Polizei-PR ist legitim – unabhängiger Journalismus ist was Anderes. Fertig geärgert hatte ich mich schon. Dann erschien in der taz eine Nacherzählung; dem Autor war offenbar nichts Kritisches eingefallen. Das hat mich noch mal zusätzlich geärgert. Also bekommen Sie jetzt hier von mir einen Kritik-Bonus…

Es ist eine epidemische Erkrankung des Journalismus, Mitteilungen der Polizei als Wahrheit zu nehmen, zu der keine weiteren (teuren) Recherchen erforderlich sind. Dass es sich um einen Teil des Staatsapparates handelt, der auch eigenständige politische Interessen verfolgt, mitunter auch demokratiefeindliche Elemente beherbergt, auch das ist mittlerweile einigen TV-Journalist*inn*en aufgefallen, und wird nachts irgendwann versendet.
Die „Mafiajäger“ haben mich deswegen so geärgert, weil sie als Musterbeispiel für eingebetteten Journalismus kursieren können. Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass die Operation “Eureka” die größte aller Zeiten in Europa ist. Das ist auch nicht wichtig. Offenbar war sie wichtig genug, PR-Strategien von Anfang an darauf abzustellen, und Medien- und TV-Teams bei Ermittlungen, Razzien und Aktionen mitzunehmen.
So ein Fünfteiler, an dem sich ein halbes Dutzend ARD-Anstalten finanziell zugunsten der Produktionsfirma “beetz brothers film production” mit ihren Produktionsetats beteiligen – gibt es eine günstigere Gelegenheit für Öffentlichkeitsarbeiter*innen? Diese Gelegenheit lässt sich auch Oliver Huth, NRW-Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter e.V., einer ständischen Konkurrenz der Gewerkschaft der Polizei, und zufällig beim LKA NRW mit den Ermittlungen betraut, nicht entgehen. Der ist ja nicht blöd.
ARD – denkfaul und zahlungsfähig
Fragen stellen sich an die von Ihnen und mir finanzierten ARD-Anstalten sowie die produzierende und profitierende Produktionsfirma. Es ist ja schön, so exklusiv von den Ermittlungsbehörden mit jedwedem Material versorgt zu werden. Auf die nervende Musik hätte ich, wie so oft, mal wieder sehr gut verzichten können. Aber die magere klischeehafte Dramaturgie, die von den Polizeierzählungen übernommen wurde, eben nicht.
Es hätte sogar einen diskussionswürdigen Ansatz gegeben, aus der Produktion mehr zu machen. Es ist die Forderung der italienischen Sicherheitsbehörden, auch in anderen europäischen Ländern ihre Gesetzesregelungen zu übernehmen (Umkehrung der Beweislast u.v.m.). Warum geschieht das nicht? Das ermittelt der längliche Fünfteiler gar nicht erst.
Es gibt gute Gründe dafür und dagegen. Kriminalwissenschaftler*innen, Polizeiforscher*innen und -ausbilder*innen kommen überhaupt nicht zu Wort. Es gibt sie, sie sind gut verfügbar. Das interessiert diese Filmproduktion aber nicht.
Naheliegende Fragen werden nicht erörtert. Wie konnte die ’Ndrangheta ausgerechnet in Kalabrien heranwachsen? Was unterscheidet sie von anderen Mafiaklischees? Was sind die sozioökonomischen und politischen Bedingungen, die sie zu einem kriminellen Riesen machten? Ich nenne nur als Beispiel die Sklavenarbeit der ausländerrechtlich wehr- und rechtlosen Migrant*inn*en, die ausgepresst werden, wie “wir” es mit den von ihnen geernteten Südfrüchten machen.
Für die unter Ihnen, die es nicht wissen: der politische Pate der italienischen Mafiosi war der Christdemokrat (!) Giulio Andreotti, genial-fiktiv porträtiert in Il Divo von Paolo Sorrentino. der auch mal auf Arte gelaufen ist. Nach seiner politischen Abdankung lösten sich Christdemokraten und „Sozialisten“ auf, und mit Silvio Berlusconi folgte ein noch originalerer Repräsentant der italienischen Mafiaorganisationen in der Regierungsmacht. In seiner Finanzierung als unfähiger Unternehmer, der dennoch vor Geld und Macht kaum laufen kann, darf er als Vorbild und Vorläufer Donald Trumps gelten.
Dass es in diesem politisch verseuchten Rahmen todesmutige Polizist*inn*en, Staatsanwält*inn*en und Ermittlungsrichter*innen gibt, davon können sich deutsche Ermittler*innen in der Tat viele Scheiben abschneiden. Und einige tun das auch. Das ist aber kein Grund für derartig ermittlungsarmen – und ausnehmend gut bezahlten – Journalismus.
Dieser Beitrag von Martin Böttger erschien zuerst am 30.01.2025 im Beueler-Extradienst. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors. Alle Rechte vorbehalten.
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Dokumentarfilm, Deutschland, Regie: Veronika Kaserer, Stefano Strocchi, Autor:in: Georg Tschurtschenthaler, Veronika Kaserer, Ina Kessebohm, Produktion: Gebrüder Beetz Filmproduktion, Berlin, WDR
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