Ich kann mir nicht helfen. Ich verstehe weder die FDP, noch die Grünen. Ich sitze nur vor diesen Umfragen einschlägiger Institute und den Kommentaren einschlägiger Medien, und frage mich, ob ich vielleicht mal da anrufen sollte… aber ich hab‘ die Nummern nicht.
Während in der FDP nun eine Umfrage unter ihren Mitgliedern läuft, ob die Partei ihre Minister:innen aus der Regierung und die Partei aus der Koalition zurückziehen soll. Ziehen die Grünen ihren Vizekanzler und die Außenministerin aus dem letzen ihnen verbliebenen Parteigremium zurück – aus Angst vor schlechten Wahlergebnissen oder, vielleicht schwerwiegender, aus Angst vor eindeutigen Wahlergebnissen und einer Vorentscheidung der Spitzenkandidatur 2025.
Dabei sind beide Sachverhalte eigentlich entschieden. Jedenfalls meinen das eben jene Demoskop:innen zu beweisen, die mit ihren Umfragen Schlagzeilen und, vor allem, Umsatz und Werbung für sich selber machen.
Zwei von drei
Alle Parteien der Ampelkoalition haben an Vertrauen ihrer Wähler:innen verloren. Alle, außer den Grünen. Während der Kanzler die SPD wieder auf die schlechtesten Umfragewerte ihrer Geschichte zurückgeworfen wurde (-10% im Vergleich zu den letzten Bundestagswahlen), die FDP (-6%) ihr Wahlergebnis glatt halbiert hat, und in der prekären Zone der 5% Hürde wieder um ihr parlamentarisches Überleben fürchten muss, haben einzig die Grünen sich nichts vorzuwerfen… sie stehen stabil dort, wo ihre Wähler:innen sie auch im letzten Wahljahr bestätigt haben: 14% (+/- 0).
Ich würde instinktiv sagen, diese Umfragen repräsentieren ziemlich genau ganz ungefähr ihre Stammwähler:innen. Und das kann für keine der Parteien eine Überraschung sein. Denn die kennen ihr Potential weit besser, als wir, die wir auf die Zahlen starren und versuchen uns einen Reim darauf zu machen.
Die FDP ist ihr eigenes Opfer
Wie kann eine Partei sich noch glaubhaft um Regierungsverantwortung bewerben, wenn ihre Bilanz nach zwei Jahren eigentlich nur als Totalblockade dessen wahrzunehmen ist, für das sie angeblich in diese Regierung eingetreten ist. „Besser regieren“. Diese Partei regiert nicht. Sie reagiert. Und zwar nach Mustern, die zwar ihrer „Basis“ zuspricht aber eben längst nicht mehr den Wähler:innen, die bei der letzten Wahl noch bereit waren, das Experiment einer Ampelregierung zu wagen und ihr das Vertrauen zu geben. Von einer „Fortschrittskoalition“ wirklich keine Spur. Im Gegenteil. Die Partei ist inzwischen sogar hinter die, nicht mehr sehr hohen, Ansprüche der letzten schwarzroten Legislatur Merkel zurückgefallen. Vom Marktliberalismus zum Atomkraftrevival, zur Verkehrspolitik bis zur Sozialpolitik… ist das was wir bekommen haben, kaum zu unterscheiden von dem was Alexander Dobrindt (Bayern) oder Friedrich Merz (Sauerland) auf dem Sprechzettel haben. Und gegen Herrn Lindner wirkt sogar ein Olaf Scholz wie ein moderner Finanzminister. Dumm nur, dass der das vergessen hat.
Kein Mensch braucht die FDP. Das haben die Menschen wohl erkannt. Und nun wählen sie eben was anderes. Die Belohnung hat sie sich anders vorgestellt. Und deshalb wollen mehr als 500 ihrer Mitglieder jetzt raus aus der Koalition. Das kapiere ich nicht. Sich konstruktiver Politik zu verweigern ist eins. Sich selbst in einem Rattenrennen mit den Grünen raus aus der Koalition und in die Bedeutungslosigkeit zu katapultieren, ist etwas anderes. Aber… irgendwie ist beides auch ganz das selbe. Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
Stammwähler:innen hat die SPD wohl auch… aber eben viel zu wenige, im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit. Olaf Scholz wird sich nicht mehr ändern. Bundeskanzler kann er nicht. Viele haben das schon vor der Wahl gewusst, weil sie ihn kannten. Am größten ist die Enttäuschung darüber wohl in der SPD selbst. Und verzweifelt. Dem Drittel ihrer letztmaligen Wählerinnen, die das nun auch so sehen, spreche ich meinen Respekt und Verständnis aus. Aber deshalb Friedrich Merz (Sauerland) zu wählen oder gleich die AfD, das ist dann auch wieder Mord. Und die, die das nicht wollen, bleiben und sterben zuhause langsam aus.
Die erfolgreichste Partei der Koalition
Nun kann mensch sagen: Vierzig Jahre grüner Parlamentarismus, nur um sich in etwa auf dem gleichen Elendslevel wie die Sozialdemokrat:innen wieder zu finden, wo Frau Baerbock in den Sommerumfragen 2021 doch schon Kanzlerin war – ist das „Projekt“ da nicht gescheitert? Wie können wir da noch von einem „Erfolg“ sprechen? Da sag ich: Haltet mal die Luft an!
Erstens: Die SPD hat zum Erreichen dieser Zielmarke rund +/-170 Jahre gebraucht. Und wenn die unter dem Kaiser, Bismarck und Adolf Hitler aufgegeben hätten, dann wäre das Land heute auch ein anderes.
Zweitens: Die Grünen haben es nicht verstanden, dass „Kröten schlucken“ zwar politisches Kerngeschäft ist, aber politisches Handeln und Konsequenz nicht ersetzen kann. Es gibt fast nichts, aber eben auch nicht viel zu feiern, an der Regierungsbilanz der letzten zwei Jahre. Wer allerdings zum Feiern aufruft, verarscht sich nicht nur selbst, sondern auch seine Wähler:innen. Es war ein respektabler Versuch, angesichts widriger Umstände und selbstverursachter Probleme entlang des Weges, eine strukturelle Mehrheit links von der Union zu schaffen. Die erste solche Mehrheit, seit dem ersten Kabinett Merkel/Gabriel übrigens, als Sigmar Gabriel sich historisch an seiner Partei (und unserem Land) versündigt hat und seiner Zeit vor lauter Angst vor Rot-Rot-Grün in den Schoß von Mutti geflüchtet ist.
Der grünen Partei ist das Scheitern dieser Regierung nicht vorzuwerfen. (Bei einzelnen Repräsentant:innen sehe ich das allerdings durchaus und signifikant anders.) Mit der FDP hat es diese strukturelle linke Mehrheit eben tatsächlich nicht gegeben. Nichtmal eine Struktur. Ein Irrtum, ja. Deshalb hat sie nur zu gewinnen, wenn sie diesen Irrtum einsieht und diese Regierung verlässt. So müsste Friedrich Merz (Sauerland) Vizekanzler unter Olaf Scholz werden. Das wäre für beide eine Strafe, die sie verdient hätten. Und es wäre wirklich nicht abzusehen, wer da der Gewinner wäre.
Neuwahlen fallen als Option aus. Wegen… das hatten wir schon… Selbstmord (sozialdemokratisch) und so…
Derweil Scholz & Merz die Schuldenbremse reformieren (weil sie es müssen), hätten Herr Lindner und seine Fraktion Zeit gewonnen, nach einer sozialverträglichen Anschlussverwendung für sich selbst zu suchen. Mein Tip: Mal bei
oder Dirk Niebel anrufen – oder bei Porsche, Rheinmetall oder dem Fremdenverkehrsverein auf Sylt.Herr Habeck könnte derweil aus der Opposition heraus seine Kanzlerkandidatur in einer Grün-Schwarz-Roten-Hollandkoalition vorbereiten und Frau Baerbock ihren Abschluss „im Völkerrecht“ vollenden.