„Beste Serie“ in Cannes – Die Zweiflers (2024)

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Die Zweiflers sind eine jüdische Familie in Frankfurt am Main. Großvater Symcha (Shimon), wie seine Frau Lilka ein Überlebender des Holocaust, betreibt im Bahnhofsviertel ein Delikatessengeschäft. Die Serie Die Zweiflers beginnt damit, dass Symcha seiner Tochter Mimi und den drei erwachsenen Enkeln eröffnet, sein Geschäft verkaufen zu wollen – an Investoren und zu unvorteilhaften Bedingungen.

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Er steht unter Druck durch „Juden-Siggi“, einen Mann aus der Halbwelt, der dunkle Geheimnisse aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zu kennen vorgibt, als Symcha mit einer Refugee Identity Card nach Deutschland kam. Sein ältester Enkel Samuel (Shmuel) zeigt wenig Interesse, in das Geschäft einzusteigen. Er lebt als Musikmanager in Berlin, lernt dann in Frankfurt aber eine Frau mit britisch-karibischem Hintergrund kennen. Bald haben Saba und Samuel ein Kind und stehen vor der Frage, ob der kleine Noah, wie es die Tradition vorsieht, am achten Tag beschnitten (und zu einem Juden) werden soll. Auf das Zustandekommen oder Scheitern dieser Familienfeier im Zeichen einer immer noch und neu gefährdeten Tradition laufen die sechs Folgen von Die Zweiflers hinaus: Kann ein „Schwarzer Jude“ eine Identität weitertragen, die von einer Figur wie Samuel vor allem konflikthaft erlebt und begriffen wird?

Showrunner David Hadda geht mit seiner Dramedy (einer Mischung aus Drama und Comedy, Glossar: Genre) von dem Motiv der jüdischen (Groß-)Familie aus, das aus der Literatur und populärer Kultur geläufig ist. Familie ist ein bergender Zusammenhang, kann aber auch eine Zumutung sein. Samuel ist vor diesem Hintergrund eine typisch zerrissene Figur: Zugehörigkeit und Freiheit lassen sich nicht immer leicht vereinen. Mit einer Vielzahl von verbundenen Schicksalen versucht Die Zweiflers, ein Bild von Leben und Alltag jüdischer Menschen in Deutschland heute zu zeichnen. Gezeigt wird ein großer Reichtum an (vielfach traumatischen, aber auch kulturell verarbeiteten) Erinnerungen, an religiösen wie alltäglichen Ritualen und Zeichenhandlungen. Konsequent verstärkt David Hadda mit jeder Folge die Binnenperspektive, was auch ausgedrückt wird durch die eng an den Personen haftende Kameraführung (Glossar: Kamerabewegungen) in einer abgeschlossenen eigenen Welt, in der Lilkas Jiddisch den Ton angibt. Die Spannung zwischen den Generationen zeigt sich auch ästhetisch: Bürgerliches Ambiente geht in Popkultur über. Die aktuelle Stimmung im Land, mit einer weiteren Zunahme des Antisemitismus, ist zwar nicht ausdrücklich eingearbeitet. Aber auch bei Hadda geht es offensichtlich um eine bedrohte Minderheit. Und der Holocaust ist auch für die dritte und vierte Generation weiterhin konstitutiv.

Mit der Beziehung zu einer Frau aus einem anderen kulturellen Kontext tauchen allerdings auch Motive aus heutigen Debatten um die Singularität der deutschen Verbrechen an den europäischen Juden und postkoloniale Aspekte auf: Samuel und Saba haben einmal einen Dialog (Glossar: Drehbuch), in dem sie die Register der sogenannten Opferkonkurrenz durchgehen – die Szene ist halb ironisch, hat aber einen ernsten Hintergrund. Lassen sich Auschwitz und das Leid auf den amerikanischen Plantagen vergleichen? So zeigt Die Zweiflers im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Welt, die nur wenig Kontakt zum mehrheitsgesellschaftlichen Deutschland hat. Und zwar aus guten Gründen. Die Vorstellung von einer Assimilation, wie sie vor allem im 18. und 19. Jahrhundert für möglich gehalten wurde, wird ausdrücklich zurückgewiesen. Die Zweiflers machen deutlich: Wir haben unser eigenes Leben, unseren eigenen Glamour, unser eigenes Starsystem (alle Rollen sind exzellent besetzt) und unsere eigene Trauer. Für diese Umstände findet die Serie eine plausible Form: ein populäres Bild heutigen Judentums in Deutschland, das durch Abgrenzung eine Stärkung von Identität unterstützt.

Dieser Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License. Autor/in: Bert Rebhandl, 08.05.2024, für Kinofenster.de


Hier finden Sie das Interview mit Showrunner David Hadda
sowie ein Arbeitsblatt für den Oberstufenunterricht.


TV-Serie, 6 Folgen, Deutschland, 2024, FSK: ab 12, Regie: Anja Marquardt, Clara Zoe My-Linh von Arnim, Drehbuch: David Hadda, Juri Sternburg, Sarah Hadda, Showrunner/Producer: David Hadda, Mit: Aaron Altaras, Sunnyi Melles, Saffron Coomber, Mark Ivanir, Mike Burstyn, Eleanor Reissa Leo Altaras, Martin Wuttke, Lena Klenke u.a.


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