Einer der großen Filme meines Lebens, bleibt die tragisch schöne Geschichte von Betty und Zorg, 1986 verfilmt von Jean-Jacques Beineix in „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“. Vermarktet als „erotische Liebesgeschichte“ war es tatsächlich ein so episches wie tragisches Drama über die Liebe einer Bipolaren Frau. „Warten auf Bojangles“ nimmt dieses Thema wieder auf.
Beineix‘ Film von 1986 hat mich seinerzeit auf direktem Weg zu einem lebenslänglichen Fan des Regisseurs und, noch mehr, auch einen lebenslangen Leser des Autors seiner Geschichte, Philippe Djian gemacht. Dieser französische Autor war für mich einer, der es seither, sogar mit seinen schwächeren Romanen und Kurzgeschichten, immer irgendwie vermochte, einen Nerv in mir zum Schwingen zu bringen. Ich musste ihn lieben, um mein Leben.
Olivier Bourdeauts erster Roman „En attendant Bojangles“ (2016) war eigentlich ein ganz ähnliches Ereignis in der Literaturszene Frankreichs, wie Djian 30 Jahre zuvor. Ich habe aber so ganz und gar nicht das Bedürfnis, der Geschichte, die Régis Roinsard fünf Jahre später als Film auf die Leinwand gebracht hat, auf den Grund zu gehen.
Und das liegt gar nicht so sehr an dem Film, sondern der Tatsache, dass er seine Geschichte in den 50er Jahren, also einer Zeit angesiedelt hat, die es mir ungleich schwerer macht, mich mit ihr zu identifizieren. Ganz als wenn diese Distanz als Puffer und Sicherheitsabstand zu meiner ganz Realität vorgesehen wäre.
Roinsards Film wird der Zeit seiner Geschichte tatsächlich mehr als gerecht. Wir bekommen hinreißend inszenierte Bilder von der Riviera, opulente Schönheit und vollkommenen Stil in ganz wundervoll fotografierten Aufnahmen aus Südfrankreich, die einladen, sich in ihren zu verlieren. Und wenn dann noch eine Darstellerin wie Virginie Efira, die zentrale Figur des Interesses darstellt, dann fühle ich mich fast auf einer Zeitreise zurück in die bonbonfarbene „Fabelhafte Welt der Amelie“.
Und das ist eigentlich schon mein zentrales Problem von „Warten auf Bojangles“. Denn der Film wäre eigentlich wichtig und könnte elementar zum allgemeinen Verständnis von bipolaren Erkrankungen beitragen. Doch vergibt er diese Chance, zugunsten einer schönen, tragischen, doch leider immer nur an der Oberfläche bleibenden Geschichte aus einer, offensichtlich, anderen Zeit, die eben nicht unsere ist. Wir schauen nur von außen darauf.
Nichts, aber auch gar nichts gegen Efira. Es ist kein Geheimnis, dass ich ein großer Fan der Belgierin bin. Auch hier gibt sie ihrer Figur alle Leidenschaft, alle Tiefe und alle Tragik, die das Drehbuch vorgesehen und die Regie zugelassen hat. Es ist mir geradezu unmöglich, mich in ihre Camille nicht zu verlieben.
Zumal der Film sich ihrer spektakulär inszenierten physischen Schönheit weit ausgiebiger widmet, als ihrer tiefen seelischen Not (für empfindsame Menschen mögen diese wenigen Szenen dennoch schwer erträglich sein!). Für mich ist Efira, bei aller Kritik am Film, eben trotzdem ein spektakulärer Grund, hier einzuschalten. Nicht weil sie so schön ist (das ist ohnehin relativ und liegt nur im Auge der Betrachter:in), sondern weil Camille es verdient hätte.
Ganz wie in „Betty Blue“ vor 40 Jahren, ist auch hier schnell klar, dass diese Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Doch selbst die große finale Tragik wird in „Bojangles“ durch einen Zuckerüberguss in einem, für die Zuschauerinnen vielleicht doch versöhnlichen Ende aufgelöst, welches für mich allerdings äußerst unbefriedigend war – ja, ich habe mich eigentlich im letzten Kapitel des Films sehr darüber geärgert.
Für Menschen, die selbst von psychischen Krankheiten betroffen sind, oder Menschen lieben und mit ihnen leben – für welche jeder Tag potentiell eine ganz reale Herausforderung ist, mag ich den Film ganz und gar nicht empfehlen. Er wird den tatsächlichen Problemen und ganz realen Kämpfen der Psyche einfach nicht gerecht.
Für einen leichten Sommerfilm, ja, eine Meditation über bedingungslose Liebe, wiederum, behandelt er ein Thema, eigentlich so dunkel wie die Abgründe einer zutiefst verwundeten menschlichen Seele. Vermutlich werden die meisten Zuschauer:innen nicht im Geringsten darauf vorbereitet sein, dass dieser Film, auch wenn er nicht die Wirklichkeit beschreibt, doch alles andere als ein Sommermärchen ist. Er sieht tatsächlich nur so aus.
Vielleicht aber kann der Film aber ein wichtiger Anlass sein, sich tiefer mit den Menschen zu beschäftigen, für die „Klärchens Lied“ aus dem „Egmont“ des alten Goethe tatsächlich ein akkurater Auszug ihrer wirklichen Lebensrealität und eines ganz alltäglichen und sich beständig wiederholenden Überlebenskampfes ist.
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.JW von Goethe, 1788
Mehr Informationen über Bipolare Erkrankungen und Hilfe zur Selbsthilfe finden Sie zum Beispiel hier: Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V.
Drama, Frankreich, Belgien, 2022, FSK: ab 12, Regie: Régis Roinsard, Drehbuch: Romain Compingt, Régis Roinsard, Musik: Clare Manchon, Olivier Manchon, Kamera: Guillaume Schiffman, Mit: Virginie Efira, Romain Duris, Grégory Gadebois, Solàn Machado-Graner
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