Mir geht dieses Genre inzwischen, eigentlich, gelinde gesagt, am Rücken vorbei. Doch gehören Dokumentationen wie diese seit einiger Zeit offenbar zum Standardrepertoire der ÖRR-Anstalten. Nach „Kevin allein zuhaus“, „Schicksalsjahre eines Kanzlers“ und „Inside CDU“ nun also die nächste, wenig investigative, aber dafür um so größere mehrteilige Reportage – dieses Mal eben über die Grünen? Es kam dann doch anders.

Schon nach nur wenigen Minuten habe ich meine Vorurteile, vermittelt durch die erwähnten ARD-Produktionen der letzten paar Jahre, wieder in die Schublade gepackt. Denn der Dreiteiler aus der ZDF-Frontal-Redaktion ist schon formell ein anderes Biest. Hier ist mal kein Kamerateam den Rollkoffern der Spitzenkandidat:innen gefolgt, sondern hat sich nach alter Sitte, mit Interviewpartner:innen an adäquate Tische gesetzt und ebenso gepflegt wie ausführlich unterhalten.
Auffällig ist sofort: Es reden nur die Gefragten. Ihre Fragesteller:innen bleiben hinter den Kameras. Zusammengehalten werden die Stücke jeweils thematisch angereichert durch historische Aufnahmen und einem Kommentar von Christine Hegeler. Das ist, für mich, in jedem Fall von Vorteil, wenn es darum geht, nicht Personen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Zusammenhänge, hier die Geschichte der Partei von den frühen 70ern bis in die jüngste Gegenwart nachzuzeichnen.
Natürlich sind es die Personen, die wir wiedererkennen. Mir fiel sofort auf, wie lange ich Ludger Volmer schon nicht mehr gesehen habe. Recht gut gealtert sagt man(n) wohl. Glückwunsch! An Petra Kelly zu erinnern, ist immer verdienstvoll, viele können das ja schon nicht mehr. Joschka Fischer (in Jeans!), auch schon fast 80… ich stelle fest: Ich bin auch schon lange keine 20 mehr.
Für ihre dreiteilige Dokuserie haben Grimme-Preisträger Hauke Wendler und Lisa Maria Hagen mit fast allen wichtigen Köpfen aus 45 Jahren Grünen-Parteigeschichte gedreht: von Lukas Beckmann, Renate Künast und Winfried Kretschmann, über Joschka Fischer und Jutta Ditfurth bis hin zu Annalena Baerbock, Ricarda Lang, Felix Banaszak und vielen anderen mehr.
„frontal“-Dokuserie über Aufstieg und Krise der Grünen (Pressemitteilung ZDF)
Die „frontal“-Dokuserie stützt sich auf das Rohmaterial aus 18 langen, ruhigen Interviews – in dem Bewusstsein, dass es in politischen Zeiten wie diesen nicht an peppigen Bildern und Kommentaren mangelt, sondern an Argumenten und Hintergrundwissen. Über die jeweils mit drei Kameras gefilmten Interviews bekommen die Protagonistinnen und Protagonisten Raum, um tief in die Geschichte ihrer Partei einzutauchen, die sie an führender Stelle mitgeprägt und mitgestaltet haben. Diese teils sehr persönlichen Erinnerungen werden mit Hilfe von Film- und Fotomaterial aus 60 Jahren Bundesrepublik aufwendig in Szene gesetzt und in der Montage so miteinander verknüpft, dass neue Bezüge und Zusammenhänge entstehen.
Zeitsprünge in der Erzählung können von „heute“ durchaus schonmal über 50 Jahre in die Vergangenheit gehen, da müssen wir erst alles sehen, bis dass diese einen durchgehenden „grünen Faden“ spinnen. Das haben sich die Macher:innen am Schneidetisch ganz geschickt zurechtgelegt. Allerdings wird dem nicht jede:r Zuschauer:in folgen können – oder wollen. Gefällig, oder eine einfache Held:innenerzählung sein, will diese Reportage jedenfalls nicht.
Vom Aufstieg und den Krisen der Grünen wurden schon ganze Bücherregale vollgeschrieben… 40 Jahre sind – für mich – noch immer ein nur sehr kurzer Abschnitt der Geschichte. Das passt in 90 Minuten Film, solange er nur den groben Linien folgt. Da spielt natürlich die Auswahl der Zitate aus den 18 Interviews und dem historischen Material eine erhebliche Rolle, um Themen zu personalisieren. Alle haben was zu sagen, aber nicht alle können zu allem alles sagen. Die Auswahl ist also die Verantwortung der Journalist:innen. Das haben die recht ausgewogen gemacht, finde ich. Spannend ist aber doch, was davon am schon erwähnten Schneidetisch liegen geblieben ist. – Und mal ehrlich: Warum eben diese Interviews nicht auch online(-only) stellen, liebes @ZDF? Für die Geschichtsschreibung und Einordnung wäre das doch wahrhaftig interessant genug.
Politisch will ich das Gesagte und Gesehene nicht kommentieren. Ich war auch mal einige Jahre Mitglied der Partei. Ausgetreten bin ich noch unter Außenminister Fischer. Das ist wohl über 25 Jahre her. Gute Freund:innen habe ich immer noch dort. Da können Sie sich jetzt den besten Reim darauf machen, den Sie gerade finden.
Sehenswert ist der Film. Ob er gut genug ist, entscheiden sie selbst!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 21.05.2025.
Dokumentarfilm, Deutschland, 2025, FSK: 0, Redaktionsleitung: Ilka Brecht, Redaktion: Hauke Wendler, Lisa Maria Hagen, Sprecherin: Christine Hegeler, Mit: Lukas Beckmann, Renate Künast, Winfried Kretschmann, Joschka Fischer, Claudia Roth, Jutta Ditfurth, Annalena Baerbock, Ricarda Lang, Felix Banaszak, Robert Habeck, Ludger Volmer, Jürgen Trittin, Ralf Fücks, Tarek Alaows, u.v.a.
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