Giuseppe Tornatore – „Der Zauber von Malèna“ (2000)

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Giuseppe Tornatore entführt uns in ein sizilianisches Dorf unter dem Faschismus. Ein Junge entdeckt eine Welt, die größer ist als alles, was er kennt. Tornatore schafft hier einmal mehr ein poetisches Meisterwerk, das lange nach dem Abspann im Gedächtnis bleibt. Ein Film über Sehnsucht, Macht und den Zauber des Kinos.



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Ein Film und eine Einladung in eine andere Zeit, ein poetisches Mosaik aus Sehnsucht, Schmerz und dem Drang nach Überleben. Ich erinnere mich noch, wie ich das Kino verließ – mit diesem Gefühl, etwas Ungreifbares erlebt zu haben. Etwas, das nicht vergeht, sondern sich leise in mir einnistet.

Die Handlung führt uns in einen sizilianischen Mikrokosmos. Wir treffen auf Renato, einen Jungen, der am Beginn seiner Pubertät steht, und auf Malèna, die Frau, die plötzlich zur lebendigen Legende des Ortes wird. Malèna, deren Mann an der Front kämpft, wird für alle Dorfbewohner zum Mythos: für die Frauen ein Ärgernis, für die Männer ein heimliches Objekt der Begierde, für die Kinder ein verbotenes Faszinosum.

„Der Zauber von Malèna“ (2000) traf mich, wie ein Blick in den Spiegel. Nicht, weil ich mich in Renato sah – diesem Jungen, der Malèna heimlich verehrt – sondern weil ich verstand, wie viel von unseren eigenen Geschichten wir in anderen Menschen wiederfinden. Malèna ist nicht nur ein Objekt der Projektion – sie ist zugleich eine Frau, die sich der Scham und dem Gerede des Dorfes stellen muss. Ihr Schicksal ist so universell, dass es weit über Sizilien hinausreicht.

Giuseppe Tornatore, der selbst erst 1956 – ein Jahrzehnt nach dem Krieg – geboren wurde, verleiht dieser Geschichte etwas beinahe Märchenhaftes. Er beschreibt eine Vergangenheit, die nicht seine eigene war, aber deren Schatten auch seine Generation noch immer berührte. Es ist diese Atmosphäre der Nachkriegszeit, durchzogen von Faschismus, Katholizismus und starren Moralvorstellungen, die so beklemmend wirkt. Und doch findet Tornatore darin auch Poesie – in den Blicken der Kinder, in der stillen Präsenz von Monica Bellucci.

Bellucci spielt Malèna nicht als schönes, eindimensionales Abbild einer Frau, sondern als Figur voll unendlich großer Würde und Verletzlichkeit. Sie ist die Projektionsfläche des Films, aber sie entzieht sich zugleich jedem Klischee. Ihre Rolle zeigt, wie dünn der Grat ist zwischen Bewunderung und Verachtung, wie schnell Schönheit in Bedrohung umschlagen kann, wenn eine Gesellschaft in Angst, Neid und Misstrauen lebt.

Und, ja, natürlich, die Musik von Morricone, die wie ein Echo der Erinnerungen klingt. Es gibt keine besseren Begleiter für so eine Geschichte als Morricones melancholische Melodien, die wie ein Schleier aus Nostalgie über allem liegen. Sie haben mich immer wieder zurückgeführt zu den großen Opern, die ich immer mit einer Mischung aus Faszination und Distanz erlebt habe. Vielleicht, weil auch sie so gnadenlos schön sind, dass sie einen verletzen können.

„Malèna“ ist auch ein Film über das Erzählen selbst. Der Junge, der einmal mehr Tornatores Alter Ego sein könnte, beobachtet, erträumt sich ein Bild von Malèna, das mit der Wirklichkeit nicht immer übereinstimmt. So wie Tornatore selbst eine Zeit beschreibt, die er nur aus Erzählungen kennt – und die doch Teil seiner Identität geworden ist. Er zeigt, wie tief der Faschismus in die Seelen der Menschen hineinwirkte, lange, nachdem die Bomben verstummt waren. Und wie sehr Schönheit, Liebe und Begehren in dieser Welt zugleich Zuflucht und Gefahr sind.

Der Film hat seine komischen Momente, ist dabei wenig subtil, eben italienisch. Doch eine Komödie ist er sicherlich nicht. Eher noch als ein Drama, ist er eine tragische, zutiefst moralische Farce. Für mich war er ein Moment des Innehaltens. Ich hatte schon genug Filme gesehen, um zu wissen, wie sehr sich Geschichten verändern, je nachdem, wer sie erzählt und in welchem Ton. Tornatore hat mit „Malèna“ einmal mehr gezeigt, dass Filme keine Antworten geben müssen. Dass sie ein Ort sein können, an dem wir unsere eigenen Fragen wiederfinden. So wie ich damals im Kinosessel saß, zwischen dem Licht und der Dunkelheit der Welt.

Für mich war dieser Film (einmal mehr) ein Geschenk.

Hinweis: Auf ARTE läuft die internationale, gekürzte Version des Filmes. Obwohl diese in Deutschland „ab 12 Jahren“ freigegeben ist, enthält sie dennoch eine kurze Szene, in der Frauen gegen andere Frauen erhebliche Gewalt ausüben. Das kann Kinder, ebenso wie Erwachsene verstören.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 02.06.2025.



Drama, Italien, USA, 2000, FSK: ab 12, Regie: Giuseppe Tornatore, Drehbuch: Giuseppe Tornatore, Luciano Vincenzoni, Produktion: Carlo Bernasconi, Musik: Ennio Morricone, Kamera: Lajos Koltai, Schnitt: Massimo Quaglia, Mit: Monica Bellucci, Giuseppe Sulfaro, Luciano Federico, Matilde Piana, Pietro Notarianni, Gaetano Aronica, Gilberto Idonea, Angelo Pellegrino, Gabriella Di Luzio, Pippo Provvidenti, Fediverse: @filmeundserien



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