Die Dramedy „This is going to hurt“ über einen überlasteten jungen Arzt in Großbritannien ist die politischste Krankenhausserie seit langem – und könnte so ähnlich auch hierzulande spielen.
Worum geht’s?
Um den jungen Assistenzarzt Adam Kay (Ben Whishaw), der im Jahr 2006 als Gynäkologe in einem staatlichen Krankenhaus in London arbeitet. Von außen betrachtet führt Adam ein aufregendes Leben: Tagsüber bringt er Babys zur Welt, abends könnte er mit seinem Freund durch Pubs ziehen. Stattdessen schläft er auf dem Krankenhaus-Parkplatz in seinem schrottreifen Kleinwagen, übernimmt Zusatzschichten, wenn Kolleg:innen fehlen, und wird von seinem besten Freund als Trauzeuge entlassen, weil er es fast nicht geschafft hätte, dessen Junggesellenabschied zu organisieren. Irgendwann stellt Adam fest: „Medizin hat mein Leben zerstört.“
Worum geht’s eigentlich?
Um das marode Gesundheitssystem Großbritanniens, den National Health Service (NHS), und die Überbelastung des Gesundheitspersonals. In „This is going to hurt“ stehen Adam, die Medizinstudentin Shruti Acharya (Ambika Bhakti Mod) und die Hebammen auf der Station repräsentativ für die rund 1,5 Millionen Beschäftigten des NHS und deren Nöte. Adams Buzzer vibriert unentwegt, während in den Gängen Schwangere eng an eng stehen. Manche warten bis zum nächsten Tag auf eine Behandlung. Als der Gesundheitsminister zu Besuch kommt, soll auf der Station alles ordentlich aussehen – in Wahrheit tropft es seit vier Jahren von der Decke. Nach einer Operation, bei der beinahe Kind und Mutter sterben, sieht Adam in Flashbacks das Frühchen und die blutüberströmte Mutter überall – im Kühlschrank, im Club, auf seiner Verlobungsparty. Trotzdem macht er weiter 90-Stunden-Wochen und übersieht, dass Shruti zusammenzubrechen droht.
Gut zu wissen:
Der NHS, der größte Arbeitgeber Europas, feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Die Gründungsidee: Jede Person in Großbritannien soll kostenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen. Große Feierstimmung herrscht derzeit allerdings nicht – seit Anfang des Jahres streiken Hunderttausende Sanitäter:innen, Krankenpfleger:innen sowie Ärzt:innen. Seit Jahrzehnten spart die britische Regierung beim NHS, der größtenteils durch Steuern finanziert wird. Menschen müssen manchmal Monate bis Jahre auf eine notwendige Operation warten, Ärzt:innen und medizinischer Nachwuchs fehlen. Die Folge sind ausgebrannte Angestellte. Beinahe zwei Drittel aller Ärzt:innen in Großbritannien kämpften laut einer Studie aus dem Jahr 2021 mit einer Depression oder Angsterkrankung.
Wie ist es erzählt?
In Adams Alltag folgt auf eine absurd komische Szene eine, die einem die Tränen in die Augen treibt – das alles ist unterlegt mit Indie-Rock. Wirkt es anfangs witzig, dass Adam in seinem Auto schlafen muss, überwiegt gegen Ende der siebenteiligen Dramedy das Drama: Da sieht man etwa Shruti mit ausdruckslosem Gesicht einer Frau erklären, dass die ihr Baby verloren hat. Und Adams flotte, vulgäre Sprüche, die er zum Teil direkt in die Kamera spricht, werden immer zynischer. Explizit wird es nicht nur sprachlich: Bei „This is going to hurt“ fließen Körperflüssigkeiten, allen voran Blut. Es gibt eine Frau, die ihre Plazenta essen will, blutverschmierte Gebärräume, Babyköpfe, die in Vaginen feststecken. Schwangere sollten sich vielleicht überlegen, ob sie die Serie gucken wollen.
Was steckt dahinter?
Die BBC-Produktion „This is going to hurt“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Adam Kay (dem realen Vorbild für die Serienfigur), das 2017 in Großbritannien erschien und zum Bestseller wurde. Grundlage waren Kays Tagebucheinträgen der Jahre 2004 bis 2010. Depressionen und eine posttraumatische Belastungsstörung führten 2010 dazu, dass Kay seinen Job aufgab. Seitdem arbeitet er als Comedian und schreibt Drehbücher fürs Fernsehen – auch das von „This is going to hurt“.
Good job!
Einige Szenen dürften für manche drüber sein, aber „This is going to hurt“ ist die authentischste und politischste Arztserie seit langem. Hier sind Ärzt:innen nicht die glamourösen, makellosen Personen, wie es einem Serien wie „Grey’s Anatomy“ weismachen wollen. Sondern Menschen, die keine Zeit für Dates haben und die ihr Mittagessen in den Müll schmeißen, weil der Aktenberg zu hoch ist. Die zwar abstumpfen und doch alles tun, um die Würde ihrer Patient:innen zu wahren. Nicht umsonst wurde die Serie mit vier British Academy Television Craft Awards ausgezeichnet.
Könnte die Serie auch in Deutschland spielen?
Das britische Gesundheitssystem mit dem deutschen zu vergleichen ist schwierig. Anders als in Deutschland finanziert sich der NHS fast ausschließlich durch Steuereinnahmen, das medizinische Fachpersonal ist beim Staat angestellt. Außerdem fokussiert sich die Gesundheitsversorgung auf Krankenhäuser, weil es Fachärzt:innen – wie Gynäkolog:innen – nur dort gibt. Andererseits: Auch in Deutschland fehlen Ärzt:innen, Pflegekräfte und medizinischer Nachwuchs. 2022 streikten Pfleger:innen allein in Nordrhein-Westfalen elf Wochen lang, um gegen schlechte Arbeitsbedingungen und für eine bessere Entlohnung zu kämpfen. Im Bereich der Geburtshilfe kritisieren Hebammen, viel zu wenig Zeit für ihre Patientinnen zu haben. 70 Prozent arbeiten daher nur noch in Teilzeit oder haben den Beruf aufgegeben. Kurzum: „This is going to hurt“ spielt in London, aber die Szenen dürften sich so ähnlich auch in deutschen Krankenhäusern abspielen.
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Dieser Beitrag wurde am 12.09.2023 veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Autorin: Mirjam Ratmann, für Fluter.de / Das Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung
TV-Serie, Großbritannien, 2023 FSK: 12 Regie: Lucy Forbes, Tom Kingsley Drehbuch: Adam Kay Mit: Ben Whishaw, Ambika Mod, Alex Jennings, Michele Austin, Rory Fleck Byrne, Harriet Walter, Hannah Onslow
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