Joaquin Phoenix, der überlebensgroße, spektakuläre, exzentrische, besessene Darsteller von Figuren jenseits unserer Vorstellungskraft, in einer Rolle, wie Sie ihn vielleicht noch nie gesehen haben. In Mike Mills großartigem Familiendrama spielt er einen durch und durch geerdeten, ja vollkommen „normalen Mann“ auf einer Reise zu sich selbst.
Ich bin ein großer Fan von Joaquin Phoenix, das ist kein Geheimnis. Doch nach seinem Weltblockbuster „The Joker“ (2018), hat der Schauspieler aus Puerto Rico mich hier kalt erwischt. Denn in diesem Film spielt er einen Mann, wie ich selbst vielleicht einer geworden wäre. Vielleicht spielt er sogar sich selbst?
Wenn Sie mit dem Schaffen von Mike Mills vertraut sind, dann ist dieser Film für Sie eine logische Fortsetzung der vorherigen Werke dieses Ausnahmeregisseurs. Seine eigene Familiengeschichte, in „Beginners“ (2010), mit einer Reflexion über das Leben und den Tod seines Vaters begonnen, die er mit „20th Century Women“ (2016) als Film über das Leben seiner Mutter fortgesetzt hat, findet in „Come On, Come On“ (2021) gewissermaßen ihre Ankunft in der Gegenwart.
Sollten Sie mit den vorherigen Filmen aber gar nichts anfangen können, dann lohnt es sich möglicherweise um so mehr, mit dieser großen Meditation über Familie, das Leben und die Wahrheit unserer Gefühle zu beginnen.
Johnny (Joaquin Phoenix) ist ein Chronist. Er reist als Radiojournalist durch das Land, um junge Menschen zu befragen.
„Wenn du an die Zukunft denkst, wie stellst du sie dir vor? Wie wird die Natur aussehen? Wie wird sich deine Stadt verändern? Werden Familien zusammenbleiben? Was wirst du behalten, was wirst du vergessen? Was macht dir Angst? Was macht dich wütend? Fühlst du dich allein? Was macht dich glücklich?“
Filmzitat
Und wenn Sie in diesem Johnny ein Alter-Ego des Regisseurs und Autor dieses Filmes sehen wollen, dann liegen Sie vermutlich ziemlich richtig. Denn was, wenn nicht die Suche nach Antworten auf diese Fragen treibt diesen Filmemacher wirklich um im Leben?
„Ich kann und werde einen Ort, eine Situation, ein Problem verlassen – aber die Menschen, die ich interviewe, können das nicht. Die Arbeit bietet dem Interviewer Zugang und einen Grund, in einer Welt zu verweilen, die nicht die eigene ist, völlige Ablenkung vom eigenen Leben, ein Gefühl der Unverwundbarkeit, ein Gefühl der Unsichtbarkeit.
Ich handle und hoffe, ohne die Möglichkeit zu wissen, was in der Zukunft geschehen wird. Meine Arbeit bietet den Befragten die Chance, über Dinge zu sprechen, über die sie noch nie gesprochen haben. Eine Gelegenheit, sich selbst als das Thema zu sehen, das Zeit und Aufmerksamkeit verdient. Die Arbeit bietet den Befragten die Möglichkeit, ein Bild von sich selbst zu erschaffen, dessen Verbreitung sie jedoch nicht kontrollieren können – auf globaler Ebene, auf ewig.“
Filmzitat
Ich kann mir nicht helfen, diesen Film nicht zu lieben. Ein Film über intellektuelle Großstädter, die sich mühsam über Wasser halten und versuchen – meist jedoch scheitern – noch einen Sinn in der Gegenwart zu finden, während ihre familiären Bindungen in einer Weise zerfallen, die sie kaum noch zu fassen bekommen. Und doch daran festhalten.
Phoenix wirkt hier wie ein schäbiges, aber geliebtes altes Sofakissen, das seit 20 Jahren weder gereinigt noch neu bezogen wurde, und vermittelt eine geerdete Liebenswürdigkeit, die er in keiner Rolle vorher wohl je gezeigt hat. Er und sein Partner, der blutjunge Woody Norman sind ein wundervolles, ungleiches Paar auf einer großen gemeinsamen Reise zu sich selbst.
Was „C’mon, C’mon“ neben seiner ungewöhnlichen und mein Herz erwärmenden Geschichte aber auch auszeichnet, und das darf ich nicht vergessen, ist die fantastische Kameraarbeit des Iren Robbie Ryan, der früher auch regelmäßig für Ken Loach und Andrea Arnold gedreht hat. Seine hochglänzenden Schwarz-Weiß-Bilder, fast ausschließlich an Großstadt-Locations, sind ein purer 97-minütiger ästhetischer Genuss und eine Therapie für meine TV-gestressten Augen.
Sie werden diesen Film nicht vergessen wollen.
„I’d remind you of everything.“
Dieser Beitrag erschien zuerst am 13.11.2024.
Drama, USA, 2021, 104 Minuten, FSK: ab 6. Regie & Drehbuch: Mike Mills, Produktion: Chelsea Barnard, Andrea Longacre-White, Lila Yacoub, Musik: Aaron Dessner, Bryce Dessner, Kamera: Robbie Ryan, Schnitt: Jennifer Vecchiarello, Mit: Joaquin Phoenix, Gaby Hoffmann, Woody Norman, Scoot McNairy
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