„Die Frage ist, was ist ihre Motivation uns so einen neokolonialistischen Bullshit hinzukotzen? (…) Ist nicht das was sie tun ein ausgezeichnetes Beispiel für selbstgerechten westlichen Paternalismus?“ So ein Statement als Opening einer Serie habe ich dann auch noch nicht gehört. Meine Aufmerksamkeit hatte sie also schonmal. Und was dann folgte, war ein Trip in „das Herz der Finsternis“…
Die Referenz an den Großroman von Joseph Conrad habe ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern einer Kritik der Netflix Serie von Adrian Daub entliehen, um die es hier geht. Denn gelesen hatte ich über diese bereits viel, bevor ich sie endlich sehen konnte. Und da hatte ich den Kopf natürlich voll, mit den Meinungen, Urteilen und Interpretationen anderer Leute.
Während des Völkermordes an den ruandischen Tutsis 1994 durch die Hutu-Herrscher des Landes wurden in nur 100 Tagen über 800.000 Menschen getötet – während die Weltgemeinschaft tatenlos zuschaute. Diejenigen, die es überlebten, haben danach mit massiven körperlichen und emotionalen Narben zu kämpfen, von denen eine nicht zuletzt ein schweres Schuldgefühl ist. Das Gefühl einer Schuld, das Grauen überlebt zu haben.
Erinnern Sie sich an die Nachrichten? Tatsächlich ist es noch nicht lange genug her, dass ich mir eine Serie zu diesem Thema einfach unvoreingenommen hätte ansehen können. Möglicherweise sogar noch mit dem Anspruch, unterhalten zu werden. Ich habe es dennoch getan. Auch, weil mir Michaela Coel und John Goodman dafür einfach Grund genug gewesen sind.
Man muss Black Earth Rising ein Riesenkompliment machen: Die Serie wird dem Problem, wie eine solche Geschichte zu erzählen ist, gerecht, wenn sie es selbstverständlich auch nicht lösen kann. Sie macht das Problem gleichzeitig zu ihrem heimlichen Thema: Es geht am Ende, so viel sei verraten, um eine Wahrheit, die nicht sein darf und die doch ans Licht will. Und das haucht vielen der Klischees des Spionagefilms neues Leben ein.
„Eine Wahrheit, die nicht sein darf“, Adrian Daub, Die Zeit, 01/2019
Diese Serie, und das ist wichtig, zeigt eine fiktive Geschichte, um fiktive Personen und Vorgänge. Dennoch ist sie eingebettet in die Vergangenheit und Realität der Gegenwart. Ruanda ist real, der Internationale Strafgerichtshof ist real. Die Überlebenden des Genozids sind real und viele könnten noch davon erzählen. Würden wir ihnen zuhören wollen?
Wenn Netflix, ein amerikanischer Konzern, und die BBC, ein britischer TV-Sender daraus eine Fernsehserie von 8 Folgen machen, die wir in ungefähr ebenso vielen Stunden gerade genug mögen sollen, um uns auch alle Teile anzusehen, schauen wir uns das dann an? Und wenn wir es uns anschauen, verhalten wir uns dann tatsächlich anders, moderner, verantwortungsvoller, als unsere Vorfahren, wenn sie mit Neugierde den exotischen und wahlweise held:innen- oder grauenhaften Erzählungen der Kolonialist:innen gelauscht haben?
„Black Earth Rising“ thematisiert den Völkermord in Ruanda und ist die wohl meistdiskutierte Politserie, die derzeit bei Netflix abrufbar ist. Autor Hugo Blick wird dafür gefeiert – und verunglimpft.
„Wie verfilmt man einen Genozid“ Hugo Blick & Christian Buß, Spiegel, 04.04.2019
Hugo Blick ist hier Autorenfilmer. Er hat die Serie selbst entwickelt, geschrieben und über alle Folgen auch selbst Regie geführt. Insoweit ist „Black Earth Rising“ auch ein sehr persönliches Werk, kein Produkt aus dem Writers-Room einer Content-Fabrik. Er macht also auch keine Kompromisse, was und wie er erzählt und beschreibt. Das können wir der Serie durchaus anmerken und ansehen. Denn sie „tickt“ anders und sieht auch anders aus, als das andere Zeug, das wir kennen. Unsere Sehgewohnheiten werden also massiv herausgefordert.
Schon mit „The Honourable Woman“ (2014) hat Blick bewiesen, dass er komplexe geopolitische Themen in dichte, emotional fordernde Erzählungen übersetzen kann. Seine Handschrift ist unverkennbar: moralische Ambivalenz, sorgfältig komponierte Bilder und eine narrative Struktur, die sich eher an klassischem Theater als an Mainstream-Fernsehen orientiert.
Blicks Interesse an internationalen Konflikten und juristischen Grenzfragen geht dabei weit über dramaturgisches Kalkül hinaus.
„Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen“. Ich war mir nie ganz sicher, was dieses berühmte Zitat genau bedeutet, aber nachdem ich die fiktive Reise einer jungen schwarzen Britin verfolgt habe, die sich auf eine epische und zutiefst persönliche Suche begibt, um einen ruandischen Völkermörder vor Gericht zu bringen, weiß ich es jetzt. Und jetzt weiß ich auch, wie wichtig, schwierig und erschreckend dieser Satz für jeden sein kann, der internationale Strafjustiz anstrebt und verweigert.
BBC Drama ‘Black Earth Rising’, Deadline.com, 30.04.2018
Diese Ambition spiegelt sich in der Hauptfigur Kate Ashby, gespielt von Michaela Coel – einer Schauspielerin und Autorin, deren Karriere mich schon seit einigen Jahren zutiefst beeindruckt. Spätestens seit ihrer autobiografisch inspirierten Serie „I May Destroy You“ (2020) ist sie vermutlich eine der wichtigsten Stimmen der britischen Gegenwartskultur. Coel bringt in „Black Earth Rising“ nicht nur ihre große Intensität als Darstellerin ein, sondern auch ihre ganz persönliche Erfahrung als schwarze britische Frau, die sich mit Fragen nach Identität, Trauma und struktureller Gewalt auseinandersetzt.
„Ich fühlte mich ihr sehr nahe – dieser innere Kampf zwischen der Suche nach Zugehörigkeit und dem Drang, die Wahrheit herauszufinden, war auch für mich real.“
„Michaela Coel on Playing Kate Ashby“, BBC, 14.01.2019
Coel verkörpert diese Ambivalenz mit einer Präsenz, die es vermag, mich zu berühren. Ihre Körpersprache, ihre sparsamen Blicke – all das vermittelt mehr als lange Monologe es könnten. Deshalb leidet die Serie in meinen Augen sehr darunter, dass eben diese Mono- und Dialoge stellenweise zu sehr Essay sind und zu wenig gelebte Sprache. Besonders in den Szenen mit John Goodman wirken sie manchmal wie ein akademisches Streitgespräch über Ethik und weniger wie etwa ein echtes und vertrautes Vater-Tochter-Verhältnis. Die Synchronisation hat dieses Problem leider noch einmal schwerwiegender gemacht. Schauen Sie deshalb mit Originalton, wenn Sie können.
Doch die moralische und politische Komplexität von „Black Earth Rising“ macht die Serie wirklich beeindruckend und groß. Sie verweigert sich schlicht den einfachen Einordnungen von Gut und Böse und beleuchtet stattdessen die Grauzonen und Widersprüche internationaler (hier: westlicher) Politik – insbesondere im Umgang mit den Nachwirkungen des Genozids.
Es ist eine Serie, die nicht nur ihre Figuren, sondern auch ihr Publikum herausfordert und uns zwingt, uns mit moralischen Zweideutigkeiten und historischer Mitschuld auseinanderzusetzen.
A masterful moral maze“, The Guardian, 10.09.2018
Ich schätze sehr, dass Hugo Blick sich traute, die Rolle des Westens kritisch zu hinterfragen. In seinen Figuren zeigt sich exemplarisch der Konflikt zwischen liberalem Idealismus und neokolonialer Blindheit, ja boshafter und keinesfalls unschuldiger Ignoranz. Es ist eine unbequeme, aber notwendige Auseinandersetzung mit der Frage: Wer hat das Mandat, Gerechtigkeit zu fordern? Welche Justiz?
Auch auf audiovisueller Ebene ist die Serie stark. Martin Phipps’ Soundtrack – getragen von tiefen Streichern, minimalistischen Motiven und gelegentlich afrikanisch inspirierten Klangfarben – verstärkt die große emotionale Dichte der Bilder. Dabei bleibt Blicks Regie stets kontrolliert, fast schon manieristisch. Manchmal allerdings übertreibt er es zu sehr: Der Stilwillen des Künstlers überlagert gelegentlich die Intimität der Geschichte, erspart uns aber durch künstlerische Eingriffe auch, selbst dem Grauen in sein reales und möglicherweise traumatisierendes Antlitz schauen zu müssen. Das wiederum war konzeptionell ein Geniestreich.
Trotz dieser Schwächen bleibt „Black Earth Rising“ für mich eine der herausragendsten internationalen Serienproduktionen der letzten Jahre. Diese Serie zwingt uns, die einfachen Narrative zu hinterfragen – persönlich wie auch politisch. Sie fordert unsere erlernten Fernsehgewohnheiten nachhaltig heraus. Und dass es unter all den ÖRR-Anstalten wieder ARTE gewesen ist, die sich diese komplexe, anspruchsvolle und ganz und gar nicht folgenlos zu konsumierende Perle in die Mediathek gelegt hat, erzählt noch einmal eine ganz andere Geschichte.
„Black Earth Rising“ bettelt nicht um unser Mitleid. Die Serie will unsere Aufmerksamkeit.
Mit internationalem Recht!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 23.05.2025.
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TV-Serie, Großbritannien, 2018, Regie: Hugo Blick, Drehbuch: Hugo Blick, Produktion: BBC, Drama Republic, Forgiven Earth, Produzent/-in: Ali Bach, Hugo Blick, Kamera: Hubert Taczanowski, Schnitt: Jason Krasucki, Musik: Martin Phipps, Mit: John Goodman, Michaela Coel, Noma Dumezweni, Lucian Msamati, Tyrone Huggins, Tamara Tunie, Harriet Walter, Danny Sapani, Ronald Guttman, Fediverse: @filmeundserien
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