Ein wirklich großer Film, dem es gerecht würde, ihn zu lieben, auch wenn er es uns nicht wirklich einfach macht. Denn die Geschichten von Mascha, erzählt von Regisseurin Paula Beck und ihrer Hauptdarstellerin Aylin Tezel, ergeben keine lineare Heldinnenreise, sondern erzählen von Flucht und einer Suche nach Heimat und Identität.
Schon die erste Zusammenarbeit von Beck und Tezel hat mich seinerzeit derartig verblüfft und begeistert, dass ich gar nicht anders konnte, als diesen Film ganz oben auf meine „Das musst du sehen!“ Liste zu setzten. Denn die wirklich dramatische Spannweite von Aylin Tezel kommt in ihren Produktionen für das Fernsehen oft einfach zu kurz. Diese Frau braucht und genießt offenbar tatsächlich die große Freiheit der Leinwand und eine Regisseurin, die sie ihr anvertraut.
Ganze zehn Jahre lagen zwischen Paula Becks Langfilmdebüt „Am Himmel der Tag“ (2012) und ihrem zweiten Film „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ (2022). Und auch, wenn es hier nicht um die Fortsetzung derselben Geschichte geht, ist es, als würden Beck und Tezel ihre Erzählung über eine Frau, die ihren Platz im Leben sucht, gleichsam fortsetzen.
Die Fragen, „Wer bin ich? Warum bin ich, wer ich bin? Wo gehöre ich hin? Was ist mein Platz im Leben? – Und wie soll das alles einen Sinn ergeben?“, stellen wir uns im Leben entweder gleich mehrfach – und müssen dann mit den sich möglicherweise widersprechenden Antworten umzugehen lernen. Oder wir vermeiden die Fragen, stellen sie uns einfach gar nicht, lassen es einfach darauf ankommen und sind dann irgendwann tot.
Die Geschichte von Mascha ist die einer jungen, modernen und unabhängigen Frau, die es darauf anlegt, all das herauszufinden. Was für sie nicht ganz einfach ist, weil sie tatsächlich so viele Identitäten in sich vereint, die mitunter im Widerspruch zueinander stehen, mitunter ganz und gar nicht eindeutig und sich mitunter einfach fremd sind.
Es sind wahrhaftig die ganz großen, die monströsen Themen, Liebe, Sexualität, Glück, Leben, Tod, Krieg, Flucht, Religion, Herkunft und Heimat, die hier verhandelt werden. Und die Verknüpfung all dieser Fragen bei Maschas Suche nach ihren Antworten, machen es kompliziert. Ganz wie ein Leben, das nicht linear, sondern in Sprüngen verläuft.
Als Zuschauer:in erwartet sie also eine Geschichte, inszeniert wie eine Achterbahn. Zusammengehalten von der fantastischen Aylin Tezel und Sohel Altan Gol, der hier, gleichsam als Stellvertreter für das Publikum, die Rolle ihres besten (schwulen) Freundes spielt – und als Korrektiv und Kommentator ihrer Erlebnisse auch menschlich und moralisch ihr Anker ist.
Als Filmemacherin weigere ich mich, Geschichten zu erzählen, die nur in meinem eigenen Dunstkreis herumdümpeln. Gerade der deutsche Film, vor allem im Fernsehen, konzentriert sich gern auf schöne Geschichten aus der gutbürgerlichen Mitte. Das langweilt mich beim Zuschauen. Ich möchte etwas erzählen, das universeller ist, das vibriert. Ich möchte Filme mit Figuren machen, die sich zeitgemäß anfühlen und sich in einer Vielfalt zeigen, die nicht kleingeistig oder brav ist. Mit „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, wollte ich einen sinnlichen Film drehen, der aber nicht jedem gefallen muss, der herausfordert und an dem man sich reiben kann. Es war mir wichtig, große Emotionen zu zeigen, nicht immer alles zu unterdrücken oder ordentlich-chronologisch aufzubereiten.
Paula Beck, im Interview mit Freitag.de, 02.11.2022
Es ist starkes und richtig modernes Kino. Weil es wirklich modern inszeniert, ins Bild gesetzt und hart geschnitten ist. Vor allem aber, weil es eine Geschichte ist, die in die Zeit passt und keine Kompromisse machen will, was mögliche Erwartungshaltungen des Publikums betrifft. Der Film geht „nach vorne“, und erzählt nur, was wichtig ist. Und weil so viel passiert, schafft er, die eineinhalb Stunden so schnell, ja eigentlich fast zu schnell, vergehen zu lassen.
Ein trefflich schönes und versöhnliches Ende hat die Geschichte auch.
Ohne Kitsch und ohne Scheiß.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 17.07.2024.
Drama, Deutschland, Israel 2022, FSK: ab 16, Regie: Pola Beck, Drehbuch: Burkhardt Wunderlich, nach einem Buch von Olga Grjasnowa, Produktion: Jonas Katzenstein, Maximilian Leo, Kamera: Juan Sarmiento G., Schnitt: Philipp Thomas, Musik: Johannes Repka, Mit: Aylin Tezel, Sohel Altan Gol, Slavko Popadić, Yuval Scharf, Bardo Böhlefeld
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