Die Welt braucht Charlie Chaplin. Vielleicht mehr denn je. Für mich ist er noch immer das größte Genie in der Geschichte des Weltkinos. Sorry, Orson Welles, Stanley Kubrick, Steven Spielberg, Tom Tykwer… alle, die nach ihm gekommen sind, mussten sich an ihm messen lassen. Und lernen. Gute Gelegenheit dazu bietet ARTE in einer Retrospektive mit einigen seiner größten und schönsten Filme.
Chaplin war bereits ein „Star“, da war mein Opa (geb. 1900) noch ein Teenager. Ob Opa aber seine Filme im Kino sehen durfte, weiß ich nicht. Dass er Charlie Chaplin trotzdem gekannt hat, daran habe ich keinen Zweifel. Alleine daran, und der Tatsache, dass wir heute noch über ihn reden und seine Filme im Fernsehen laufen, lässt sich ermessen, wie groß der Einfluss dieses Straßenkindes aus London auch heute noch ist.
Es mag sein, dass es Kulturkreise auf Erden gibt, in welchen der kleine Mann mit Stock. Melone und dem signifikanten Oberlippenbart weitgehend unbekannt ist. Vermutlich aber, haben sich auch Filmprojektoren sich dort nicht rechtzeitig durchsetzen können… Heute macht das nichts mehr aus. Denn auch der analoge Reichtum der Filmarchive steht längst in den digitalen Mediatheken wie dem Internet-Archive zum Abruf.
Für mich wird es aber immer der analoge Chaplin bleiben, auf der Filmrolle aus Zelluloid, den ich als Vorführer in den 16mm Filmprojektor meiner Schule eingespannt habe, um „Moderne Zeiten“ (1936) zum ersten Mal als vollständigen Film, statt nur in verstümmelten Sketchen zu sehen, den ich nie vergessen werde. Geliebt habe ich den komischen Charlie schon als Kind. Verehrt habe ich ihn nach diesem „Vorführeffekt“ dann mein ganzes Leben lang.
Keine Frage, auch ohne den Mann aus London hätte Hollywood später das Weltkino dominiert, wie es dann spätestens seit den 30er Jahren der Fall gewesen ist. Doch durch Chaplin hat dieser Prozess eine Dynamik bekommen, die seitdem vielleicht tatsächlich nur mit jener vergleichbar war, die Steven Spielberg mit „Jaws“ (1975) und der Erfindung des Sommer-Blockbuster-Kinos ausgelöst hat. Mit anderen Worten: Durch Charlie Chaplin haben sehr viele Leute, in sehr kurzer Zeit, sehr viel Geld verdient – und Macht über das Kino bekommen.
Er war schon früh einer der ersten universellen Weltstars, was sich für ihn natürlich auch in wirtschaftlicher Unabhängigkeit sprichwörtlich ausgezahlt hat. Diese Unabhängigkeit gab ihm die Möglichkeit, sich früh vom Studiosystem Hollywoods zu emanzipieren, welches zu seiner Zeit über seine Künstler:innen noch in moderner Leibeigenschaft verfügen konnte, und seine Filme unter eigenem Label zu produzieren. Dass die von ihm gegründete Filmgesellschaft „United Artists“, im Laufe der Geschichte und über mehrere Akquisitionen, ausgerechnet in den Händen von Jeff Bezos Amazon gelandet ist, hätte ihm vermutlich nicht gefallen.
Es ändert nichts daran, dass die in vollständig eigener Kontrolle entstandenen Filme bei United Artists auch jene sind, die den Rang und das künstlerische Erbe Chaplins quintessenziell definieren. Die wichtigsten davon zeigt uns ARTE in den nächsten zwei Wochen.
„Moderne Zeiten“ (1936) – verfügbar nur bis 13.05.2025, vermutlich das komischste, tragischste und zutiefst romantischste Antikapitalismusdrama aller Zeiten, eröffnet die Reihe gar in der Primetime, heute um 20:15 Uhr. Im Anschluss folgt die TV-Premiere einer brandneuen Dokumentation des französischen Filmemachers Gregory Monro (Kubrick by Kubrick, 2020).
Wenn Sie über ein „smartes TV“ verfügen, oder wie ich, am Computer fernsehen, dann geht es bis zum 01.08.2025 in der ARTE-Mediathek weiter mit:
- „The Kid“ (1921)
- „Die Nächte einer schönen Frau“ (1923)
- „Der Zirkus“ (1928)
- „Lichter der Großstadt“ (1931)
- „Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris“ (1947)
- „Ein König in New York“ (1957)
- „Ein Hundeleben“ (1918) – online verfügbar ab 01.05.
Leider nicht im Programm ist der – für mich – größte und wichtigste Film Chaplins, „Der große Diktator“ (1940). Mit diesem Film ist er nicht nur wirtschaftlich voll ins Risiko gegangen. Er hat sich auch künstlerisch und, vor allem politisch exponiert, wie nie zuvor. Eigentlich ist jede Chaplin-Retrospektive unvollständig, ohne dieses humanistische Meisterwerk. Doch wie ich die Programmplanung von ARTE einschätze, wissen sie das selbst.
Ich durfte Charlie Chaplin schon als Kind sehen und lieben. Damals haben ihn meine Eltern noch für einen harmlosen, „lustigen“ Komiker gehalten. Wie sehr er die Menschen geliebt hat, wie sehr er die Freiheit – bei weitem nicht nur seine eigene – geschätzt und verteidigt hat, auch um den Preis des politischen Exils, all das habe ich erst viel später gelernt. Ich war unendlich traurig, als er starb.
Heute, in Zeiten, in denen das Weiße Haus (wieder) von einem Präsidenten bewohnt wird, für den nicht nur die Freiheit der Kunst, sondern auch die persönliche Freiheit von Künstler:innen nur mehr von seinen ganz persönlichen Präferenzen bestimmt wird, ist die Kunst und das ganze Leben von Charlie Chaplin, des Komikers aus England, verbannt aus den USA während der antikommunistischen Hysterie der McCarthy-Ära und des späteren Knight Commanders of the British Empire eine Erinnerung und ein Vermächtnis.
„Lachen sorgt dafür, dass die Bösartigkeit des Lebens uns nicht ganz und gar überwältigt.“
Charles Chaplin
Haben Sie Kinder? Enkel:innen? Nichten oder Neffen? Dann geben Sie denen die Chance, diesen großen Künstler kennenzulernen. Denn nur wir sind verantwortlich für unser Erbe. Dazu gehört, auch das von Chaplin weiterzugeben.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 30.04.2025.
Spielfilme, USA, 1918 bis 1957, FSK: ab 6, von und mit Charlie Chaplin, Fediverse: @filmeundserien
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