Igor Levit über Margot Friedländer

Der Mitschnitt der improvisierten und bewegenden Rede von @igorpianist während der Gala zum Deutschen Filmpreis, kurz nachdem er vom Tod seiner Freundin, Margot Friedländer erfahren hat, verdient es absolut, für sich zu stehen und gesehen und gehört zu werden. Es war ein besonderer Moment der Würdigung des Lebens einer ganz besonderen Frau. #NiemalsVergessen

 
 
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Transkript der Rede von Igor Levit >>

Meine Damen und Herren, liebe Freunde,

es ist gerade ein bisschen schwer. Ich bin vor etwa 8 Minuten hinter die Bühne gegangen, mit dem Plan, über Filmmusik zu sprechen. Im Gang hinter die Bühne wurde ich von einer Nachricht regelrecht überrollt. Eine Nachricht von solcher Bedeutung — international und vor allen Dingen für dieses Land — dass sie jede Sekunde und eine Würdigung verdient.

Es gibt Momente, die sind größer als der Preis. Größer als wir alle.

Meine Damen und Herren, Margot Friedländer ist gestorben.

Ich denke, vielleicht ist das einen kurzen Moment wert, dass wir alle in Stille aufstehen.

Vielen Dank.

Margot, dieses Wunder an Menschlichkeit. Diese so warmherzige, großzügige, unglaubliche Person. Dieser am Ende kleine Mensch, der zugleich der größte war, den man sich vorstellen konnte. Die mit einem Händedruck — ich bin sicher, vielen von uns, die ihr begegnet sind, die ihr zugehört haben — mit einem Händedruck ein Gefühl gab von Sinnhaftigkeit. Nicht immer von Optimismus, aber immer für Sinnhaftigkeit.

Sie ist nicht mehr. Ich weiß gar nicht genau, wie ich jetzt weitermachen soll. Ich komme gleich dazu. Ich habe Margot vor, auf und hinter der Bühne erlebt. So viele Appelle, die sie an uns gerichtet hat — Appelle der Menschlichkeit. Mensch zu bleiben, immer im Kopf habend, was „Mensch“ eigentlich heißt. Das jiddische Mensch, der gute Mensch, der Mensch von Ehren.

Und die Margot hinter der Bühne, die soviel, was in ihr war — auch soviel Enttäuschung — mit soviel unendlicher Stärke, nicht immer gezeigt hat. Weil sie uns Raum gab. Mehr noch, als ihr selbst. Sie war ein Wunder von Mensch.

Vor Kurzem wurde ich gefragt: Was wird von so einem Menschen bleiben, wenn er nicht mehr ist? Die einzige Antwort, die mir einfiel, war: Das wird sich zeigen. Es wird sich zeigen, was von Margot Friedländer für uns alle bleibt. Es wird sich zeigen, ob ihre Appelle, ihre Worte, ihr Leben, ihre Vergangenheit dazu führen, dass wir nicht nur hier, in diesen Räumen, nicht nur da, wo es bequem ist, gemütlich, sich gut anhört, sich gut anfühlt, ihre Ziele formulieren. Sondern dass wir draußen, auf der Straße, im realen Leben, diese Ziele auch verfolgen. Und dass wir keine Angst haben, davor, auch mal dahinzugehen, wo es sehr weh tut.

Ich habe hier irgendwo aufgeschrieben, geschrieben über Grauzonen, die fehlen, in so vielen Debatten. Das stimmt. Sie fehlen. Aber es gibt da die eine Ausnahme. Diese Ausnahme sollte in jedem Land, sollte vor allen Dingen in diesem Land gelten. Nicht nur im Rahmen der Gedenktage, 80 Jahre nach Kriegsende, 80 Jahre Befreiung, 80 Jahre Niederlage, nicht nur zu Gedenktagen an die Befreiung der Konzentrationslager. Sondern jeden einzelnen Tag.

Gibt es keine Rechtfertigung!

Und Opportunismus ist schon gar keine Rechtfertigung, auch nur einen einzigen Millimeter — in Sprache oder Tat, innerhalb oder außerhalb von Parlamenten — nicht einen Millimeter freiwillig jenen zu überlassen, die all das, wofür Margot Friedländer 103 Jahre lebte, zerstören wollen.

Lassen Sie mich eines sagen. Nach so vielen Jahren — ich habe auch mehrfach mit ihr darüber gesprochen, sie hatte die Kraft nicht mehr, das zu formulieren — nach so vielen Jahren, wo die Feinde sich nicht mehr demaskieren müssen. Es ist an der Zeit, auch vor Kameras aufzuhören, von „der Partei“ zu sprechen. Sie heißt AfD. Und so sollte man sie auch nennen. Nicht Namen nicht nennen. Nennt sie, benennt sie. Und zeigt euch.

Das ist gerade ein sehr großer Moment. Für alle, die Margot persönlich kannten, umso größer. Sie war ein großes Wunder. Ihre Existenz, ihr Leben, war eine Aufforderung, ihr gerecht zu werden.

Ihre nun nicht mehr reale Existenz unter uns ist eine noch viel größere Aufforderung, ihr gerecht zu werden. Denn sonst bleibt nicht viel von ihr. Und das dürfen wir, das darf keiner von uns, der noch an Menschlichkeit glaubt, zulassen.

Möge ihre Seele in Frieden ruhen.

Igor Levit, Berlin, 09.05.2025 (editiert)
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SPIEGEL: Ein Wunder von Mensch, Susanne Beyer, 10.05.2025 (€)

FAZ: „Ihr habt es in der Hand, dass das nicht wieder passiert“, Heike Schmoll, 10.05.2025

ZEIT: Die Jahrhundertlichtgestalt, Christoph Amend, 10.05.2025 (€)

Tagesspiegel (DPA): Igor Levit kämpft mit den Tränen, 10.05.2025

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