„Wie kein zweiter US-Politiker begeisterte sich Jimmy Carter öffentlich für Popmusik. Mit Unterstützung von Stars wie Bob Dylan konnte sich der demokratische Kandidat bei den US-Wahlen 1977 gegen den Republikaner Gerald Ford durchsetzen.“ (ARTE)
Dokumentarfilme sind in diesem Blog etwa genauso selten, wie Musikfilme. Und politische Dokumentarfilme kommen hier eigentlich gar nicht vor. Bei ersteren liegt es oft an meiner mangelnden Aufmerksamkeit für das Genre. Bei letzteren häufig daran, dass die Zeit – und damit die Realität – einen Film schneller einholt, als ich ihn besprechen könnte.
Den Protagonisten dieses CNN-Dokumentarfilmes hat die Zeit allerdings schon so oft eingeholt, dass die tagesaktuellen Maßstäbe für ihn längst nicht mehr gelten. Weil er morgen tatsächlich 100 Jahre alt wird, ist das allerdings ein mehr als guter Grund, diesen vier Jahre alten Film von Mary Wharton zu wiederholen.
Rock & Roll President” is fresh water in the middle of a desert. It’s a fun soulful documentary that’s rarely ever invasive, depicting the type of statesman we’re sorely missing today.
Jimmy Carter war vermutlich nicht nur der letzte amerikanische Präsident, der in einem Haus ohne Stromanschluss oder fließend Wasser aufgewachsen ist. Er war auch der erste Präsident, dessen Wahlkampf ich als 14-jähriger Teenager damals bewusst verfolgt habe.
Vielleicht war es vorbestimmt, dass ich zur selben Zeit vom Rock&Roll infiziert werden sollte. Vielleicht war es Zufall, dass ich zur selben Zeit die LPs von Smokie und Sweet an die Seite geräumt habe und stattdessen etwa Bob Dylan in meiner Heavy-Rotation aufgetaucht ist, der zu jener Zeit nicht nur tief in das Christentum abgetaucht ist, sondern wohl auch die besten Live-Performances seiner langen Karriere abgeliefert hat. Dafür dürfen Dylanolog:innen mich jetzt mit Steinen bewerfen, doch ich liebe das „Live at Budokan“ (1978) Album über alles!
Carter, ein „One-Term-President“, hat seine Präsidentschaft lange überlebt. Sein eigentlich größeres Lebenswerk hat tatsächlich eigentlich erst begonnen, seit er sich aus der Tagespolitik zurückgezogen hat und zu einem Anwalt und Aktivisten universeller Menschenrechte, Friedensstifter und heftigen Kritiker der ihm folgenden Administrationen und dafür sogar – meiner Meinung nach verdient – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
„Rock & Roll President“ ist eine eindringliche und ergreifende Erinnerung daran, wie manche Dinge einmal waren und vielleicht nie wieder sein werden. Carter war allerdings ein Sonderfall: Wie viele seiner politischen Zeitgenossen hatten überhaupt von dem improvisierenden Pianisten Cecil Taylor gehört, den Carter einlud, im Weißen Haus zu spielen?
Und wenn Paul Simon, der bei Carters Amtseinführung 1977 spielte, sagt: „Vielleicht steht uns eine Zeit der Rechtschaffenheit und Würde bevor“, klingen seine Worte heute, angesichts der politischen Atmosphäre, die sie hat, auf eine ganz andere und etwas herzzerreißende Weise nach als damals.
Für Menschen, die so alt sind, wie ich, ist der Film eine Reise in die Vergangenheit. Für all die jüngeren, die gegenwärtig wieder den absurden Alptraum amerikanischer Politik erleben müssen, ist er eine Gelegenheit zur Reflexion. Früher war sicher nicht alles besser. Doch einiges von dem, was uns seitdem verloren gegangen ist, hätte ich gerne zurück.
Happy Birthday, Mr. President!
Dokumentarfilm, USA, 2020, Buch & Regie: Mary Wharton, CNN, Mit: Gregg Allman, Madeleine Albright, Tom Beard, Bono, Garth Brooks, Jimmy Buffett, Jimmy Carter, Rosalynn Carter, Rosanne Cash, Peter David Conlon, Michael Curry, John Dalton, Bob Dylan, Jim Free, Larry Gatlin, Tom T. Hall, Nancy Hunt, Chuck Leavell, Frank Moore, Willie Nelson, Nile Rodgers, Paul Simon, George Wein, Jann Wenner, Trisha Yearwood, Andrew Young …
Homepage: https://www.jimmycartermovie.com/
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