Dagur Kári, Gunnar Jónsson – „Virgin Mountain“ (2015)

3.5
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Ich liebe stille Filme. Solche, die nicht auftrumpfen, sondern sich leise entfalten. Die Raum lassen für Pausen, Zwischenräume, für das, was sich nicht sofort in Worte fassen lässt. „Virgin Mountain“ von Dagur Kári ist genau so ein Film – eine feinfühlige Erzählung über einen Mann, der sich der Welt nur zögerlich öffnet, aber darin eine erstaunliche Kraft entfaltet…



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Fúsi ist Anfang vierzig, wohnt noch bei seiner Mutter und führt ein ruhiges, sehr routiniertes Leben. Er arbeitet am Flughafen, hört Metal, liebt asiatisches Essen und verbringt seine Abende mit Modellbau-Schlachten. Nach außen wirkt er schwerfällig, fast verloren in seiner eigenen Welt. Aber in seinem Blick liegt etwas anderes – etwas Sanftes, Aufrichtiges. Und genau darum geht es in diesem Film: Um das, was wir nur sehen, wenn wir wirklich hinschauen.

Dagur Kári entschied sich für eine Erzählweise, die sich dem Tempo der Hauptfigur anpasst. Nichts wird beschleunigt, nichts vereinfacht. Stattdessen folgen wir Fúsi in seinem Alltag, sehen ihm beim Aufstehen, beim Zähneputzen, beim Warten zu. Und je länger wir ihn begleiten, desto deutlicher wird: In seiner scheinbaren Weltferne liegt kein Scheitern, sondern eine stille Form von Würde.

Gunnar Jónsson verkörpert diesen Fúsi mit einer Zurückhaltung, die gerade deshalb so eindrücklich ist. Seine Gesten sind klein, seine Stimme leise – und doch erzählt er mit jeder Bewegung, jedem Blick seine ganze Geschichte. Es gibt keine aufgesetzten Effekte, keine erzwungene Läuterung. Stattdessen erleben wir, wie sich jemand tastend aus seinem Schneckenhaus bewegt. Nicht weil er muss, sondern weil es sich irgendwann richtig anfühlt.

Der Film handelt von Veränderungen, die so unspektakulär sind, dass sie im Kino oft übersehen werden: Jemand nimmt an einem Tanzkurs teil. Jemand schenkt etwas Selbstgebasteltes. Jemand trinkt ein Glas Milch. Jemand hört zu. Es sind solche Gesten, die hier groß sind. Nicht, indem sie dramatisiert werden, sondern weil sie in ihrer Echtheit gezeigt werden.

„Virgin Mountain“ (2015) ist auch ein Film über das Anderssein. Über einen Mann, der nicht in die normierten Bilder von Erfolg, Männlichkeit oder Lebensentwurf passt – und sich dennoch langsam einen Platz schafft. Ohne sich zu verbiegen. Ohne sich selbst zu verlieren. Diese Perspektive ist vollkommen unaufgeregt, gleichzeitig aber hochpolitisch. Denn sie bricht mit Erwartungen, die viel zu oft über Menschen gestülpt werden, die nicht laut, schnell, durchsetzungsstark sind.

Was mir besonders im Gedächtnis geblieben ist: die Art, wie der Film mit Nähe umgeht. Wie er uns erlaubt, Fúsi wirklich kennenzulernen – ohne ihn bloßzustellen. Ohne ihn zur Figur zu machen. Diese Intimität entsteht nicht durch große Emotionen, sondern durch Vertrauen. Der Film traut seinem Publikum zu, zwischen den Zeilen zu lesen.

Ich weiß nicht, ob ich jemals einen Film gesehen habe, der so unaufgeregt Hoffnung schenkt. Nicht im Sinne eines Happy Ends, sondern als Einladung, den eigenen Rhythmus zu finden. Zu spüren, dass auch Unscheinbares Bedeutung haben kann. Dass Fürsorge, Zärtlichkeit, kleine Schritte – besonders, wenn sie aus tiefer Unsicherheit heraus gemacht werden – etwas unglaublich Kraftvolles sind.

Das Leben, in seiner stillen Version, ist nicht weniger wert als das laute.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 17.06.2025.


Hinweis: Der Film thematisiert psychische Erkrankungen, emotionale Vernachlässigung sowie Situationen von Mobbing und sozialer Ausgrenzung. Einzelne Szenen können für Menschen, die Erfahrungen mit Depression, Einsamkeit oder übergriffigem Verhalten gemacht haben, belastend sein. Der Film geht sehr sensibel mit diesen Themen um, zeigt jedoch auch verletzliche und schwierige Momente.



Drama, Island, 2018, FSK: ab 12, Regie: Dagur Kári, Drehbuch: Dagur Kári, Produktion: Baltasar Kormákur, Agnes Johansen, Musik: Karsten Fundal, Kamera: Rasmus Videbæk, Schnitt: Olivier Bugge Coutté, Andri Steinn, Mit: Gunnar Jónsson, Ilmur Kristjánsdóttir, Sigurjón Kjartansson, Franziska Una Dagsdóttir, Margrét Helga Jóhannsdóttir, Arnar Jónsson, Thórir Sæmundsson, Ari Matthíasson, Fridrik Fridriksson, Ingunn Jensdóttir, Fediverse: @filmeundserien



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