Jean-Jacques Annaud – Notre-Dame in Flammen (2022)

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Als ich zum ersten Male davon hörte, dass Jean-Jaques Annaud einen Film über den Brand von Notre-Dame in Paris drehen würde, war ich mir sicher, dass es sehenswert würde. Auch wenn mir schwante, wir würden eine Held:innengeschichte bekommen. Also einen Handlungsfaden, der eigentlich zu jedem Katastrophenfilm gehört. Doch das hat er zu vermeiden gewusst.

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Hauptdarstellerin in seinem Film ist die Kathedrale, die auch für das Zentrum und die Identität Frankreichs steht. Und schon bevor wir den Film sahen, wussten wir ja, sie hat überlebt. Dass es dennoch ein mitreißender und bis zum Schluss spannender Film wurde, lag an Annauds fundamentaler Affinität zur Magie des Feuers auf einer Kinoleinwand.

Die Børsen in Kopenhagen ist nur ein Beispiel aus den Nachrichten der vergangenen Woche, für ein Gebäude, welches sich über Jahrhunderte so tief mit dem kollektiven Gedächtnis eines Landes verbunden hat, dass es tatsächlich auch ein Teil seiner kollektiven Identität wurde. Ich kannte es nicht wirklich gut, doch häufig hatte ich beruflich in seiner Nachbarschaft zu tun und bin oft – und ohne besondere Aufmerksamkeit – einfach daran vorbeigelaufen.

Noch mehrere Jahrhunderte älter war die Kathedrale Notre-Dame in Paris. Besucht habe ich sie wohl ein Dutzend Mal, immer war es mir zu voll, ihre Türme zu besteigen. Beim letzten Mal – meinem ersten Hochzeitstag – hat es gar nicht einmal dazu gereicht, sie von innen zu sehen. So ist es für meine Frau und mich bei Selfies auf dem Vorplatz geblieben. Und wir waren nur ein Paar, von tausenden an diesem Tag. Typische Touristen eben.

Doch diese Kirche, im Eigentum des französischen Staates, ist weit mehr als nur ein Ziel für Tourist:innen. Sie ist mehr als nur eine Landmarke und ein Motiv für Selfies. Sie ist Teil der französischen Identität, die nationale Kathedrale, in welcher sowohl ein englischer König als auch ein sehr französischer Kaiser gekrönt wurde, sie war ein Zentrum der Französischen Revolution und hat diese im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen in Frankreich überlebt, sie wurde ein „Tempel des höchsten Wesens“ und später sogar ein Weindepot. Wenn Victor Hugo sie nicht „gerettet“ hätte, hätte sie vermutlich auch schon im 19. Jahrhundert zusammenbrechen können.

So blieb sie bis heute auch eine ganz normale katholische Gemeindekirche im Zentrum der Hauptstadt. Und all das, ist auch Thema des Films von Annaud.

Wenn sie alt genug sind, dann kennen sie vielleicht Am Anfang war das Feuer (1981), bestimmt aber „Der Name der Rose“ (1986). Der Film des Regisseurs nach einem Erfolgsroman des von mir sehr verehrten Umberto Eco, der für den von mir, aus ganz anderen Gründen, nicht minder verehrten Sean Connery ein Karrieremeilenstein und 1986 für das deutsche und europäische Kino (Produzent: Bernd Eichinger) ein wahrer Blockbuster wurde. Und selbst wenn sie sich sonst an nicht viel aus diesem Klosterthriller erinnern können, das Feuer in der Klosterbibliothek gehört mit Sicherheit zu den Bildern, die sie noch vor Augen haben.

Vor diesem Hintergrund war mir die Wahl von Jean-Jacques Annaud zum Biograf der Feuerkatastrophe in Paris nicht nur folgerichtig, sondern absolut exzellent. Und das sollte sich, nachdem ich den Film jetzt endlich sehen durfte, auch als richtig beweisen.

Natürlich standen Annaud, vierzig Jahre nach dem inszenierten Klosterbrand in Italien, ganz andere Mittel zur Verfügung, um das Feuer der Kirche für die Leinwand nach-zu-inszenieren. Andererseits haben den echten Brand in Paris vermutlich Milliarden Menschen sogar live am TV gesehen, da war die künstlerische Freiheit von der Wirklichkeit schon eingeschränkt. Denn natürlich vergleicht das Publikum das, was es erinnert, mit dem, was es sieht.

Ich fühle mich jedenfalls nicht um meine Erinnerung betrogen – und ich habe das Feuer 2019 tatsächlich bis tief in die Nacht live am Fernseher verfolgt. Auch weil Annaud auf umfangreiches Originalmaterial zurückgegriffen hat, um die wahre Geschichte nachzuerzählen. Es ist wahrhaftig kein Dokumentarfilm, doch als Spielfilm ein ehrlicher Versuch, künstlerisch den realen Vorgängen so nahezukommen, wie möglich. Dass dafür auch CGI eingesetzt werden konnte, hat dem Film deshalb wohl eher geholfen – ich würde es ihm jedenfalls keinesfalls zum Vorwurf machen.

Aus dem großen Ensemble wiederum, identifiziert der Film, wie schon gesagt, keine Held:innen, sondern ein Kollektiv. Allerdings ermöglicht die Vielzahl an Charakteren auch eine ebensolche große Möglichkeit für das Publikum sich mit einzelnen Darsteller:innen und ihren Rollen zu identifizieren. Für mich war das der junge Feuerwehrmann, der fast an der Hierarchie gescheitert wäre und zum Schluss doch maßgeblich zum „Erfolg“ der Rettungsaktion beitragen konnte.

Überhaupt ist das eine äußerst gelungene Botschaft des Filmes – und das unterscheidet ihn so massiv von anderen inszenierten oder wahren Katastrophen: Es gibt keine Alternative zu einem kollektiven Handeln, wenn die Katastrophe eintritt. Das können wir mitnehmen, verinnerlichen, und auf so ziemlich jedes globale Szenario anwenden, das sie gestern, heute oder morgen in den Nachrichten sehen.

Und weil der Europa-Wahlkampf gerade bevorsteht, können wir unsere Kandidat:innen für das Parlament ja ggf. auch noch einmal daran erinnern. Suchen Sie sich einfach aus, bei welchen das am meisten Erfolg verspricht.

Toller Film! Lohnt sich!



Spielfilm, Frankreich, 2022, FSK: ab 12, Regie: Jean-Jacques Annaud, Drehbuch: Jean-Jacques Annaud, Thomas Bidegain; Produktion: Ardavan Safaee, Jérôme Seydoux, Mit: Samuel Labarthe, Jean-Paul Bordes, Mikaël Chirinian, Jérémie Laheurte, Maximilien Seweryn, Garlan Le Martelot, Dimitri Storoge, Xavier Maly, Chloé Jouannet, Pierre Lottin, Jules Sadoughi, Benoît Tachoires, Vassili Schneider, Ava Baya, Nathan Gruffy, Sébastien Lalanne, Bernard Gabay, Oumar Diolo, Antonythasan Jesuthasan, Élodie Navarre, Chloé Chevallier, Tony Le Bacq, Miguel Facchiano, Pascal Rénéric, Anne Hidalgo, Emmanuel Macron 


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