In einer Zeit, in der radikale, rechte und konservative Kräfte immer wieder gegen vermeintlich „arbeitsunwillige“ Teile der Bevölkerung mobilisieren, macht sich die Redaktion des WDR Magazins „Monitor“ die Arbeit, einmal genauer hinzusehen – und das tut gut. Und weh. Und macht mich wütend.
Denn was hier seziert wird, ist nicht nur die aktuelle CDU-Rhetorik rund um die Aussagen von CDU-General Carsten Linnemann, sondern ein gesellschaftliches Klima, das von Schuldzuweisungen, Leistungsethos-Mythen und boshafter Ignoranz gegenüber den realen Lebenssituationen vieler Menschen geprägt ist.
Die CDU ist überzeugt: Die Menschen in Deutschland arbeiten zu wenig – zum Beispiel Rentner, so CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz betonte: „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ Also soll die Arbeitszeit hochgesetzt werden, mehr Mütter sollen in Vollzeit – obwohl sie jetzt schon dutzende Stunden unbezahlte Carearbeit leisten. Aber: Sind wir wirklich faul und schaden so dem Wohlstand und dem Wirtschaftswachstum im Land?
– Monitor – 16.06.2025 (YouTube)
👉 In diesem Video schauen wir uns die Fakten an:
✔️ Wie viel arbeiten die Menschen in Deutschland tatsächlich?
✔️ Was ist mit unbezahlter Arbeit, Überstunden und Teilzeit?
✔️ Wie werden Arbeit und Vermögen in Deutschland besteuert?
Spoiler: Die Deutschen arbeiten so viel wie noch nie. Gleichzeitig wird in kaum einem anderen Land Arbeit höher und Vermögen niedriger besteuert als hier.
Zentraler Aufhänger des Vorab-Videos zur nächsten Sendung ist die mittlerweile viel zitierte Behauptung Linnemanns, viele Menschen in Deutschland würden „zu wenig arbeiten“ (Tagesschau). Eine Aussage, die sich zunächst vage und harmlos anhören mag, aber ihre destruktive Kraft gerade dadurch entfaltet, dass sie so pauschal wie populär daherkommt.
„Monitor“ widerspricht dieser These vehement, aber mit kühler Präzision und zieht öffentlich verfügbare Zahlen und Studien heran: Die Erwerbstätigenquote in Deutschland ist keineswegs alarmierend niedrig, insbesondere nicht im internationalen Vergleich.
Was auffällt, ist eher eine Überlastung vieler Menschen, gerade jener, die in prekären oder Teilzeitverhältnissen arbeiten – nicht selten Frauen, nicht selten Pflegeleistende, nicht selten Menschen im Rentenalter, die zusätzlich noch Angehörige betreuen oder ehrenamtlich engagiert sind. Faulheit sieht anders aus. Doch solche differenzierten Perspektiven passen nicht in das simple Bild der „faulen Masse“, das bemüht wird, wenn es politisch opportun erscheint.
Was „Monitor“ in diesem Beitrag besonders stark macht, ist die Klarheit, mit der der politische Diskurs auf seine Wirkung hin analysiert wird. Wenn Rentner:innen zu Sündenböcken werden, wenn ehrenamtliches Engagement und Pflegearbeit als „Nichtstun“ verkannt werden, wenn Erwerbsarbeit zum einzigen Maßstab für gesellschaftlichen Wert wird – dann ist das nicht nur grundfalsch und moralisch fragwürdig, sondern auch sozial gefährlich.
Jan Schmitt, Julia Regis und Selome Abdulaziz beschreiben eindrücklich, wie solche Narrative die Gesellschaft spalten: in die scheinbar „Leistungswilligen“ und jene, denen ein vermeintliches „Sich-ausruhen“ unterstellt wird. Dabei wird vollständig ausgeblendet, wie viele Barrieren es gibt – von mangelnder Infrastruktur über gesundheitliche Einschränkungen bis hin zu systemischer Altersdiskriminierung –, die es Menschen schwer machen, weiterzuarbeiten oder überhaupt in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Die eigentlichen Fragen nach gerechter Verteilung von Arbeit, nach Anerkennung von Care-Arbeit und nach sozialer Absicherung werden so einfach ausgeblendet.
Am Ende bleibt Wut – aber auch die Gewissheit, dass es unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Journalismus wie diesen braucht. Einen Journalismus, der sich nicht davon einschüchtern lässt, wenn mächtige Stimmen einfache Lösungen brüllen, der sich Zeit nimmt für Kontext, Komplexität und Gegenrede. „Monitor“ liefert auch in hier wieder ein Beispiel dafür, wie politische Medienarbeit aussehen muss, wenn sie sich der Aufklärung und nicht der Stimmungsmache verpflichtet fühlt.
Und das ist – in Zeiten von populistischer Vereinfachung – absolut alternativlos.
Homepage: https://www1.wdr.de/daserste/monitor/index.html
Danke an Jan Schmitt, Julia Regis, Selome Abdulaziz, @georgrestle und das Team beim WDR.
Und an @conni, für’s Teilen im Fediverse! 👍
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 17.06.2025.
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