Meine Medien-Blase und die Barrikaden


Vom Platzen der Blase: Ich komme manchmal nur sehr schwer von Gewohnheiten los. Dazu gehört insbesondere mein Medienkonsum. Warum ich, zum Beispiel, heute noch Spiegel-Online lese, weiß ich ehrlich gesagt wirklich nicht mehr. Vielleicht nur, weil es das schon gab, als ich damals (1994) zum ersten Mal online gegangen bin.
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Früher, so sagen mir Menschen, die älter sind als ich, sei „Der Spiegel“ mal „links“ gewesen. Daran kann ich mich kaum erinnern. Was ich noch erinnere, war der Feldzug seines Herausgebers gegen den damaligen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Franz Josef Strauß. Rudolf Augstein hat das persönlich genommen. Zu Recht. Denn das war persönlich. Aber der Ursprung dieser Fehde war eben auch schon 1962 – und damit vor meiner Geburt.

Heute ist Augstein lange tot. Und das Blatt aus Hamburg existiert nur noch als RSS-Feed auf meinem Computer. Das ist mehr als genug, um zu selektieren, was eventuell lesbar und interessant ist. Die Quote an Klatsch, Boulevard und Clickbait macht es allerdings immer schwieriger. Und das ist das Problem. Denn der Spiegel weiß natürlich darum, weil es sein Geschäftsmodell ist. Und damit unterscheidet er sich nur noch wenig von anderen Onlinemedien.

Im Fernsehen ist das überhaupt nicht anders. Ein Mensch muss sich theoretisch durch so viel irrelevanten Müll durchsehen, dass es keine:r mehr schafft, die Sendungen, Reportagen, und ja, tatsächlich auch die eine oder andere Talkshow zu finden, aus welcher tatsächlich noch ein Erkenntnisgewinn zu beziehen wäre.

Monitor (WDR)

Deshalb beziehe ich auch mein Fernsehangebot fast nur noch durch die Mediatheken. Aber diese Menge wird auch immer kleiner. @georgrestle zum Beispiel hat mit „Monitor“ (WDR) darin noch immer seinen festen Platz. Doch ist das so, weil er so gut, oder weil er so vertrauenswürdig ist? Oder ist es nur meine Gewöhnung an das Format, welches ziemlich genauso lange existiert, wie ich?

Führer war wirklich einiges besser. Mensch, ich kann mich noch genau an Claus Hinrich Casdorff erinnern. Der Mann war mal so etwas wie mein erster Politiklehrer. Und fast wie selbstverständlich waren Gerd Ruge und Klaus Bednarz für mich dann prägende Köpfe. Denn sie alle haben über Jahrzehnte den Maßstab gesetzt, für das, was politischer Journalismus konnte. Und haben nur damit tatsächlich das Tagesgespräch mitunter wochenlang dominiert.

Restle dagegen, ein paar Jahre jünger als ich, sozusagen aus der Enkelgeneration Cassdorffs, kann von der Reichweite seiner Vorgänger:innen nur noch träumen und hoffen, dass er überhaupt wahrgenommen wird. Es ist ja auch eine andere Welt inzwischen. Denn da, wo früher erst 2, dann 3, dann 5 Programme konkurrierten, geht es jetzt in die Hunderte. Locker mehr, wenn wir all die Online- und Streamingkanäle mitzählen.

Jon Oliver

So wie ich an Restle und „Monitor“ hänge, so hänge ich zum Beispiel auch an Jon Oliver. Auch wenn es seine Show „Last Week Tonight“ (YouTube) erst seit 10 Jahren gibt. Doch in diesem, etwas mehr als einem Jahrzehnt, hat der einst als Stand-up-Comedian gestartete mittelalte Brite das ur-amerikanische Format einer Late-Night-Show so nachhaltig umgekrempelt, dass daraus eine der, für mich, am meisten ernstzunehmenden Shows im amerikanischen Fernsehen geworden ist. Gestern kam er mit der ersten Folge für dieses Jahr (YouTube) zurück.

Ich habe Oliver oft zur Orientierung genutzt, weil mir CNN, mit der perversen Jagt nach „Breaking News“, viel zu wenig Hintergrund geliefert hat, und andere amerikanische Sender hier nur über Umwege zu sehen waren. Ich habe von Oliver aber, vor allem, auch oft eine Menge gelernt. Dinge die ich nicht wusste, Dinge die ich nicht kannte oder Dinge, die ich nicht verstand.

Auch @janboehm und seine Redaktion des @zdfmagazin in Ehrenfeld verpassen, so wie ich, kaum eine Episode und haben dort sicher ebenso viel gelernt, wie ich. Wenn auch, vermutlich, ganz andere Dinge.

Doch heute traf mich eine furchtbar emotionale Selbsterkenntnis. Ich war traurig über das, was ich sah. Denn meine Blase ist geplatzt.

Was nützt es, wenn ein:e hervorragende:r Journalist:in/Anchor:woman hinter sich eine der besten Redaktionen des Landes weiß und gut bezahlt, jede Woche / jeden Monat, eine feste Sendezeit, wenn die Sendung, die dabei herauskommt, nur im PayTV eines Kabelkanals (HBO) ausgestrahlt wird? Selbst die ein- bis drei Millionen Abrufe auf YouTube ändern nichts daran, dass die Gruppe jener, für die das gemacht ist, natürlich viel zu klein ist, in einem Land, das tatsächlich über 100x mehr Einwohner hat. Welche Wirkung hat das – außerhalb der kleinen, eigenen Blase?

In der Vergangenheit waren Oliver, auch Böhmermann (die eindeutig eher der „Unterhaltung“ zuzurechnen sind), auch die Kolleg:innen der Anstalt aus Mainz (die eigentlich „Kabarett“, also Kleinkunst, als Auftrag haben – und dabei tatsächlich eine der am härtesten recherchierenden Redaktionen des Landes hinter sich wissen) als auch der knallharte Monitor, nur noch erbärmlich spärliche 30 Minuten, und nur alle paar Wochen, für mich seltene Gelegenheiten zur Selbstvergewisserung.

Heute sitze ich vor meinem Monitor und denke…: Das sehen doch nur die Leute, die so darauf sind wie ich. Das ändert doch nichts mehr. Die Ignorant:innen sind in der Mehrheit. Denn wenn das nicht so wäre, wäre die Welt eine andere.

Es ist nicht auszuschließen, dass Jon Oliver in naher Zukunft vom Sender muss. Oder er macht seine Show nur noch online, von London aus, oder Berlin. Das Internet wird Präsident Musk so schnell nicht gleichschalten können. Bei Restle und den anderen bin ich nur wenig optimistischer. Etwa bis zu den übernächsten Bundestagswahlen, um genauer zu sein.

Wobei ich mir speziell im Falle „Monitor“ über die neue Intendantin des WDR noch keine Meinung darüber erlaube, wie sehr sie dieses Biotop schützen würde. Doch hat das öffentlich-rechtlich-föderale Rundfunksystem tatsächlich noch die eine oder andere Brandmauer, welche unsere Ministerpräsident:innen nicht geschlossen einreißen werden können, auch wenn der eine oder andere von ihnen (alles Männer) schon an ihr kratzt.

Denn leider ist ein Biotop kein Werkzeug, um Mehrheiten zu verändern – oder einen Staatsstreich zu verhindern. Ich rechne Jon Oliver hoch an, dass er die USA noch nicht verlassen hat. Ich hätte es längst. Ich schalte auch bei „Monitor“ wieder ein, und all den anderen Sendungen, denen ich noch einen Rest Vertrauen entgegenbringe.

Doch am Ende des Tages, wird sich durch das Fernsehen, in seiner (meiner) Blase, die Wirklichkeit nicht verändern. Auch wenn wir uns gerne darüber aufregen, wer denn da gerade wo und schon wieder in einer Talkshow sitzt – oder was die Tagesschau Redaktion mal wieder vergeigt hat. Weil es inzwischen wirklich (fast) irrelevant ist.

Ich höre da nicht mehr hin, ich schalte dafür nicht mehr ein. Weil all das mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Wenn an einem beliebigen Wochentag die Berichterstattung in allen Online-Medien sich zuerst darum dreht, wer am Abend in welcher Talkshow welchen Spruch hinterlassen hat, dann interessiert die Blase sich nicht mehr für die Menschen.

Und deshalb müssen diese Blasen platzen. Überall. Für alle! Und nichts ist besser geeignet, als die Menschen, die in der Wirklichkeit leben. Die sich auf den Straßen (nicht im Internet!) in die Kälte stellen, um sich mit selbstgemachten Schildern, kreativen Rufen und unermesslichem Mut selbst zu einer Brandmauer, ja, zu einer Barrikade zu machen.

Denn, Barrikaden, lieber Herr Kubicki, richten sich nicht „gegen den Staat“ oder eine Regierung. Barrikaden schützen die, die dahinter stehen!

Leute wie mich!

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