Eine Dokumentarfilmperle (2018) aus Österreich
Ruth Beckermann ist eine bemerkenswert präzise und dabei höchstpersönliche Filmemacherin und Autorin. Sie erzählt ihre Themen aus Betroffenheit und hält doch die Distanz zu sich selbst. Das ist, für die Aktivistin, die sie zeit ihres beruflichen Lebens immer auch gewesen ist, vielleicht die größte Herausforderung. Darf eine Dokumentarfilmerin sich mit ihrer Sache gemein machen? Ich sage, sie muß!
Kurt Waldheim – von der Wehrmacht zum UN-Generalsekretär zum Bundespräsident
Und so ist es nicht nur biografisch, sondern auch dramaturgisch eine sehr wirksame Ansprache, ihrem Publikum die aufregende Geschichte um den ehemaligen und langjährigen UN-Generalsekretär und österreichischen Bundespräsident Kurt Waldheim selbst zu erzählen. So beginnt (obwohl wir das Ende ja schon kennen) der spannende Film mit selbstgedrehten Bildern der jungen Aktivistin auf einer Demonstration in Wien. Es ist ein Film über Lüge und Wahrheit. Über „alternative Fakten“. Und über das Bewusstsein der Autorin, wie das kollektive Bewusstsein der Alpenrepublik.
In der Mediathek – ARTE.tv
In der Mediathek – ARTE.tv
Frau Beckermann war also selbst ein Teil der Bewegung, den „Nestbeschmutzern„, die Kurt Waldheim zum Rücktritt von seiner Kandidatur als Bundespräsident aufforderten – und das offizielle Narrativ von Österreich als „erstem Opfer der Nazis“ nicht hinnehmen wollten. Für die ÖVP war diese Kritik nicht weniger als „ein Angriff auf die Ehre der Nation“ – verübt durch eine „kleine, aber einflussreiche Gruppe aus dem Ausland“ (Kurt Waldheim). Das mobilisierte, nicht nur in der Sprache, sondern auch auf den Straßen, antisemitische Ressentiments, die sich, wie der Film zeigt, offen entluden.
Der Sog der Geschichte
Ich konnte mich „Waldheims Walzer“ schon nach nur wenigen Minuten nicht mehr entziehen. Zu frisch war auf einmal die Erinnerung – ich war damals gerade etwa 20 Jahre alt und leidlich politisiert. Da hat mich der Vorgang im Nachbarland geradezu selbst betroffen. Zu Sinne-reizend aber auch die hervorragende Narration von Frau Beckermann. Ihr würde ich sicher auch zuhören wollen, würde sie aus dem Telefonbuch von Wien vorlesen.
„Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd.“ (Alfred Sinowatz)
Es geht in dieser Dokumentation, obgleich die meisten Vorgänge schon weit mehr als 30, 40 Jahre zurückliegen, auch um ein Muster, das wir auch heute deutlich wiedererkennen. Das macht sie so aktuell. Denn auch das unsägliche Flugblatt des Hubert Aiwanger entsprang, nicht zufällig, gewissermaßen der selben Zeit und ganz dem selben Geiste. Verschwörungstheorien über Medien, ausländische Interessen, „die Juden“… es erschüttert gerade zu, die Reden von Aiwanger und Waldheim, sowie ihrer „Verteidiger“, darunter auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, einmal nebeneinander zu legen…
„Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.“ (Marx)
Kurt Waldheim hat die Wahl gewonnen – wie Hubert Aiwanger. Österreich wurde daraufhin allerdings zum „Paria“ unter Europas Staaten. Jörg Haider begann seinen Aufstieg. Nur zwei Generationen später sollte der zur gleichen Zeit in Wien geborene Sebastian Kurz (ÖVP) in 2017 zum österreichischen Bundeskanzler gewählt werden. Unter tätiger Mithilfe der FPÖ…
Denn ganz nach Bert Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch…“ (
„Waldheims Walzer“ – ORF, Österreich, 2018 – in der ARTE Mediathek verfügbar bis zum 19.01.2024
Dokumentarfilm, Österreich, 2018, 93 Minuten, deutsch-englisch-französische Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln
Regie: Ruth Beckermann
Verleih: Salzgeber Filmverleih, Berlin
Sie können den Film auch in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung abrufen.
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