof of Concept“ für den BfDI funktionieren würde. Doch dem ist inzwischen nicht mehr so! Auf dem Server tummeln sich inzwischen mehr als eine Hand voll illustre Kanäle – mit einem (noch) deutlichen Schlag in die Datenschutz-Ecke, aber immerhin!

Darüber hinaus findet sich auch eine ganz ansehnliche Zahl von Mandatsträger:innen im dezentralen Mastodon-Netzwerk. Wobei „Die Grünen“ dabei sicher – nach den noch überall anzutreffenden Pirat:innen mit eigenem Server – die größte Fraktion darstellen. Sie betreiben beim „Verein für Netzbegrünung“ ganz wie Piraten und der BfDI auch ebenfalls eine eigene Instanz unter gruene.social. Schauen sie selbst mal rein. Die eine oder den anderen werden sie vermutlich kennen. Hier nur stellvertretend der Kanal der NRW-Partei: https://gruene.social/@nrw (der allerdings seit November 2020 nicht mehr aktualisiert wurde – WTF?).

Neben der morgigen Abschaltung des Zombienetzwerks von StudiVZ ist das alles zusammen vermutlich die insgesamt vielversprechendste Entwicklung zum Thema sozialer Netzwerke in Deutschland – und sie hat noch nahezu unbegrenztes Potential viel weiter zu gehen.

Wenn sie die Erregungsmaschine Twitter nicht ausstehen können, wenn sie Facebook oder seiner Schwester Instagram aus dem Weg gehen – weil sie gute Gründe dafür haben, dann schauen sie sich die in diesem Text erwähnten Kanäle dennoch ruhig einmal an. Weil sie öffentlich sind und vor allem auch, weil ihre Daten dort nicht geloggt und vermarktet werden, müssen sie keine Kompromittierung ihrer Privatsphäre befürchten.

Für mich ist dieser „Proof-Of-Concept“ inzwischen weit mehr als nur ein „alternativer“ Social-Media-Kanal für die, die meinen es zu brauchen. Es ist ein Gegegenmodell zum Datenkapitalismus und es ist beliebig skalierbar – vorausgesetzt es wachsen weitere „öffentliche“ Instanzen. Warum soll ihre Stadtverwaltung etwa keinen eigenen Server betreiben?  Oder ihre öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt? Ja, warum machen sie es nicht selbst?

Sie können es längst!


Update am Nachmittag: Nach einem sehr freundlichen Hinweis einer Extradienst-Mastodon-Leserin aus dem Ländle (und eines nicht weniger freundlichen „Trööts“ der Landesregierung) habe ich noch den Link auf den Server des Datenschutzbeauftragten aus Baden-Württemberg nachzutragen: https://bawü.social/explore. Dort finden sie unter anderen zum Beispiel folgende Kanäle:

Weitere Hinweise auf öffentliche/politische Institutionen im #Fediverse bitte gerne in die Kommentare hier oder auf Mastodon… ich werde sie sehr gerne hier ergänzen!