Ein Fußballkrimi ist dieser Thriller von Philipp Kadelbach ganz und gar nicht. Ganz im Gegenteil, eigentlich. Der Ball an sich, kommt fast gar nicht ins Bild. Um so mehr aber eine „Industrie“ die im kleinen wie im ganz grossen immer mehr Fäden in der Hand hat, von denen wir im sogenannten Sportjournalismus (bis auf ehrenwerte Ausnahmen) allerdings fast nichts erfahren.
Wenn Sie vor der EM 2024 auf Spanien als Gewinner des Turniers gewettet haben, meinen Glückwunsch! Die Quoten gegen England werden aber nicht überragend gewesen sein. Viel mehr Kohle hätten Sie zB. mit der korrekten Vorhersage des Achtelfinalspiels 2016 der Isländer gegen England gemacht. 18:1 war die Quote. Hätte ich das damals geahnt, müsste ich heute nicht mehr arbeiten.
Wenn Sie sich noch an dieses vorletzte Europa-Turnier erinnern, und es mit dem vergleichen, was das Kartell aus den öffentlich-rechtlichen ARD/ZDF, dem Kölner Privatsender RTL und einem Telekom-Derivat in diesem Jahr in die deutschen Wohnzimmer geliefert hat, oder wenn Sie auch nur samstäglich die ARD-Sportschau einschalten, dann wird ihnen vielleicht aufgefallen sein, was es vor acht Jahren so auch noch nicht gegeben hat: Die Durchdringung der TV Werbung von Werbespots internationaler Sportwettenveranstalter.
Lange hat diese Industrie in Deutschland nur in der Halblegalität existiert. Ich erinnere mich noch an schlecht beleuchtete Wettbüros in den Nebenstraßen meiner Ruhrgebiets-Nachbarschaft, in denen das offizielle Wettprogramm strikt auf internationale Pferderennen beschränkt war. Dann kam das staatlich lizenzierte „Oddset“ der Lottogesellschaften (1999), dann das Internet – und der Rest ist Geschichte.
Heute ist die internationale Wettmafia, wohl nach der Porno-Industrie, die wirtschaftlich größte Branche im Internet. Vergessen sie Amazon und Alibaba, vergessen sie Facebook und Google. Meine These ist: Das richtige Geld wird nicht von börsennotierten Konzernen gemacht, sondern von Unternehmen, die (außer, wenn es mal gut läuft, ein paar Steuerfahnder:innen) eigentlich keine:r kennt.
Oft sind das Familienunternehmen. Überschaubar und gut kontrollierbar, weil der Kreis der relevanten Personen klein und deshalb zur Loyalität verpflichtet ist. Gerne auch mit internationalen Verästelungen und Niederlassungen in exotischen Märkten. Klassische Mafia.
Wenn sie alt genug sind, sich sogar an das letzte „Sommermärchen“ (2006) zu erinnern, dann sollten sie sich eigentlich auch noch an Robert Hoyzer und Ante Sapina erinnern, an Dominik Marks und Felix Zwayer… auch weil diese Namen erst ein Jahr zuvor bekannt geworden sind, aber erstaunlicherweise nicht zum allgemeinen Erinnerungskanon deutscher Fußballgeschichte gehören. Da war die WM dann wohl einfach zu schön… und das bisschen Korruption wegen derer sie überhaupt in Deutschland stattfinden konnte… weggelacht von Poldi, Schweini und Klinsi.
Genug der unerfreulichen Geschichte… denn erfreulich war, was Regisseur Philipp Kadelbach und seine Autoren Holger Karsten Schmidt und Oliver Kienle im Jahr der vorletzten Europameisterschaft aus dem zugrundeliegenden Themenkomplex Fußball gemacht haben: Einen der aufregendsten, direktesten, dunkelsten und stärksten deutschen Thriller des letzten Jahrzehnts!
In dem Film geht es nur um die Menschen und ein System. Politik, Verbände, Großereignisse sind sämtlich nicht relevant, werden ausgeblendet, um sich auf die „Sozialen Netzwerke“ zu konzentrieren, die kriminelle internationale Organisationen eben sind. Und auf die Schwierigkeiten deutscher Justizbehörden, diese zu durchdringen.
(„Major“) Tom Schilling (sic!) gibt hier einen verdeckten Ermittler. Wenn sie mich fragen: Bis heute eine der stärksten Rolle überhaupt für den viel beschäftigten Berliner. Abgerissen, unter totaler Aufgabe jedes Privatlebens, ganz vorne an der Front einer reichlich skrupellosen Polizeiorganisation – genial personifiziert durch Jens Albinus.
Ich schwanke bei Kadelbach häufig zwischen Bewunderung für seine Bilder, und Überforderung durch seine Dramaturgie. Da ist, für mich, immer wieder einmal der ehemalige Werbefilmer durchgekommen. Manchmal sind seine Bilder zu perfekt, um mich emotional zu packen, mich miterleben und mitleiden zu lassen, was seine Protagonisten im Laufe einer Handlung durchmachen müssen. Das hat seine Arbeit, wie auch sein Erfolg, zum Beispiel mit den Filmen des zu früh gestorbenen Tony Scott (Top Gun, 1986) gemein.
„Auf kurze Distanz“ ist aber ein Film, der mich von der ersten bis zur letzten Einstellung in Geiselhaft genommen hat. Hier haben mich Geschichte, Personal und Szenerie gleichermaßen bis zur Auflösung nicht losgelassen. Hier glaube ich jederzeit, dass eine solche Geschichte, sich an solchen Schauplätzen tatsächlich auch so ereignet haben könnte. Auch wenn ich weiß, dass es natürlich eine zwar gut recherchierte, aber doch durch und durch fiktionale Erzählung ist.
Für mich ist es der – bis heute – beste Film Kadelbachs. Einer, der das Wiedersehen lohnt. Und eben auch einer, der noch immer in die Zeit passt.
Thriller, Deutschland, 2016, FSK: ab 12, Regie: Philipp Kadelbach, Drehbuch: Holger Karsten Schmidt, Oliver Kienle, Produktion: Benjamin Benedict, Verena Monßen, Musik: Michael Kadelbach, Kamera: Jakub Bejnarowicz, Schnitt: Fritz Busse, Constantin von Seld, Mit: Tom Schilling, Edin Hasanović, Jens Albinus, Britta Hammelstein, Sascha Alexander Geršak, Aleksandar Jovanovic, Lazar Ristovski, Emilia Schüle, Fortunato Cerlino, Tamer Yiğit, Vladimir Korneev, Marko Dyrlich, Vladimir Burlakov, Jerry Hoffmann, Sandra Nedeleff, Marko Mandić
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