Sie müssen mir nachsehen, ich stehe mir, was meine Sprache und Schrift betrifft, selbst am meisten im Wege, mich ‚einfach verständlich‘ zu machen. Und so geht es, glaube ich, ganz vielen, für die das Reden und Sprechen zur Berufsausübung gehört. Aber eben nicht unbedingt auch das sich ‚verständlich machen‘, bei denen über die sie eigentlich sprechen.
Politik ist eine Domäne, da etabliert sich eine eigene Sprache fast ganz von selbst. Gehen Sie doch mal zu einer Ortsvereinssitzung einer Partei ihrer Wahl. Dann merken Sie nach wenigen Minuten: Die sprechen anders. Besuchen Sie mal eine Ausschusssitzung im Rat ihrer Stadt, und achten Sie auf die Sprache von Mandatsträger:innen und etwa anwesenden sachkundigen Bürger:innen.
Wenn die Sprache und die Welten schon auf der untersten, der kommunalen Ebene so deutlich zu unterscheiden sind, wird es, je höher wir in den parlamentarischen Vertretungen steigen, nur auffälliger. (Ausnahmen einzelner Mandatsträger:innen bestätigen natürlich meine Regel.)
Eine Sitzung des Landtags in NRW live zu verfolgen, und das auch noch freiwillig, würde mir eigentlich kaum einfallen. Da genügt mir wirklich die Zusammenfassung in der Aktuellen-Stunde des WDR im Abendprogramm.
Und das ist genau das Problem!
Denn das wissen die Rednerinnen und Redner genau. Sie reden ja nicht zu den Wähler- oder Bürger:innen, sondern zum (oft nur wenig gefüllten) Plenum und damit, ihren Kolleg:innen. Redaktionen verschneiden die Inhalte zu Soundbites und TikTok macht den Rest.
Verwechseln Sie das Alltagsgeschäft nur nicht mit Wahlkampfzeiten. Da dreht sich die Perspektive nämlich von innen nach draußen. Da sprechen Parlamentarier:innen plötzlich zum Volk (oder für die Kameras). Und manchmal machen Sie da aus dem Parlament auch eine Showbühne. Der Deutsche Bundestag ist dafür gegenwärtig ein besonders gutes Studienobjekt.
Im besagten Landtag in Düsseldorf tat sich dann doch, ziemlich unbemerkt von uns allen, etwas Unerhörtes. Denn mitten in einer Sitzung, die vor allem durch besondere Routine und Langeweile auffällig war, sprach Dennis Sonne, MdL für Bündnis 90/Die Grünen. Und er tat es so, dass auch die verstehen, worum es geht, die es betrifft.
Inklusion!
Das Thema hat es verlangt und angeboten. Denn es ging in einem Fraktionsantrag um Inklusion und Teilhabe – „Die Eingliederungshilfe in Nordrhein-Westfalen zukunftsfest aufstellen“. Lesen Sie gerne den Antragstext im Original. Und dann erklären Sie mir, was damit eigentlich entschieden werden sollte. Und warum.
Dennis ist da stur und konsequent, wie vielleicht nur ein Westfale. Denn er hat nicht nur seinen Antragstext in „Leichte Sprache“ übersetzt, sondern im Plenum auch entsprechend dazu gesprochen. Die Opposition war, so möchte ich es beschreiben, wohl mild irritiert. Doch ich glaube, alle Anwesenden haben ihm ausnahmsweise gut zugehört und kapiert.
„Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“
Hier ausgerechnet den Marx heranzuziehen, um für „Leichte Sprache“ von Parlamentarier:innen zu werben, ist ja auch schon wieder ein Widerspruch in sich. Hat doch der alte Trierer selbst meistens eine Sprache gepflegt, die eines Philosophen vielleicht angemessen schien, doch weniger seinen Subjekten, den Arbeiter:innen.
Dennoch hatte er recht. Und deshalb ist es auch für Abgeordnete angemessen und manchmal sachlich und inhaltlich sogar notwendig, in der Sprache auch jene anzusprechen und einzubeziehen, gerade wenn sie die Absicht haben, über deren ganz reale Lebensbedingungen zu entscheiden.
Jetzt mal ehrlich. Wir schreiben das 25. Jahr im 21. Jahrhundert. Und es hat sich bisher noch kein:e gewählte:r Abgeordnete:r an das Pult des Landtages gestellt, um eine Rede in leichter Sprache zu halten? Als Dennis mir das geschrieben hab, wollte ich es eigentlich nicht glauben.
Doch, sei es drum, es hätte ja außerhalb des Parlaments vermutlich auch keine:r gemerkt, wenn es das früher schon einmal gegeben hätte. Da habe ich mir gedacht, darüber zu schreiben, kann der Sache nur zuträglich sein. Und deshalb habe ich den Moment auch hier festgehalten.
Gut gemacht, Dennis! *
* Dennis Sonne und der Autor sind Nachbarn und befreundet.
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von Gerhard Voogt, Kölner Stadt-Anzeiger, 28.01.2025,
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