Vermutlich ist er der profilierteste schwarze Filmemacher Europas, in jedem Fall aber Großbritanniens, sicher der prominenteste und der bisher einzige, der für einen seiner wenigen Filme einen Oscar mit nach Hause nehmen durfte. Wenn Sie sich an „12 Years a Slave“ (2013) noch erinnern, dann sollten Sie keine weitere Erklärung brauchen, warum Sie die fünf Filme der „Small Axe“ (2020) Reihe unter gar keinen Umständen verpassen dürfen!
Ganz ehrlich, vor dem Film aus 2013 und all dem Festival-Rummel um ihn, kannte ich diesen Steve McQueen überhaupt nicht. Und klar, der Name lädt ein, zu Verwechslungen mit seinem Namensvetter, dem anderen unsterblichen Steve. Doch spätestens seit dem großartigen und dreifachen Oscar-Gewinner „12 Years a Slave“ (2013) – als bester Film, für das beste Drehbuch und die beste Nebendarstellerin – ist klar, um wen es sich handelt, wenn Sie gefragt werden, ob Sie „den neuen Film von McQueen“ schon gesehen haben.
Hier haben wir nun eine ganze Spielfilmreihe (und eine Filmbiografie), die nicht für das Kino produziert wurde, sondern für die (öffentlich-rechtliche!) britische BBC (koproduziert von Amazon). Eine Filmreihe ist es, weil McQueen während der Arbeit an einer ursprünglich projektierten Serie realisiert hat, dass er mehr Geschichten zu erzählen hat, als in einen horizontal erzählten Handlungsrahmen passen würden. Und so wurden es fünf, jeweils für sich stehende Filme, die aber eine gemeinsame Idee und ein gemeinsames Motiv vereint: das schwarze London von den 60ern bis in die Mitte der 80er Jahre.
Fünf Filme zur Geschichte der schwarzen Einwanderer aus den West Indies (vornehmlich Jamaika und Trinidad) nach London umfasst die Reihe, die gleichzeitig mit den Regeln einer Reihe bricht. Drei Folgen dauern jeweils nur eine knappe Stunde lang, eine dagegen über zwei. Partyfilm folgt auf Gerichtsdrama, dazu kommen zwei Filmporträts.
Hannah Pilarczyk, Spiegel.de, 19.12.2020
Angesiedelt sind die Filme zwischen 1969 und 1985. Jede Episode funktioniert für sich allein, doch erst gemeinsam fangen sie an zu schillern und zu klingen: Figuren der Zeitgeschichte treten hervor und fügen sich gleichzeitig in das Porträt einer Community ein, wie es das Fernsehen in dieser Komplexität noch nicht geschaffen hat. ARD, ZDF, bitte sofort nachmachen!
Ich habe alle Filme schon 2021 über den BBC iPlayer gesehen, auf den freundschaftlichen Rat eines Arbeitskollegen, der selbst aus London, bzw. Barbados stammt, und sich in seiner ehrlichen Begeisterung dafür kaum bremsen ließ. So wurde ich neugierig und hing auch bereits während des ersten Films derartig am Haken von McQueen, dass es mir schwergefallen ist, nicht alle auf einmal und am Stück zu sehen. Vielleicht sollten Sie das auch nicht tun. Denn weil es eben keine „Serie“ zum Bingewatching ist, können die einzelnen Filme erst einmal sacken, wirken und in ihr Unterbewusstsein eindringen, bevor der nächste schon wieder weitergeht. Vergessen werden Sie danach sicher keinen einzigen.
Tatsächlich waren die Originalversionen für mich nicht ganz ohne Herausforderungen, Untertitel gab es nicht. Sprachlich wurde ich dabei wirklich gefordert. Notting Hill war vor dem Überfall aus Hollywood und der brutalen, nichts und niemanden verschonenden Gentrifizierung, ja auch nicht wirklich eine bevorzugte Nachbarschaft von Feriensprachschulen für elitäre Kontinentaleuropäer:innen, sondern eine multikulturelle Community mit jeder Menge sozialem und ökonomischen Sprengstoff. Wie sehr es sich seit den 60ern verändert hat, sehen wir hier, denn die Filme atmen eine Authentizität, die wir im TV und selbst im Kino nur sehr, sehr selten erleben können.
„So if you are the big tree,
Bob Marley, „Small Axe“, 1970
we are the small axe.“
Großartiges, ganz großartiges Fernsehen!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 23.05.2025.
„Mangrove“: Drama, UK, 2020, Regie: Steve McQueen, Drehbuch: Steve McQueen, Alastair Siddons, Produktion: Anita Overland, Michael Elliott, Kamera: Shabier Kirchner, Schnitt: Chris Dickens, Mit: Shaun Parkes, Letitia Wright, Malachi Kirby, Sam Spruell, Rochenda Sandall, Jack Lowden, Alex Jennings, Gershwyn Eustache Jr., Gary Beadle, Llewella Gideon, Nathaniel Martello-White, Richie Campbell, Jumayn Hunter, Joseph Quinn, Jodhi May, Samuel West, Derek Griffiths.
.„Lovers Rock“: Drama, UK, 2020, Regie: Steve McQueen, Drehbuch: Steve McQueen Courttia Newland, Produktion: Mike Elliott, Anita Overland, Musik: Mica Levi, Kamera: Shabier Kirchner, Schnitt: Chris Dickens, Steve McQueen, Mit: Amarah-Jae St. Aubyn, Micheal Ward, Shaniqua Okwok, Kedar Williams-Stirling, Francis Lovehall, Kadeem Ramsay, Ellis George, Daniel Francis-Swaby, Alexander James-Blake, Romario Simpson, Joshua Viner, Marcus Fraser, Saffron Coomber, Frankie Fox, Dennis Bovell.
„Red, White and Blue“: Drama, UK, 2020, Regie: Steve McQueen, Drehbuch: Steve McQueen, Courttia Newland, Produktion: Michael Elliott, Anita Overland, Musik: Mica Levi, Kamera: Shabier Kirchner, Mit: John Boyega, Steve Toussaint, Joy Richardson, Tyrone Huntley, Nathan Vidal, Seroca Davis, Antonia Thomas, Mark Stanley, Assad Zaman, Joy Richardson, Calum Callaghan, Conor Lowson.
„Alex Wheatle“: Filmbiografie, UK, 2020, Regie: Steve McQueen, Drehbuch: Steve McQueen, Alastair Siddons, Produktion: Michael Elliott, Anita Overland, Kamera: Shabier Kirchner, Mit: Sheyi Cole, Elliot Edusah, Johann Myers, Jonathan Jules, Robbie Gee, Asad-Shareef Muhammad.
„Education“: Coming-Of-Age-Drama, UK, 2020, Regie: Steve McQueen, Drehbuch: Steve McQueen, Alastair Siddons, Produktion: Anita Overland, Michael Elliott, Kamera: Shabier Kirchner, Mit: Kenyah Sandy, Sharlene Whyte, Daniel Francis, Tamara Lawrance, Josette Simon, Naomi Ackie, Ryan Masher, Jairaj Varsani, Tabitha Byron, Roshawn Hewitt, Kate Dickie, Jo Martin, Adrian Rawlins. Fediverse: @filmeundserien
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