Wo riecht’s nach verbranntem Rasen?

„Eisern Union, Eisern Union!“

Ok, es gibt vielleicht schönere Vereinshymnen. Aber wer bin ich, das zu beurteilen? Wo doch meine eigene „Seele brennt“… also ungefähr jedes zweite Wochenende, wenn die wahre Borussia zuhause spielen darf oder – je nach Heim- oder Auswärtsschwäche – auch „muss“. Ihr kennt das…


Wer, wie ich, nur noch aus vorwiegend romantischen Gründen am Fußball hängt, denen muss es heute eigentlich ebenfalls in der Seele brennen. Denn wenn der erfolgreichste Underdog des deutschen Fußballbusiness der letzten Jahre seinen Trainer auf die Straße setzt, dann schmerzt sie. Die Seele der Romantiker:innen.

Wieder einer weg. Wieder ein Verein, der im Zweifel für den kurzfristigen Erfolg seine Identität kompromittiert. Wieder ein Verein, der dem Mammon höhere Bedeutung zumisst, als der Pflege des eigenen Mythos. Und den Mythos, der im Begriff war, zu entstehen, das kann niemand bestreiten, hat der Verein aus Köpenick sich redlich erarbeitet – mit Urs Fischer, dem schweizer Fußballlehrer, der den Ostberliner Vorortklub aus der zweiten Liga bis in die Championsleague geführt hat.

Undankbarkeit oder Realismus?

Ich kann mir nicht helfen. Doch Urs Fischers Erfolgsgeschichte und die des anderen Fußballlehrers aus der Schweiz, Lucien Favre, weisen so viele Paralelen auf, als Fußballfan (& Gladbacher) bin ich von der heutigen „Eilmeldung“ eigentlich nicht überrascht, aber doch betroffen… und das nur aus „seelischer“ Verletzung.

Wenn ich zurück denke, wie Favre vor zeimlich genau 10 Jahren die „Borussia Barcelona“ erfunden hat – und die, vor dem eigentlich unausweichlichen Abstieg gerade noch gerettete, und danach so überraschend erfolgreiche Mannschaft nach erster Qualifikation für die CL plötzlich das Gewinnen verlernt hat… (Er wurde nicht gefeuert, sondern hat nach nur 6 verloren Spielen selbst gekündigt.) Wenn ich, aus der jüngeren Vergangenheit, an Eintracht Frankfurt denke, die hat sogar einen Europapokal gewonnen… und der Trainer musste/wollte/durfte trotzdem gehen.

Mit tun die Berliner Kinder leid…

In Berlin gibt es junge Fußballfans, die kennen nur einen Trainer. Denen wünsche ich heute viel seelische Fürsorge. Denn das muss ja auch ein erwachsenener Mensch erstmal verarbeiten. Und das „selbstverständliche“ an der Reaktion des Business, die Regeln des Geschäfts… davon wissen die Kids noch nichts. Aber sie lernen es. Und leider verlieren dabei alle.

Ich bin seit 50 Jahren Fußballfan

Genauer: Fan von Borussia Mönchengladbach. Dem Verein von Hennes Weisweiler, Günter Netzer, Rainer Bonhof und Jupp Heynckes. Und den nächsten Generationen… Frank Mill, Arie van Lent, Juan Arango… Begonnen hat das, als „wir“ in den siebziger Jahren noch die Rolle gespielt haben, die Borussia Dortmund zwar gerne hätte, aber die sie auf alle Zukunft niemals mehr erreichen werden können. Wir haben in einem Jahrzehnt mehr Deutsche Meisterschaften gewonnen, als die Bayern! Classico? Hä!

Die romantische Leidenschaft für einen Fußballclub, das Zusammengehörigkeitsgefühl, unabhängig vom sportlichen Erfolg, die Identifikation mit dem Verein… wo soll die denn sonst herkommen? Bei mir entstand die Begeisterung zwar auch im überragenden Erfolg. Aber die Bindung, die begann erst später, nach dem Ende der Ära Heynckes, und dem unwürdigen Leid am Verein in den furchtbaren 80er und 90er Jahren. Die Treue wurde hart auf die Probe gestellt. Aber immer gab es einen Grund, mir keinen anderen Club zu suchen. Selbst nicht in den noch viel furchtbareren Jahren in der zweiten Liga. Hans Meyer war so einer, der ist noch immer da. Und Rainer Bonhof natürlich. Der war ja eigentlich nie richtig weg. Und, vor allem, nie in Köln!

Nicht der FC Köln!

Für viele Gladbach Fans ist allein die Tatsache, dass der Club eben nicht der „Verein aus der Stadt mit der großen Bahnhofskirche“ ist, schon Grund stolz die Fahne mit der Raute zu schwenken. Für die Fans im Osten Berlins spielt sicher auch die Tatsache eine Rolle, dass Union die Anti-These zur Hertha ist. Die DDR Geschichte ist längst genau so ein Mythos, wie die 70er Jahre für einen Gladbacher. Aber ist sie noch Grund genug, den Club zu einem Bestandteil der eigenen Biographie zu machen? Und wenn nicht, warum dann?

Freiburg… natürlich.

Wäre ich heute acht Jahre alt, und wüsste ich, was ich heute weiß, dann habe ich eigentlich keine Wahl. Dann bliebe mir nur noch Freiburg. Ein Verein, immer zwischen Europa und Abstieg. Und – gefühlt – immer mit dem selben Coach. Gefühlt, ja! Ich kann mich nur an zwei erinnern, Finke und Streich. – Denn Erinnerung ist selektiv und berücksichtigt nur, was Synapsen im Gehirn verknüpfen. Was nicht erinnert wird, war also nicht wichtig und ist also eigentlich nie geschehen.

Ja, wenn ich heute ein 8jähriger Junge wäre, dann würde ich hoffen, dass mir irgendwer in der Familie oder dem Umfeld den SC nahebringt. Weil es der letzte „Fußballverein“ ist. Und keine Niederlassung der internationalen Sportentertainmentindustrie. Ich würde darauf hoffen, dass mein junges Gehirn noch erlebt und erlernt, wie schön und wichtig Fußball sein kann. Und dass es eben nicht darauf ankommt, in welcher Liga er gespielt wird. Identifikation ist etwas erlerntes. Das kann mensch nicht kaufen – und erst Recht nicht verkaufen!

Meine unheilige Dreifaltigkeit

Die Dreifaltigkeit der Clubs die in meiner Seele wohnen, Rot-Weiß-Essen (aus Herkunfts- und Familiengründen), der FC St. Pauli (weil Hamburg die schönste Stadt der Welt und Holger Stanislawski der schönste Supermarktfilialleiter ist, die und den ich kenne), und eben Gladbach (aus Gründen)… sie schlagen sich redlich. Bei den beiden unterklassigen überraschend und – im Moment – redlich gut, bei der Borussia erwartbar durchschnittlich… und doch war ich die letzten Jahre etwas neidisch auf Union.

Wären sie denn abgestiegen, um dann mit dem selben Trainer wieder aufzusteigen, hätte eine Fußballlegende des Jahrhunderts begründet werden können. Eine ganze Generation wäre vom Verlauf so einer Geschichte für den Rest ihres Lebens geprägt worden. Die Chance haben sie in Berlin vergeben.

Statt dessen hoffen sie, den Abstieg zu noch verhindern, nur um weiter von den DFL Millionen, die es eben nur in der 1.Liga gibt, profitieren zu können. Als wenn Identifikation durch Geld zu (ver)kaufen wäre.

Aber wenn das ist schon lange nicht mehr mein Fußball ist, warum bin ich dann heute so sentimental…?


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