Lars Becker – „Nachtschicht: Der Unfall“ (2025)

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Wenn es einen neuen „Becker“ gibt, dann schließt dieser Autor Fenster und Türen, stellt das Telefon ab und sich selbst unter Quarantäne. Denn was Becker abliefert, ist oft genial und fast immer etwas Besonderes. Ein Autorenfilmer unter den Krimiregisseuren, der im Deutschen Fernsehen ziemlich einmalig ist. Einschaltbefehl!

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Ich habe es jüngst schon an anderer Stelle genau so schreiben dürfen. Es stimmt aber noch immer, ich wiederhole mich also sehr gerne: Als „Fernsehfilm der Woche“ bewirbt es das ZDF eigentlich immer, wenn es einen neuen Film ihres Hausregisseurs gibt. Dabei ist es aber fast immer viel mehr als das.

Eigentlich sind es Höhepunkte eines ZDF-Fernsehjahres. Und weil es davon so wenige gibt, landen diese natürlich auch (mit Recht) regelmäßig auf den Vorschlagslisten zum Grimmepreis. Wenn eine TV-Serie überhaupt mehr 20 Jahre lang zu existieren vermag, dabei aber „nur“ 19 Folgen zusammenkommen, dann erkennen wir schon daran, dass es sich bei „Nachtschicht“ nicht um ein Massenprodukt aus der Contentfabrik handelt.

Ohne Armin Rohde, der als Erich Bo Erichsen, der Anführer des Becker-Ensembles ist, wäre keine „Nachtschicht“ vorstellbar. Und ohne Lars Becker hätte die Karriere des Gladbecker Ausnahmeschauspielers wahrscheinlich auch einen ganz anderen Verlauf genommen. Vielleicht wäre auch er irgendwann als Kommissar in einem ARD-Tatort-Revier gelandet. Für den Tatort wäre das ein Gewinn gewesen. Doch für uns Zuschauer:innen vermutlich ein tragischer Verlust.

Denn die beiden Kommissare, die Rohde und Becker über die Jahrzehnte entwickelt haben, würden einerseits kaum zu dem Behördenkonzept der ARD kompatibel sein. Andererseits repräsentieren Erichsen in der „Nachtschicht“ (seit 2003) und Fredo Schulz in der anderen Filmreihe von Becker Der Gute Bulle“ (seit 2017) auch in ihrer Serien-Formel eine ganz andere Welt.

Den Schulz mag ich eigentlich noch lieber als den Erichsen. Denn mit dem gehen Becker und Rohde ganz nah dran, an den Bullen. Sie lassen uns mit ihm kämpfen, leiden und lieben, ganz wie in den Abgründen und der Tragik des wahren Lebens. Da bin ich dabei. Da gehe ich mit.

Die „Nachtschicht“ ist dagegen immer ein Ensemble-Stück. Ein Team, das oft atemlos, fast in Echtzeit ermittelt und seine Fälle – eingebunden in das soziale Konstrukt einer Wache des Kriminaldauerdienstes – meistens in einer Nacht lösen kann. Das alleine sorgt schon dafür, dass eine Geschichte im hohen Tempo erzählt werden muss und – wenn es eben funktioniert – automatisch eine ganz andere Spannung vermittelt, als vergleichbare Krimis, die sich leisten können, bis zur 21:30 Zeitmarke zu mäandern, um dann doch einen Täter preiszugeben.

Das Ensemble dieser 19. Folge wird (wieder einmal) von den vertrauten Anführer:innen Rohde und seiner unterkühlt kongenialen Partnerin Barbara Auer, neben der größten Überraschung (für mich) mit der jungen und ziemlich verdammt großartigen Rocío Luz (!), bis hin zu einem wunderbar sentimentalen Comeback von Minh-Khai Phan-Thi und dem, etwas weniger sentimentalen, von Maximilian Brückner geprägt. Doch es sind eben auch wieder die „Nebenrollen“, die hier den Maßstab setzen, für das überragende Casting, das an anderer Stelle oft nur mit Abziehbildern von Stereotypen endet.

Bei Becker gibt es sowas nicht.

Der neueste Fall ist, für mein Ermessen, so nah an der Gegenwart, wie es bei einem Film, der vor rund einem Jahr gedreht wurde, eben geht, ohne das Publikum zu verstören. Das Thema der Abschiebung eines politischen Flüchtlings aus dem Iran, ist allemal eines, das absolut auf der Höhe der Zeit ist. Die Kommentierung der Handelnden ist hier immer auch eine der politischen Realität. Die Härte und Relevanz des Films – ungewohnt für einen Krimi auf dem Sendeplatz – eine fernsehkompatible Variante der Wirklichkeit.

So etwas erleben wir nicht oft.

Es ist ja tatsächlich notwendig zu betonen, dass Krimis (in der Regel) Werke der Fiktion sind. Das deutsche Publikum ist – das ist jeden Sonntagabend im sozialen Netzwerk ihrer Präferenz sichtbar – eines, das sich nicht nur bestens in der Arbeit der deutschen Polizeibehörden auszukennen glaubt, sondern auch eines, das nicht zufrieden ist, wenn es nichts zu meckern hat, an dem, was es sich ansehen muss.

Ich bin da anders gestrickt. Ich liebe es, wenn mir eine – auch gerne unwahrscheinliche – Geschichte fantasievoll erzählt wird. Ich schätze es, wenn ein Autor sich die Freiheit nimmt, einen ganz realen Sachverhalt fiktional zu verdichten. Und wenn dabei einmal etwas Unwahrscheinliches passiert, dann bin ich gespannt, wie diese Unwahrscheinlichkeit aufgelöst wird.

Am Ende der Nachtschicht gehen die Kolleg:innen nach Hause. Nur Erichsen nicht. Der bleibt alleine vor der Wache auf der Straße stehen. Und sieht uns an. Das war’s.

Heute ist ein neuer Tag.

Free-TV Premiere am 31.03.2025 im ZDF.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 28.03.2025. Permalink: https://nexxtpress.de/b/bmo



Krimi, Deutschland, 2025, FSK: ab 12, Regie: Lars Becker, Drehbuch: Lars Becker, Kamera: Alexander Sachs, Musik: Stefan Wulff, Hinrich Dageför, Schnitt: Sanjeev Hathiramani, Mit: Armin Rohde, Barbara Auer, Idil Üner, Özgür Karadeniz, Minh-Khai Phan-Thi, Albrecht Ganskopf, Rocío Luz, Sogol Faghani, Maximilian Brückner, Nadeshda Brennicke, Selam Tadese, Gustav Peter Wöhler, Aziz Dyab, Maryam Abu Khaled, Marcel Heuperman, Fediverse: @ArRo, @filmeundserien


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  1. @mediathekperlen Das würde ich für die ersten Folgen noch zweifelsfrei unterschreiben, hat aber schon auch nachgelassen, die Reihe …

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    1. Mediathekperlen

      Ja, das kann ich sogar nachvollziehen… früher war (noch) mehr Tempo und mehr Risiko. Doch wir sind alle älter geworden. Becker und Rohde sind keine jugendliche 50 mehr, sondern auch schon (über) 70. Und von mir will ich da gar nicht reden. 😅 Ich kenne aber noch keine andere Reihe im deutschen TV, die der Nachtschicht nahekommen würde. Eigentlich ist das wirklich traurig!

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    2. Mediathekperlen

      Wobei, jetzt hab‘ ich nochmal nachgedacht… warum bloß ist mir das nicht eingefallen? Eine gab es, ausgerechnet ebenfalls beim @ZDF: „KDD – Kriminaldauerdienst“ von Orkun Ertener. Immerhin 30 Episoden in nur drei Staffeln. Da war der Sender aber wohl mit der Quote nicht mehr zufrieden, und so war schon 2010 wieder Schluss damit. Und zur besonderen Schande ist gerade nichts davon mehr online. 🙁

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    3. @mediathekperlen Ja, ja, ich erinnere mich daran, fand ich auch ganz gut, glaube ich! Und großartige Besetzung.

      Mediathek: Ja, ich versteh's auch nicht. Da hat man vielleicht mal was verpasst, auch wenn vieles ja mittlerweile recht lange verfügbar ist, und dann findest du es nirgendwo mehr, oder, was mich fast noch mehr ärgert, nur 4 von 6 Folgen einer Reihe oder so ähnlich. Und dann gibt es ARD+, aber nicht ZDF+. Und auch da ist vieles nicht zu finden.

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