Die Würde des Menschen – One of These Days (2020)

Die Prämisse kennen wir aus ungezählten Sitcoms, von „Al Bundy“ über die „Simpsons“ bis zu „Malcom in the Middle“. Und das sind nur die, an ich mich erinnern kann. Ein Autohändler veranstaltet einen Wettbewerb: Gewinner ist die Person, die am längsten ohne Unterbrechung stehend ihre Hand an einem nagelneuen Pickup halten kann. Hier ist es eine Parabel auf den brutalen Überlebenskampf im Kapitalismus.

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Komisch, gar lustig, ist rein gar nichts an diesem Film von Bastian Günther. Und ausgedacht ist das Szenario auch nicht. Tatsächlich sind diese Marketing-Stunts durchgedrehter Autohändler ja so amerikanisch, wie die Hot-Dog-Wettessen am 4 Juli.

In einer texanischen Kleinstadt bewirbt Autohändler Raymond „Bubba“ Boudreaux von „Budreaux’s Auto and Truck“ sein jährliches PR-Event „Hands on“: 20 Teilnehmende kämpfen bei dem Wettbewerb um einen nagelneuen Pick-up Chevrolet Avalanche. Dabei gewinnt die Person, die am längsten ohne Unterbrechung, wach und stehend ihre Hand an den Wagen halten kann.

(ARTE Programmtext)

Regisseur Günther lebt selbst lang genug in Austin, Texas, und hat so wohl den Blick ganz nahe dran an dem eines „Einheimischen“, um zu vermeiden seinen Film etwa als etwas kuriose aber harmlose Geschichte über amerikanische Autokultur oder „schräge Vögel“ zu erzählen. Er interessiert sich tatsächlich für seine Charaktere und erlaubt ihnen sehr individuelle Motivationen und ganz eigene Hintergrundgeschichten. So können wir ihnen nahekommen und tatsächlich mitleiden und erleben, was wir sehen.

„One of These Days“ ist somit […] auch ein bitterer Kommentar zum nicht nur hierzulande viel diskutierten Strukturwandel: Selbst wenn man sich einig ist, dass der Individualverkehr (bis auf Ausnahmen) abgeschafft gehört, vergrößert man mit dem notwendigen Versuch, den Transport nachhaltiger zu machen und letztlich die Welt vor dem Klimakollaps zu retten, in manchen Fällen die Kluft zwischen Arm und Reich. Denn so zu leben, dass man kein (oder selten ein) Auto braucht, können sich in kapitalistischen Gesellschaften nur die Reichen leisten.

(Jenny Zylka, taz, 18.05.2022)

Ich habe den Film nicht so gesehen, wie die Kritikerin der taz, auch wenn ihre Argumente nicht falsch sind. Doch ihr letzter Satz führt eben doch in die richtige Richtung. Denn tatsächlich geht es hier um einen Kampf um das eigene Leben. Dort, wo es um weit mehr als nur individuelle Mobilität, sondern grundsätzlich um das eigene ökonomische Überleben geht, ist nachvollziehbar, warum Menschen ihre sowohl physische wie psychische Gesundheit für ein Auto riskieren.

Dieses Szenario vor dem Hintergrund einer Marketingaktion zu entwickeln, entlarvt die eigentliche und grenzenlose Brutalität des Systems.

Im Grunde ist das Szenario auch gar nicht so weit weg von dem, was wir gerade täglich von RTL vorgeführt bekommen. Menschen, die sich aus ganz individuellen, oft tragischen Gründen unter non-stop Beobachtung einer Öffentlichkeit begeben, die sie nicht kontrollieren können. Mit unabsehbaren Folgen.

Während das Dschungelcamp uns als „Comedy“ und harmloses Laienspieltheater verkauft wird, inszeniert Bastian Günther seinen Film als hartes Psychodrama von echten Menschen. Und Verlierer:innen sind wir alle.

Ist die Würde des Menschen tatsächlich unantastbar, oder hat sie einen Preis?


One of These Days – in der ARTE Mediathek nur bis 30.01.2024

Regie und Drehbuch: Bastian Günther
Produktion: Martin Heisler, Peter Veverka
Musik: The Notwist
Kamera: Michael Kotschi
Schnitt: Anne Fabini
Mit: Joe Cole, Carrie Preston, Callie Hernandez, Cullen Moss, Jesse C. Boyd, Lucy Faust, Lara Grice, Billy Slaughter, Sam Malone


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