Mehr oder weniger gelungene Reenacting-Geschichten kennen wir von ZDF schon lange. Und es ist kein Trend, der etwa am Sender festzumachen ist. Ganz grundsätzlich haben sich über Szenen oder ganze Episoden nachgespielte historische Ereignisse in einer speziellen Sorte Dokumentarfilm als Genrestandard etabliert. Und als Nächstes dann Deepfakes aus der KI?

Das können wir gut finden, weil es die Leute anspricht, oder ablehnen, weil es in fast jeder Weise nicht mehr mit realen Personen oder Szenarien gemein hat, als was die Fantasie der Filmemacher:innen dazu im Einzelfall gerade hergegeben hat.
Andererseits ist das Genre des Biopics fast so alt wie das Kino. Und unter den großen Spielfilmen, die es uns beschert hat, waren Sternstunden von Künstler:innen, die auch das Bild der historischen Vorbilder in unserer Erinnerung geprägt haben. Nie werde ich zum Beispiel Margarethe von Trottas Filmbiografie über Rosa Luxemburg (1986) vergessen. Auch wenn die Ähnlichkeit von Barbara Sukowa und Otto Sander mit den Vorbildern nur durch das Geschick der Maskenbildner:innen und vor allem die Kunst der Darsteller:innen vermittelt wurden, haben diese sich so tief in meine Erinnerung eingegraben, dass sie das tatsächliche Aussehen der wahren Personen für mich längst überlagern.
Warum also nicht computergenerierte Masken der verstorbenen Personen über echte Schauspieler legen? Wenn doch die Story eines Filmes auf der Ähnlichkeit basiert, und nicht mehr etwa auf der Kunst der Darstellung. Warum nicht die zur Verfügung stehenden Mittel der Technologie zur Vermittlung von Geschichte benutzen?
Historische Fotos und Archivmaterial wurden ausgewertet, um die Gesichter der Schauspieler mittels KI- und Deepfake-Technologie – Swap, Face Tracking und Retusche – möglichst exakt an die der historischen Vorbilder anzupassen. Sofern Audioaufzeichnungen existieren, wurde die Klangfarbe der Stimme mittels KI analysiert und in Form detaillierter Stimmprofile nachgebildet. Im Stil gesetzter Interviews erzählen die berühmten Protagonisten ihre Geschichte. Ihre Zitate basieren auf zeitgenössischen Quellen und Ego-Darstellungen, wie Tagebüchern, Briefen oder Schriften.
Quelle: Pressemitteilung des ZDF, 30.04.2025
Ich bin darüber gleich auf mehreren Ebenen ambivalent.
Film und Schauspiel ist eine Kunst in Bild und Sprache. Ein computergeneriertes Bild, eine generierte Stimme ist jeweils eine Ingenieursleistung. Das kann ich nicht gleichsetzen. Da ist mir die Intention hinter dem Einsatz von Künstlicher-Intelligenz mal ganz egal. Doch als wertfrei im Sinne eines „optimalen“ Ergebnisses kann ich das nicht akzeptieren. Und nur weil es möglich ist, ist es nicht legitim.
Wenn das ZDF jetzt eine „Terra X History“ Reihe auflegt, um die Methode vorzuführen, dann mag das auf den ersten Blick beeindrucken. Die Episode über Rudi Dutschke war für mich dazu ein Beleg, weil von ihm so viele zeitgenössische Originalaufzeichnungen existieren, dass über den direkten Vergleich der Vorlagen eine ziemlich atemberaubende Ähnlichkeit festzustellen ist. Mich würde es wirklich ehrlich interessieren, was etwa Gretchen Dutschke-Klotz und ihre Kinder und Enkelkinder davon halten.
Bei Oskar Schindler und Georg Elser dagegen gibt es kaum Originalquellen, höchstens Fotografien, beide waren zu ihrer Zeit letztlich keine öffentlichen Personen. Bei Rosa Luxemburg und Otto von Bismarck war letzteres natürlich dramatisch anders – doch die Qualität der vielen originalen Filmaufnahmen letztlich so schlecht, dass eine Verwechslung natürlich ausgeschlossen ist.
Doch selbst daran würde ich die Zulässigkeit oder Angemessenheit dieser Deepfakes nicht festmachen wollen. Mir missfällt gleich das Prinzip. Und das gilt erst recht, weil es hier eine öffentlich-rechtliche Anstalt ist, die damit experimentiert.
Dokumentarische Parts ordnen das Erzählte zudem in den historischen Kontext ein und brechen die rein persönliche Ebene. Alle Folgen wurden von wissenschaftlichen Fachberatern begleitet, darunter ist auch der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz. Er sagt: „Um junge Menschen für historische Themen zu interessieren braucht es neue Formen der Vermittlung. Mit digitalen Formaten sind sie am besten erreichbar, deshalb freue ich mich, dass mit den „Deepfake Diaries“ Akteure wie Oskar Schindler oder Georg Elser wieder ‚lebendig‘ werden und die Möglichkeit haben, sich unmittelbar mitzuteilen.“
Quelle: Pressemitteilung des ZDF, 30.04.2025
Deepfakes sind schon längst ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem für alle Medien. Dass wir Fotografien nicht mehr glauben können, weil jedes Smartphone schon die notwendige Software und Rechenpower eingebaut hat, um Bilder zu manipulieren, wissen wir schon länger. Dass wir dem, was wir in Filmen sehen, nicht glauben sollten, haben uns 150 Jahre Kinogeschichte beigebracht. Im Grunde wissen wir, dass, was wir dort sehen, mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
Wenn wir nun aber selbst dort, wo zuallererst „Wissen“ und „Fakten“ vermittelt werden sollen, auf Mittel zurückgreifen, die selbst zum Zwecke des Entertainments schon umstritten genug sind – erinnert sich noch eine:r an den monatelangen Streik der Schauspieler:innen und Autor:innen in Hollywood 2023? – dann haben die Macher:innen gleich mehrere Verträge des Teufels unterschrieben.
Der Geschichtsprofessor fährt darauf ab, weil historische Persönlichkeiten „sich unmittelbar mitteilen“ können? Das gleich ist auf so vielen Ebenen falsch… Die neue Bundesregierung hat was vor. Das Fach „Medienkompetenz“ dringend in allen Schulen ab der 7. Klasse durchzusetzen, wäre das, was mir hier einfällt. Da hätte Karin Prien was wirklich äußerst Sinnvolles zu tun. Doch wer sagt es ihr? Wolfram Weimer wäre wohl wenig wahrscheinlich…
Was und wem sollen wir noch glauben?
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