Ein Film, wie aus einer anderen Zeit. Ist dieser Thriller doch ein fast historisches Dokument aus der Zeit der Covid-Lockdowns und ein Zeugnis darüber, wie der Kulturbetrieb sich doch noch irgendwie am Leben festgehalten hat. Juliette Binoche und Morgan Freeman in einem Film, der alles andere als konventionell produziert wurde.
Die Covid-Lockdowns sind für mich im Rückblick irgendwie alle nahtlos ineinander übergegangen. An Reisen war nicht zu denken, Familienfeiern ausgesetzt und die Tage im Homeofficekeller vergingen, einer nach dem vorherigen wie der nächste. Nicht nur Hollywood, der ganze globale Kunst- und Kulturbetrieb stand Monate, wenn nicht jahrelang quasi vor einer roten Ampel. Viele Menschen sind gestorben.
Für die Überlebenden ging das Leben weiter. Wir mögen „das schlimmste“ möglicherweise – und dann zum Glück – inzwischen hinter uns haben. Auf Vorhersagen gebe ich allerdings nichts. Doch erlaubt es uns, nun einen „Rückblick“ zu halten, auch auf das wenige kulturelle, welches unter „Social-Distancing-Bedingungen“ in dieser Zeit produziert werden konnte. Dieser Hollywood-Thriller ist ein wirklich exemplarisches Beispiel.
Die Kritiker:innen haben die Produktionsbedingungen von „Paradise Highway – Strasse der Angst„, dem Kinodebut von Regisseurin und Autorin Anna Gutto weitestgehend ignoriert, dabei handelt es sich bei der Überwindung der Lockdown-Restriktionen eigentlich um ein zentrales künstlerisches Element dieses Filmes. Fast der gesamte Film spielt außerhalb geschlossener Räume. Massenszenen kommen nicht vor. Und überhaupt nur sehr wenige Menschen.
Eigentlich ist es doch ein durch und durch „konventioneller“ US-amerikanischer Thriller. Ein hartes feministisches Roadmovie, gewissermaßen Rubber Duck mit DoppelX-Chromosomen. Eine Crime-Story über Menschen-(Kinder)handel irgendwo in Mississippi im prekären Süden der USA.
Wie wenig „konventionell“ der Streifen wirklich ist, wird auch beim Blick auf die sehr kurze Besetzungsliste deutlich: Ein solches Zusammentreffen der europäischen Filmgöttin Juliette Binoche und des amerikanischen Charakterboliden Morgan Freeman hat es vorher noch nie gegeben. Und auch weil sie im Film nur in einer einzigen Szene aufeinandertreffen, entwickelt sich die ganze Handlung eigentlich nur zwischen diesen beiden Protagonist:innen.
Machen Sie sich nichts aus dem etwas dünnen Drehbuch, denn eine tragende Nebenrolle kommt hier einem 18-Wheeler-US-Truck zu, der, tatsächlich souverän gesteuert von Binoche (das Fahren hat sie extra für den Film gelernt), den sich fortbewegenden zentralen Handlungsort dieses Roadmovies definiert.
Frau Binoche ist auch in meiner eigenen kleinen Welt eine Göttin. Ich verehre sie seit vielen Jahrzehnten zutiefst. Hier ist sie tough, wie selten zuvor, mit so wenig Make-Up wie eben möglich. Mit Stirnband im strähnig ungewaschenen Haar, Karohemd und abgeranzter Jacke, gibt sie eine LKW-Fahrerin, die nur wenig mit ihrem bisherigen Rollenportfolio gemein hat – außer dass sie wieder einmal nachhaltig daraus ausgebrochen ist.
Die Rolle soll ihr so wichtig gewesen sein, dass sie ihre Gage freiwillig auf den gewerkschaftlichen Mindestlohn zu reduzieren bereit war.
Und Morgan Freeman? Herjeh… der Mann hat Nelson Mandela, den amerikanischen Präsidenten und Gott höchstselbst gespielt! Mehr geht nicht! Seine Rolle als FBI-Agent kurz vor der Rente spielt er hier natürlich souveränst (sic!) und entspannt herunter. Doch so macht er auch die Auflösung des Falles und die wenigen gemeinsamen Minuten mit Binoche zu einem tatsächlichen Höhepunkt.
An den (geschlossenen) Kinokassen war dieser Film – koproduziert vom ZDF – ein kommerzieller Totalausfall. Natürlich war er das! Wie oft waren Sie denn 2021 im Kino? Dafür können wir ihn nun (schon) wieder in der Mediathek sehen.
Und das ist unser Gewinn.
Thriller/Roadmovie, USA, 2021, Drehbuch und Regie: Anna Gutto, Mit: Juliette Binoche, Hala Finlay, Frank Grillo, Morgan Freeman, Cameron Monaghan, Veronica Ferres, Christiane Seidel, @ZDF
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