DeepSeek also. Der Disruptor kommt wiedermal aus China. Keine Überraschung eigentlich. Und während Silicon-Valley und das Weiße Haus noch überlegen, wie sie den Wettbewerber aus Asien sanktionieren sollen, macht die Open-Source Community sich eine Mate auf und feiert.
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Ja klar, die „Vernichtung“ von „einer Billion Dollar Börsenwert“ (Tagesspiegel, Paywall) macht eine gute Schlagzeile. Und die Surfer:innen auf der Nvidia-Aktie (Tagesschau) mögen um ihre Altersvorsorge bangen. Doch in mir regt sich etwas wie Befriedigung, ja Schadenfreude.
Sehen Sie es mir bitte nach, und haben Sie Mitgefühl. Es ist ganz und gar nicht so, dass mich die Auswüchse des IT-Kapitalismus nicht betreffen würden. Auch ein Teil meiner Altersvorsorge steckt schließlich in ETFs. Doch was ist schon mein persönliches Schicksal, gegen den Zuwachs des freien Wissens in der Welt?
Ich bin, ganz grundsätzlich, kein Fan der „Artifiziellen Intelligenz“. Im Gegenteil! Ich versuche diese tatsächlich so weit es eben geht, von meinem Leben fernzuhalten. Beruflich geht das nicht immer. Aber da ich inzwischen, soweit es dann überhaupt noch ein gesetzliches Rentensystem gibt, eine nicht mehr ganz weit in der Zukunft liegende Ruhestandsperspektive habe, kann mich auch das eigentlich kaltlassen.
Fortschritt definiert sich für die einen am Anwachsen ihres Aktiendepots, für die anderen wiederum am Bestand des menschlichen Wissens. Eine Handlungsfähigkeit der Menschen besteht nur, wenn eines zum anderen kommt. Kapital und Know-How.
Wenn aber der Einsatz des Know-Hows einzig in die Dienste des Kapitals gestellt wird, dann nennen wir das: Kapitalismus.
Vor etwa 50 Jahren hat sich eine Bewegung geformt, um, soweit es Software und Wissen betrifft, eben das Wissen dem Kapital zu entreißen, und die Software davon zu befreien. Open-Source war geboren. Und kurz darauf das Internet. Ob und wie viel der zivilisatorische Fortschritt davon profitiert hat, dazu kann es sicher unterschiedliche Meinungen geben. Doch Sie müssen wenigstens anerkennen, dass sie auch diesen Blog ohne Open–Source–Software (OSS) nicht lesen könnten.
Dass Kapitalisten mit freier Software kein Geld verdienen können, ist natürlich eine Lüge. Dass sie aber eine Gefahr für proprietäre Geschäftsmodelle ist, ist ihr Kern. Kein Wunder also, dass die Tech-Bros im Silicon-Valley OSS in inniger Hass-Liebe verbunden sind.
Damit hatte kaum einer gerechnet: Eine einzige Erfindung hat ausgereicht, um die großen amerikanischen Techkonzerne diese Woche kräftig durchzuschütteln. Der chinesische Konzern Deepseek hat eine neue Version einer Künstlichen Intelligenz (KI) vorgestellt, die mit den hiesigen Modellen mithalten kann. Damit nicht genug: Sie verbraucht dabei weniger Rechenleistung und ist als Open Source verfügbar – frei und kostenlos für jedermann. Damit sind nun einige Gewissheiten abgeräumt.
Und nun kommen ausgerechnet (angebliche) Kommunist:innen daher, und bauen für einen Bruchteil der Kosten und viel weniger der kostbaren Chips von Nvidia eine künstliche Intelligenz, die all die schönen Geschäftsmodelle von Microsoft, Amazon, Meta, Oracle und wie sie nicht alle heißen mögen (die meisten kenne ich sowieso nicht), in sich zusammenbrechen lässt. Und das nicht, weil sie etwa so viel schlauer ist, sondern weil ihre Maschine so viel effizienter mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen umgeht.
Es ist bewegend, den Lautsprecher:innen im Auftrag des US-Präsidenten (The Hill) zuzuhören, wie sie ausgerechnet Mark Zuckerberg für den „Ausverkauf Amerikas“ verantwortlich machen, weil er das LLM „Llama“ seines Meta-Konzerns unter eine Open-Source-Lizenz (Fortune) gestellt hat.
Altman admitted that DeepSeek has lessened OpenAI’s lead in AI, and he said he believes OpenAI has been “on the wrong side of history” when it comes to open sourcing its technologies. While OpenAI has open sourced models in the past, the company has generally favored a proprietary, closed source development approach.
Noch bewegender aber ist es, Sam Altman zuzuhören, der sich und seine Firma OpenAI plötzlich auf der falschen Seite der Geschichte wiederfindet und sich dabei auch noch bitterlich beklagt (Financial Times), dass DeepSeek sich frech an seinen proprietären Modellen bedient hätte… während seine Firma genau das Gleiche vollzieht, und zwar mit dem gesamten verfügbaren Wissen (NYT) im Internet (vermutlich auch diesem kleinen Blog).
Lesen Sie auch diesen hervorragenden Kommentar von Marina Hyde im Guardian (Englisch): „Oh, I’m sorry, tech bros – did DeepSeek copy your work? I can hardly imagine your distress“.
Ich persönlich denke, AI wird noch in diesem Jahrzehnt unser aller Leben massiv beeinflussen, wenn es nicht längst schon der Fall ist. Ihr Einfluss mag unterschiedlich schwerwiegend sein. In jedem Fall wird der Grad davon abhängen, wie technologisiert unser Umfeld ist. Das betrifft heute schon die Wissenschaft, durchseucht das Internet sowie die Medien. Schon in Kürze bestimmt sie auch das Angebot im Supermarkt und reicht bis an das Pflegebett der Schwiegermutter im Altersheim.
Machen wir uns also nichts vor. Wir können die Technologie ablehnen, wir können, wie ich, versuchen, uns ihr zu verweigern. Doch sie geht nicht mehr weg.
Da sind Open-Source Lösungen tatsächlich für Demokratien die einzig akzeptable Variante. Denn nur, wenn Code und Modelle offen liegen, ist die Technologie auch kontrollierbar. Selbst, gerade und ganz besonders, wenn sie nicht aus Europa kommt.
„What Goes Around, Comes Around…“
Dieser Beitrag erschien zuerst am 01.02.2025.
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