Die Musikdokumentationen, die Arte für sein TV-Programm aussucht, sind immer von ausgesuchter Qualität. In diesem Einzelfall muss ich ein Geständnis vorausschicken: Dieser Film hat mich, insbesondere in seiner Schlussphase, noch mehr berührt, als es ihre Lieder konnten.
Mrs. Baez, ihre Lieder und ihre Stimme haben immer polarisiert, wie es auf andere, aber auch ähnliche Art z.B. Claudia Roth tut (die ich zufällig weit besser kenne). Ihre Emotionalität wirkt auf große Teile des Publikums zu dick aufgetragen, ist sie aber nicht.
Sie ist echt. Das schreckt die einen ab, meistens eine Mehrheit, bindet aber eine Fangemeinde fest an sich. Ich prahle nun: Ich bete solche Damen nicht an, weil sie eine Seite haben, die ich im Alltag nicht um mich haben mag. Aber ich respektiere sie, und beneide sie um ihre Kraft, die sie in ihr politisches Engagement investieren.
„Das eindringliche Porträt der legendären Sängerin und Aktivistin Joan Baez begleitet sie auf ihrer Abschiedstournee und gibt einen unvergleichlich intimen Einblick in ihr Leben – von den Höhen der Bürgerrechtsbewegung und ihren musikalischen Erfolgen bis zu den Auseinandersetzungen mit ihren persönlichen Dämonen.“
ARTE
Dieser Film über Joan Baez legt nun mit ihrer eigenen Mitwirkung offen, auf welch fragilem Fundament diese Kraftanstrengung steht. Ich würde nicht mit ihr, ihrem Ruhm und ihrem gemäßigten US-amerikanischem Reichtum tauschen wollen.
Zwei aufeinanderfolgende Schlüsselsätze in dem Film – vielleicht vom Therapeuten, das konnte ich nicht identifizieren – lauten: „Sie ist die meiste Zeit emotional krank … Sie hat die normale Welt verlassen.“
Mich gruselt das. Die 83-jährige Baez – bei den Dreharbeiten vielleicht 1-2 Jahre jünger – steht indessen vor der Kamera, und kommentiert ihre eigene Tragik. Ist das gruselig? Oder großartig? Entscheiden Sie selbst.
Eine mögliche Betrachtung: die Kunst hat ihr das Leben gerettet, und sie ihre zwei schönen Schwestern überleben lassen.
Dieser Beitrag von Martin Böttger erschien am 10.12.2024 zuerst im Beueler-Extradienst. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors. Alle Rechte vorbehalten.
Musik-Dokumentarfilm, USA, 2023, Regie: Maeve O’Boyle, Karen O’Connor, Miri Navasky, Mit: Joan Baez
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