„Manchester, 2006: Nachdem Detective Chief Inspector Sam Tyler bei einem heiklen Einsatz einen Autounfall erlitten und das Bewusstsein verloren hat, wacht er plötzlich im Jahr 1973 wieder auf. Seinen Job kann er weitermachen, allerdings begleiten jetzt Schlaghosen, Koteletten und analoge Ermittlungstechniken seinen Alltag.“
Klar, alle Cop-Serien spielen in einem Paralleluniversum. Aber diese hier ist aus einem Parallel-Univerum mit multiplen (parallelen?) Zeitachsen auf unterschiedlichen (Bewusstseins-) Ebenen. Sie bekommen hier Cops, Mystery, Crime, Humor – ermöglicht durch eine geniale Besetzung, eine intelligente Geschichte, ein überragendes Dialog-Buch und, nur ganz nebenbei – dank der Tatsache, dass der BBC zu ihrer Zeit (2006) wohl der gesamte verbleibende Automobilbestand der Insel aus den späten 60ern und 70ern zur Verfügung stand um ihre Szenen damit auszurüsten – gnadenlosen Oldtimer-Car-Porn…
Gene Hunt: Anything happens to this motor, I’ll come ‚round your houses and stamp on all your toys. Got it? Good kids.
Eigentlich müsste jeder Episode von „Life On Mars“ heutzutage eine Warnung vorgeschaltet sein, die vor Homophobie, Misogynie und obszöner Sprache warnt. Insoweit stehen die nur 18, seit der Erstausstrahlung vergangenen Jahre für gleich mehrere Evolutionssprünge unseres kollektiven Bewusstseins. Umso mehr, als der zentrale Held der Serie, Sam Tyler, seinerseits um 23 Jahre in der Zeit zurückreisen muss – nur um ganz die gleiche Erfahrung zu machen…
Doch eine Content-Warnung kriegen sie von mir nicht. Denn erstens waren es die Siebziger, zweitens ist es Kunst und drittens und letztens ist es ein großer Spaß auf dieser Zeitreise mitzugehen.
„Detective Sam Tyler arbeitet mit seiner Kollegin und Freundin Maya an einem brisanten Fall in Manchester. Sam ist endlich einem Verdächtigen auf der Spur, doch die Beweislage reicht nicht aus. Als dann Maya verschwindet, ist Sam völlig durch den Wind. Er steigt mitten auf der Straße aus und wird von einem Auto überfahren. Als er wieder zu sich kommt, ist er plötzlich in den 70er Jahren gelandet. Auch hier ist er Kommissar und muss einen Fall lösen, der dem aus der „Zukunft“ verblüffend ähnelt. Eine rätselhafte Zeitreise, die Sam so schnell wie möglich beenden will…“
(Auszug aus der ARTE Programmvorschau)
Ich war zu seiner Zeit, also zur Ausstrahlung der Serie in 2006, begeistert und „instantly addicted“ genug, mir beide Staffeln der Serie in miserabler Qualität über halblegale Kanäle aus dem UK zu besorgen. Damals haben wir für so was noch CDs gebrannt und im Koffer geschmuggelt. Auf das döspaddelige deutsche Fernsehen konnte ich nicht warten. Denn für mich war das „Erinnerungsfernsehen“… und heute ist es eine Geschichte aus einer Zeit – vor der Zeit – der allermeisten potenziellen Zuschauer:innen in der werberelevanten Zielgruppe (14–49). Und gerade aus dieser Zielgruppe dürften nur die allerwenigsten eingeschaltet haben, als die erste Staffel seinerzeit (2007) bei Kabel1 ausgestrahlt wurde.
Gene Hunt: They reckon you’ve got concussion – I couldn’t give a tart’s furry cup if half your brains are falling out. Don’t ever waltz into my kingdom acting king of the jungle.
Sam Tyler: Who the hell are you?
Gene Hunt: Gene Hunt. Your DCI. And i’’s 1973. Nearly dinner time. ’ I’m ‚aving ‚oops.‘
Der Originalton ist eine „Zumutung“!
Das ganze Elend solcher herausragenden ausländischen TV-Produktionen im deutschen Fernsehen ist, dass sie bei der Übertragung in den germanischen Synchronisationsstandard mindestens 50% ihres Charmes und Charakters einbüßen. Der Originalton ist da natürlich auch hier obligatorisch für den vollen Genuss.
Benutzen Sie, wenn es denn irgendwie geht, die englische Tonspur. Auch wenn die, darauf seien sie hiermit vorbereitet, eine absolut herrliche Zumutung, für alle ist, die Englisch nur in der Schule, der Uni oder dem Büro benutzen müssen. Ich war selbst oft und regelmäßig länger im Vereinigten Königreich… ich habe Freund:innen all over the place. But in Manchester wusste ich oft nicht, ob das verfluchte
noch Englisch war, oder etwa ein Alien-Accent-from-another-world. Das macht aber nichts. Nach einer halben Stunde sind sie drin. Und nach zwei Staffeln sind sie vermutlich komplett Angst-befreit für alles, was danach noch kommen kann. Carry on and just watch to enjoy!Besser als die Vorbilder?
UK-Krimi oder Buddy-Cop-Serien aus England sind im deutschen TV immer gut gelaufen. Ich erinnere mich zwar nur noch dunkel an „Mit Schirm, Charme und Melone (The Avengers)“, doch an „Die Zwei (The Persuaders!)“ und vor allem „Die Profis (The Professionals)“ erinnere ich mich als prägende Erfahrung meiner Kindheit. Und nicht ohne Grund laufen sowohl die Originale, als auch ihre Remakes immer wieder durch die Kinos und TV-Kanäle. Eben, weil es außer mir wohl noch vielen so geht. Es stimmt ja: Das ist Fernsehen für „alte Leute“.
„Life On Mars“ steht in genau dieser Tradition, hat diese dabei aber, sowohl in der Produktion, aber eben auch, und das ganz besonders, im Storytelling auf ein wesentlich moderneres Level gehoben und brutal in die Gegenwart transformiert. Im Vergleich zu dem, was sonst an Krimiware (auch bei der BBC) die Mediathek verstopft – von den unseren mal gar nicht zu reden – ist diese Serie ein echter Edelstein und mindestens so modern wie Tarantinos Zeitreise „Once Upon a Time in Hollywood„ – und der Film ist von 2019.
Der Soundtrack ist ein Hit!
Was ich an der Serie noch besonders liebe, ist ihr vorzüglicher zeitgenössischer Soundtrack. Damit bekommen wir noch heute jede Party zum kollektiven Ausflippen! Jedenfalls die Art von Partys, die ich freiwillig besuchen würde:
• Introduction Dialogue — King of the Jungle
• David Bowie — Life on Mars?
• Roxy Music — Street Life
• Paul McCartney and Wings — Live and Let Die
• Electric Light Orchestra — 10538 Overture
• John Kongos — Tokoloshe Man
• Atomic Rooster — Devil’s Answer
• T. Rex — Rock On
• Free — Little Bit of Love
• Lee „Scratch“ Perry and The Upsetters — Jungle Lion
• Brief Interlude Dialogue — Armed Bastards!
• The Sweet — Blockbuster!
• The Faces — Cindy Incidentally
• Ananda Shankar — Snow Flower
• Slade — Coz I Luv You
• Mott the Hoople — One of the Boys
• Lindisfarne — Meet Me on the Corner
• Frankie Miller — I Can’t Change It
• Thin Lizzy — Whiskey in the Jar
• Audience — I Had a Dream
• Uriah Heep — Traveller in Time
• Nina Simone — I Wish I Knew
• Epilogue Dialogue — I Want to Go Home
(Quelle: Wikipedia.de)
Und das sind ja nur die Titel, die es auf das Album geschafft haben. Dazu gibt es die Rolling Stones, The Kinks, Queen und unendlich viele andere.
Bessere und intelligentere Unterhaltung werden sie spontan kaum finden. Nicht öffentlich-rechtlich und vermutlich auch nicht kommerziell. Es ist, was es ist: Eine Mediathekperle, die nur ein paar Monate(!) verfügbar ist, bevor sie wieder exklusiv nur auf kapitalistischen Streamingservices läuft. Und weil kein Algorithmus sie uns in die Timeline boxt, deshalb mach’ ich das hier.
I just want to smack it in your face. And I don’t want to hear you complainin‘.
Watch this!
TV Serie, BBC1, UK, 2006 – 2 Staffeln, 16 Episoden, Regie: John McKay u.a., Drehbuch: Matthew Graham, Tony Jordan, Ashley Pharoah, Mit: John Simm (Sam Tyler), Philip Glenister (Gene Hunt), Liz White (Annie Cartwright)
Schreiben Sie einen Kommentar