ALL COPS ARE… – Jette!

Na klar, „ACAB – All Cops Are Bastards“ sieht fett aus auf dem Pulli. Ein Statement, das ballert, das polarisiert, das knallt. Und natürlich: Jette Nietzard (nein, auf Instagram verlinke ich nicht!), Sprecherin der Jungen Grünen, zieht das Teil an – und die Partei bekommt Schnappatmung wie Markus Söder. Am liebsten würden einige Jette gleich zu den Linken rüberschieben. Die täten sie wohl gerne nehmen, denke ich.
Ein wichtiger Merksatz für Jette Nietzard und die Partei „Die Grünen“. | Foto von Jordan Bracco auf Unsplash

Sollen die sich doch mit dieser Radikalität rumschlagen, „Die Grünen“ wollen schließlich mehrheits- und regierungsfähig sein! Es ist fast schon peinlich, wie wenig Selbstbewusstsein diese Partei hat, wenn’s um ihre eigenen Nachwuchs-Grünen geht. Dabei war’s doch genau dieser radikale Spirit, der die sie überhaupt erst groß gemacht hat. Der rebellische Geist, der den Mut hatte, gegen das System zu pfeifen und Neues zu wagen. Und jetzt? Angst vor einem Pulli. Lächerlich.

Ich hab das selbst erlebt. Ich wäre fast ein Punk geworden damals. Mit Irokesenschnitt, zerrissenen Jeans und diesem alles-zerschmetternden „Fuck everything!“-Blick. Ich hab die Polizei gehasst, jeden Uniformträger für einen Unterdrücker gehalten. Alles, was nach Autorität aussah, war mein Feindbild. Diese rebellische Haltung war wie eine Waffe gegen das, was ich als ungerecht empfand.

Und ja, ich geb’s zu: Das hat sich geil angefühlt. Diese Radikalität, dieser Hass auf „die Bullen“ – das war wie ein Befreiungsschlag, ein Aufbegehren gegen die Mächtigen. Aber ich hatte sehr gute Lehrer:innen und irgendwann, mit der Zeit, hab ich gemerkt: So einfach ist die Welt nicht. Dieses Schwarz-Weiß-Denken war eine Sackgasse. Es hat mir nicht geholfen, die wirklichen Probleme zu verstehen, geschweige denn zu lösen. (Außerdem wolle ich Punk meiner Mutter einfach nicht antun.)

Was mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat? Ich kenne noch immer ein paar Polizist:innen. Einige schon mehr als zwei Jahrzehnte. Richtig gute Menschen. Leute, die sich den Arsch aufreißen, die jeden Tag versuchen, ihre Arbeit so zu machen, dass sie den Menschen und nicht dem System dienen. Die sich gegen rechte Netzwerke in den eigenen Reihen stellen. Die mit migrantischen Jugendlichen in Brennpunktvierteln reden, statt sie gleich abzuführen oder zu kriminalisieren. Menschen, die morgens genauso kotzen, wenn sie sehen, wie Kollegen ihre Macht missbrauchen und alle Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten.

Wenn wir diese Polizist:innen in einen Topf mit den anderen werfen und sie zu „Bastards“ abstempeln, dann vergraulen wir genau diese Menschen. Die kritischen Kräfte, die innen gegen den autoritären Sumpf kämpfen. Dann bleibt nur der rechte Block übrig, der Macht um jeden Preis sichern will – und der hat schon immer gewusst, wie man sich verteidigt.

Irgendwann habe ich verstanden: Diese Gesellschaft ist es wert, für sie zu kämpfen. Denn alle Alternativen, die wir damals kannten – linksradikale Sekten, anarchistische Nischen, rechte Gewaltphantasien – waren nicht besser, sondern immer schlimmer. Das realistische Denken ist unbequem, ja. Aber ohne kritische Stimmen innerhalb der Polizei, ohne Verbündete in Uniform, die mit uns gegen Rechtsradikalismus und autoritäre Gewalt kämpfen, haben wir diesen Kampf schon verloren. Dann gehören die Straßen denen, die von einer „Volksgemeinschaft“ träumen, von Law and Order, von einem Staat, der sich gegen jede linke Bewegung wendet. Und das kann niemand wollen, der:die auch nur einen Funken linken Realismus besitzt.

Schauen wir zurück: Die Grünen haben das früher verstanden. Joschka Fischer zum Beispiel. Joschka, ausgerechnet! Der Mann, der als radikaler Straßenkämpfer begann, der mal mit Steinen warf und systemkritisch laut war. Später wurde er Außenminister und zeigte, wie Realpolitik funktioniert. In seinen eigenen Worten: „Ich habe aus meiner Vergangenheit nie ein Geheimnis gemacht.“ (Der Spiegel, „Tapfer gegen den Strom“, 1998) Ich hatte Respekt vor dem Mann – ein radikaler Typ und ein Vorbild darin, linke Überzeugungen mit realpolitischem Handeln zu verbinden. Aber Fischer war eben auch einer der Ersten, die die Partei puren Machtinteressen untergeordnet hat. Mit ihm begann der Ausverkauf grüner Ideale, der die Partei Stück für Stück in den Mainstream führte und ihr rebellisches Herz austrocknete. Deshalb habe ich die Partei damals verlassen. Nicht aus mangelndem Respekt, sondern weil ich gesehen habe, wie eine Bewegung, die mal anders sein wollte, begann sich selbst zu verleugnen.

Jürgen Trittin, der lange Zeit Umweltminister war, hat seine linke Grundüberzeugung nicht verloren, auch wenn viele ihn für einen verwaltenden Politiker halten. Er sagte mal: „Politik beginnt erst nach der Analyse. Und dafür braucht man Mehrheiten. Um Mehrheiten zu gewinnen, muss man sich häufig mit unterschiedlichen und auch gegensätzlichen Interessen auseinandersetzen und am Ende möglicherweise für einen Konsens einen Kompromiss schließen.“ (Tagesspiegel, 13.05.2024) Jürgen wusste, dass echte Veränderung mehr ist als bloße Empörung – sie verlangt nüchternes Ringen um Macht, um Einfluss und darum, konkrete Politik zu machen.

Und dann Daniel Cohn-Bendit, radikaler Intellektueller und unbequemer Mahner. Sein Credo: „Jeder, der politisch radikale Positionen vertritt, muß wissen, daß die Situation sich auch verändern kann.“ („Die RAF wollte nicht diskutieren“, taz 1997) Cohn-Bendit war sozusagen die Inkanation des Gedankens, dass Radikalität immer mit klarem Denken und Pragmatismus zusammengehört. Er warnt davor, in simple Feindbilder zu verfallen, denn die zerstören nur die Debatte und bewirken nichts.

Und heute? Die Grünen Jugend wird (wieder) zum Prügelknaben. Der ACAB-Pullover der Chefin ist nicht der Grund, sondern nur ein Anlass. Dabei zeigt die Praxis: Die jungen Grünen kämpfen differenziert und für mehr als nur Symbolik. 2022 beispielsweise organisierten sie bundesweit Proteste gegen Polizeigewalt und für mehr Demokratie und Transparenz bei der Polizei (Grüne Jugend Sachsen, 2022). Sie forderten klare Distanzierung von rechtsextremen Strukturen in Sicherheitsbehörden und setzten sich für eine demokratische Polizei ein, die auf Kontrolle und Bürgerrechte baut. Jette Nietzard und ihre Kolleg:innen stehen für genau diese radikale, aber differenzierte Haltung. Kein billiges „Alle Bullen sind Bastarde“-Geschrei, sondern der Versuch, mit klarer Kante für gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen.

Die Grüne Jugend in Hamburg veröffentlichte sogar schon 1999 eine Stellungnahme, in der sie sich kritisch mit der Verschärfung der Hamburger Sicherheitsgesetze auseinandersetzt. Sie äußerten ihre Kritik hinsichtlich neuer polizeilicher Befugnisse und forderten eine progressive Polizeipolitik, die die Rechte der Bürger:innen stärkt. Das war konkret, das war sachlich, präzise, konstruktiv und es war (meistens) mehr, als von der Mutterpartei zu hören war.

Heute haben wir stattdessen Winfried Kretschmann (Spiegel) und Cem Özdemir. Kretschmann, der mit seiner schwarz-grünen Regierungskoalition das linke Profil der Grünen weitgehend ausradiert hat, ist vor allem daran interessiert, seinen Posten und sein Erbe als Ministerpräsident zu sichern – auch wenn das bedeutet, die radikale Jugendbewegung kleinzuhalten. Cem Özdemir, der einstige Hoffnungsträger mit Visionen, hat sich längst in die Politik des Machterhalts eingefügt. Gemeinsam stehen sie symbolisch für den Realpolitik-Kurs, der mehr auf Verwaltung als auf Veränderung setzt – auf den Erhalt von Ämtern statt auf die radikale Erneuerung der Gesellschaft.

Diese Politik wird der Partei den Nachwuchs, die Energie und die Zukunft kosten. Denn wenn die Jungen Grünen nicht radikal sein dürfen – wenn sie nicht mal einen dummen ACAB-Pulli tragen dürfen, ohne gemobbt zu werden –, dann ersticken sie genau das, was die Grünen einmal ausgemacht hat: eine mutige linke Kraft, die unbequem und streitbar war.

Ich habe Respekt vor Jettes Trotz. Ich habe Respekt vor jedem jungen Menschen, der sagt: „Fickt euch alle!“ – das ist nicht mehr mein Stil, doch oft ist das der erste Schritt zum Wachwerden.

Der ACAB-Slogan macht allerdings platt, was wir jetzt dringend bräuchten: Differenzierung, Bündnisse, Solidarität. Ich kenne Polizist:innen. Keine Bastarde. Ich weiß, dass sie kämpfen – für uns, für ein bisschen mehr Gerechtigkeit mitten im autoritären Dreck. Jette muss diese Leute treffen. Sie muss das lernen, erfahren und dann in Politik umsetzen.

Deshalb würde ich aber vorschlagen darum zu kämpfen, dass diese jungen Grünen radikal bleiben dürfen. Ich würde um Jette kämpfen. Vor allem: Reden und reden lassen. Weil ich sonst nicht glaube, dass diese Partei überhaupt noch eine Zukunft hat. Wenn sie ihren eigenen Nachwuchs mundtot macht, wenn sie sich von den eigenen radikalen Impulsen verabschiedet, dann ist das Ende verdient.

Radikal sein heißt nicht, alles kaputtmachen zu wollen. Radikal sein heißt, das System wirklich verändern zu wollen – und dazu braucht es auch Mut, Streit und das Aushalten von Widersprüchen. Wer das verbietet, kappt die eigenen Wurzeln, ohne die die Grünen eingehen werden, wie eine im Klimawandel vertrocknete Sonnenblume.

Jette soll den Pulli ruhig weiter tragen, denn:

All Colors Are Beautiful! 🌈


Feedback im Fediverse:

  1. Avatar von Exxo
    Exxo

    @ruhrwellenreiter Gehe d'accord. Vor einigen Tagen hatte ich auch schon dazu getrötet – die Grünen werden zu einem ebensolchen Apparatschik-Laden wie die SPD.

    Wer soll mal ein bissl radikal (und unreflektiert) sein dürfen, wenn nicht die Jugend?

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