Also, das gab’s auch noch nicht: DWDL, der charmante Branchendienst aus Köln, der uns sonst Quoten, Programmpläne und Streaming-Rankings um die Ohren haut, hat sich tatsächlich mit @uebermedien zusammengetan.

Jawohl, Übermedien! Das unabhängige Medienkritik-Magazin, das sich in den letzten Jahren als letzte Bastion einer ehrlichen, scharfen und oft bitterbösen Beobachtung der deutschen Medienlandschaft etabliert hat. Jetzt hocken sie gemeinsam im gleichen Boot – oder besser: unter dem gleichen Dach. Wenn wir das lesen, könnten wir glatt sentimental werden. Oder misstrauisch. Oder beides. Ich lese beide Seiten schon seit Jahren, gemeinsam mit dem @altpapier sind sie elementare Bestandteile meiner Mediendiät. Nicht zuletzt auch Inspiration und Quellen für die Kurzperlen. Bin ich deshalb sentimental? Die Nachricht ist ja schon mehr als einen Monat her. Das musste ich erstmal sacken lassen.
Einander zähmen oder gemeinsam wildern?
DWDL ist in der Branche bekannt für nüchterne, analytische Berichterstattung – mit dem feinen Gespür fürs Wirtschaftliche und das Quotenmessbare. Übermedien dagegen waren lange die rebellischen Aufklärer:innen, die sich per Abomodell finanzierten und dabei mit bissigen Kommentaren und vor allem auch investigativen Reportagen ein Alleinstellungsmerkmal hatten. @niggi, Mitgründer und Gesicht von Übermedien, zieht sich zurück – oder wie er selbst sagt, er will mehr Freiheit. Na klar, wer will das nicht? Vielleicht heißt das auch einfach: Raus aus der Verantwortung, weg von der Bürde, unbequem zu sein.
Thomas Lückerath von DWDL sieht darin eine „komplementäre Verbindung“. Klingt nett, oder? Das ist ungefähr so, als würde man Wolfgang Niedecken und die Ärzte in einer Band zusammenbringen – alle gut, aber ob’s harmoniert? (DWDL)
Ich habe mal zurückgeblättert und einen Kommentar des DWDL Chefs gefunden, in dem es noch um eine ganz andere Fusion ging – den Verkauf von Turi2 an die Mediengruppe Oberauer:
Proud to be different! So wie – auf ihre Art – übrigens auch die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von Übermedien, Journalist, Medieninsider oder eben dem Altpapier, dafür sorgen, dass es neben der jüngsten Marktkonzentration doch noch eine größere Vielfalt gibt als der DJV befürchtet.
– Zur Marktkonzentration im Medienjournalismus – Proud to be different: Wir bleiben im grünen Bereich – Kommentar von Thomas Lückerath am 02.04.2024
Was heißt das für die Medienkritik?
Mit dem Geld von DWDL im Rücken, das ja wiederum eng mit der TV-Branche vernetzt ist, könnte Übermedien jetzt endlich richtig aufrüsten. Aber: Wie unabhängig können die Berliner:innen noch sein, wenn sie in Zukunft mit dem Branchenriesen gemeinsame Sache machen (müssen)? Die kleine Querschläger-Ecke, die immer vor allem durch ihre kritische Distanz punkten konnte, wird jetzt Teil eines großen Ganzen. Man will sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn schließlich muss man jetzt miteinander statt gegeneinander agieren. (FAZ)
Droht uns ein Einheitsbrei, eine Art Medienkritik light mit dezentem Whistleblower-Aufguss? DWDL hatte sicher nie etwas gegen Whistleblower, aber doch eher ohne einen spitzen Stachel.
Solidarisch, aber kritisch
Hier ein solidarisches Hoch auf alle, die weiter kritisch bleiben – trotz der Zwänge, trotz der unübersehbaren Kommerzialisierung. Es ist keine Schande, sich weiterzuentwickeln, und vielleicht ist das Zusammengehen sogar ein Rettungsanker in einem von Printsterben, Streamingkriegen und Klickdruck gebeutelten Markt.
Wir sollten dennoch wachsam bleiben. Unabhängige Medienkritik ist die letzte Bastion gegen Verzerrung, Desinformation und Oligopole im Mediengeschäft. Wenn diese Bastion sich mit einem Teil dieser Oligopole verbündet, dann wird die glaubhafte Watchdog-Rolle schwerer.
Wenn wir das Ganze aus der Ferne betrachten, fühlt sich das an wie eine arrangierte Ehe: Ein bisschen Liebe, ein bisschen Kalkül und jede Menge Erwartungen. Nur: Wer heiratet schon gern, ohne vorher das Kleingedruckte im Ehevertrag gelesen zu haben? (Altpapier, Meedia, Kress-Report)
Wir sitzen alle in diesem Boot. Ich wünsche, dass es nicht leck schlägt. Dass Übermedien auch unter DWDLs Fittichen genug Mut behalten, die Dinge beim Namen zu nennen. Und dass wir weiterhin scharfe, unabhängige Medienkritik lesen können – egal, auf welchem Portal.
Wer weiß: Vielleicht wird diese Ehe ja doch eine Liebesgeschichte?
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