Ich liebe es, wenn das Kino sich selbst zelebriert! Mit „Enfant terrible“ hat sich Oskar Roehler an ein Biopic gewagt, das den schillernden, selbstzerstörerischen Kosmos von Rainer Werner Fassbinder auf die Leinwand schleudert. Ein wilder Tanz, ein filmisches Delirium, das alles will – und dabei doch vor allem eines tut: sich selbst feiern.
Ich muss zugeben, anfangs war ich skeptisch. Schließlich kennen wir dieses Spiel: Künstlerbiografien verfallen gern in übertriebene Heldenverehrung oder erbarmungslose Demontage – selten gelingt beides zugleich. Roehler hat sich entschieden: keine Nuancen, keine Zwischentöne – er will Theater. Und so taumeln wir durch ein groteskes, expressionistisches Zirkusstück, in dem Fassbinder als dauerberauschter Visionär durch selbstgezimmerte Bühnenbilder tobt.
Oliver Masucci – der gerade erst als Alfred Herrhausen in diesem Blog vorgekommen ist – spielt Fassbinder mit solcher Überwältigung, dass ich mich oft gefragt habe: Soll ich lachen oder weinen? Wir sehen ihn, wie er sich selbst stilisiert, wie er seine Liebschaften schikaniert, wie er mit Zigarette im Mundwinkel Befehle knurrt. Fassbinder wird zur Kunstfigur, ein „enfant terrible“, das nur von Ekstase und Exzess lebt. Alles ist großes Theater, jedes Wort ein Manifest, jede Szene ein Aufschrei.
Während ich mich an diesem Spektakel berausche, frage ich mich gleichzeitig: Geht da nicht auch viel von Fassbinder verloren? Ja, er war der Berserker des deutschen Kinos, ein Getriebener, ein Schöpfer. Doch er war ebenso ein politischer Filmemacher, ein Chronist der BRD, ein schonungsloser Analytiker. Davon bleibt hier kaum etwas. Roehler setzt lieber auf das Fest: schwitzende Körper, chaotische Dreharbeiten, fliegende Fäuste. Ein bisschen Sex, ein bisschen Drogen, ein bisschen „Ich bin genial und ihr seid es nicht!“
Sicher, „Enfant terrible“ ist ästhetisch ein Rausch. Künstliche Sets, bewusst billig, grell und überdreht – wie ein fiebriger Trip in Fassbinders Kopf. Die Kamera klebt an Masucci, taumelt durch die Szenen, als wäre sie selbst betrunken. Roehler erschafft Bilder, die sich einbrennen – ob sie dem echten Fassbinder gerecht werden, bleibt offen.
Ich habe oft gelacht, mich gelegentlich fremdgeschämt, manchmal auch wütend den Kopf geschüttelt. Roehler gönnt sich keine Atempause. Alles ist laut, schrill, grotesk. Faszinierend, weil es jede Konvention sprengt – aber auch ermüdend, weil kein Raum für Zwischentöne bleibt. Und Sie denken sich vielleicht: Ist das Kunst oder kann das weg? Ich würde sagen: Beides.
Roehler huldigt dem Mythos Fassbinder, aber der Mensch dahinter bleibt mir fern. Wo ist der sensible Filmemacher, der in „Angst essen Seele auf“ (1974) so berührend das fragile Glück einer Arbeiterwitwe einfängt? Wo der Chronist der sozialen Konflikte, der in „Berlin Alexanderplatz“ (1980) ganze Epochen verdichtet hat? In „Enfant terrible“ ist davon wenig zu spüren. Hier regiert der Exzess, die Zerstörung, der kalkulierte Skandal.
Klar, Fassbinder selbst war ein Meister des Skandals. Vielleicht liegt hier Roehlers eigentlicher Witz: dass wir alle diesen Mythos brauchen. Dass wir heimlich genießen, wenn Fassbinder sich selbst zerfleischt. Vielleicht lacht der echte Fassbinder aus dem Jenseits über diese Inszenierung. Oder er würde das Kino stürmen und dem Regisseur die Kamera entreißen.
„Enfant terrible“ ist ein Film, der spaltet. Ein wilder Ritt, manchmal brillant, manchmal anstrengend – aber eindrucksvoll. Ich habe mich glänzend unterhalten – und ertappt gefühlt, wie sehr wir auf diese große Pose abfahren. Roehler hat ein schillerndes Denkmal geschaffen für einen Mann, der nie zur Ruhe kam. Bleibt für uns die Frage: Wollen wir wirklich die Wahrheit? Oder reicht uns das knallbunte Zerrbild eines Genies?
So oder so: Dieser Film ist heute als Geburtstagsgeschenk des WDR zum 80. wieder in der Mediathek. Ein schrilles Porträt, das seine Widersprüche feiert. Und falls Sie sich selbst ein Bild machen wollen, seien Sie wachsam. Denn Fassbinder selbst hätte diesen Film vermutlich in Grund und Boden verrissen – nur um dann leise zuzugeben, dass er ihm trotzdem sehr gefallen hat.
„Alles ist Film. Alles!“
ARTE.TV zeigt ebenfalls eine Auswahl von Fassbinders Filmen! >>
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 31.05.2025.
Spielfilm, Biopic, Deutschland, 2020, FSK: ab 16, Regie: Oskar Roehler, Drehbuch: Klaus Richter, Produktion: Markus Zimmer, Stefan Arndt, Uwe Schott, Musik: Martin Todsharow, Kamera: Carl-Friedrich Koschnick, Schnitt: Hansjörg Weißbrich, Mit: Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann, Erdal Yıldız, Désirée Nick, Jochen Schropp, Markus Hering, Frida-Lovisa Hamann, Anton Rattinger, Felix Hellmann, Lucas Gregorowicz, Eva Mattes, Sunnyi Melles, André Hennicke, Alexander Scheer, Ralf Richter, Götz Otto, Antoine Monot, Jr., Isolde Barth, Michael Klammer, Simon Böer, Meike Droste, Michael Ostrowski, Norbert Ghafouri, Detlef Bothe, Christian Berkel, Christian Bojidar, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Ivan Jurcevic, Thilo Prothmann, Roland Silbernagl, Barbara Köhler
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