Zu den Corona indizierten Privilegien meines Arbeitsplatzes im Homeoffice gehört es seit zwei Jahren, auch zwischen zwei Teams- oder Zoom-Meetings mal andere Dinge der Welt verfolgen zu können, während sie gerade passieren. Live und auf Phoenix. Heute morgen war mir die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vor dem Bundestag wichtig genug. Und es war (k)eine Sternstunde des Parlaments.
Ganz gleich, wie sie zu der Person des Präsidenten stehen, ganz gleich, wie sie die Inhalte seiner historischen Rede werten, die Tagesordnung des Bundestages degradierte sie zu einem Intermezzo, das sich die Abgeordneten ebenso in einer Plenumspause auf Youtube hätten ansehen können. Selenski bekam nicht etwa eine Antwort des Bundeskanzlers oder der Aussenministerin, allein Katrin Göring-Eckhardt als Sitzungspräsidin war es vorbehalten, wenigstens einige persönliche Worte im Anschluss an den Redner zu richten. Das hat sie durchaus angemessen und professionell erfüllt, bevor sie die Tagesordnung mit Geburtstagsglückwünschen an zwei Abgeordnete wieder aufgenommen hat.
Skandal! – Rief die Union…
An der Stelle brauchte ich erstmal einen weiteren Kaffee, bevor ich mir Friedrich Merz geben konnte, der genau diesen würdelosen Sachverhalt angeprangert hat – dabei aber vergessen hat zu erwähnen, dass auch die Unionsfraktion eben dieser Tagesordnung, welche seit zwei Tagen besprochen wurde, offenbar genau so zugestimmt hatte. Und damit war er dann so offen heuchlerisch unterwegs. Da bin ich dann lieber mit dem Hund in den Garten.
Nixdesdotrotz gab es in der folgenden Debatte zu einer Corona-Impfpflicht durchaus einen herausragenden Beitrag, der mich dann wieder annähernd mit diesem Bundestag versöhnen konnte.
Kennen sie Emilia Fester? Die junge Frau kommt aus Hamburg (B90/Die Grünen) und durfte zum Impf-Thema für einen Gruppenantrag ihre erste Rede überhaupt im höchsten deutschen Parlament halten. Schauen sie sich das an! Ich bin wahrlich kein Freund der Impfpflicht, doch konnte ich jedes Argument der jungen Grünen vollumfänglich nachvollziehen. Mir geht’s genau so – obwohl ich dreiunddreißig Jahre mehr auf dem Tacho habe. Und nicht nur das. Vor allem die Form ihres Vortrages – das war ein Slam auf einem Niveau wie ich ihn im Bundestag noch nie in Echtzeit verfolgen durfte – hat mich daheim im Kellerbüro stehend applaudieren lassen!
Dass „Milla“ Fester mit 23 Jahren die jüngste Abgeordnete im Bundestag dieser Legislatur ist, mag sie vor ihrer Rede heute schon für die ein oder andere Schlagzeile interessant gemacht haben. Nach dieser Rede muss mensch sie politisch und persönlich äusserst ernst nehmen. Ernster als ganz viele die schon im Parlament saßen, bevor sie überhaupt geboren wurde. Sehr viel ernster!
Gratulation & Respekt!