Wenn hier im Blog am selben Tag gleich mehrere Filme durchlaufen, die von verschiedenen Sendern, einem gemeinsamen Genre verbunden sind, dann ist das nicht unbedingt eine redaktionelle Entscheidung, sondern folgt nur dem Programm. Ich habe eben eine Schwäche für Science-Fiction-Filme, die nicht mit Spektakel überwältigen wollen, sondern in der Stille ihre Kraft suchen.
Auch „Last Contact“ (2023) unter der Regie von Tanel Toom, gehört zu dieser seltenen Sorte. Ein Film, der mehr fragt als beantwortet, der seine Zukunftsvision nicht in grellen Bildern, sondern in klaustrophobischen Räumen und menschlichen Blicken skizziert. Keine Explosion, sondern ein langsames Aufbrechen der Kontinentalplatten – und gerade das hat ihn so nachhaltig gemacht.
Tanel Toom, der estnische Regisseur, der mit seinem Oscar-nominierten Kurzfilm „The Confession“ (2010) erste internationale Aufmerksamkeit auf sich zog, beweist hier ein bemerkenswertes Gespür für Tempo, psychologischen Druck und emotionale Zwischentöne. Dass er auch das Drehbuch schrieb, spürt man in jedem Bild. „Last Contact“ wirkt wie ein sorgfältig orchestrierter Gedankengang, der nie aus der Hand gleitet.
Die Geschichte spielt in einer nahen Zukunft, in der unser Planet zunehmend unbewohnbar geworden ist. Ein Team unter militärischem Kommando lebt isoliert in einer abgelegenen Station auf See, genau zwischen den letzten beiden Kriegsparteien – ein letzter Kontaktpunkt zur Menschheit, oder vielleicht nur noch ein Echo davon? Als ein rätselhafter Funkspruch empfangen wird, beginnt eine leise, aber alles erschütternde Zerreißprobe: zwischen letzter Hoffnung und endloser Paranoia, zwischen Verantwortung und purer Selbsterhaltung.
Der Film atmet eine Kälte, die nicht (nur) vom Ozean kommt, sondern sich tief durch die zwischenmenschlichen Beziehungen zieht. Die Kamera – statisch, beobachtend, fast unbeteiligt – erzeugt den Eindruck von permanenter Überwachung. Nicht durch Technik, sondern durch das unausweichliche Zusammensein in diesem engen Raum. Die klaustrophobische Architektur der Station wirkt wie eine Verkörperung der inneren Zustände der Figuren: ein Labyrinth ohne Fluchtpunkt, ein Ort, an dem jedes Wort, jeder Blick Gewicht bekommt. Die absolute Paranoia.
Die Darsteller:innen bewältigen diese Enge mit beeindruckender Präzision. Kate Bosworth gelingt ein stilles, aber umso kraftvolleres Porträt einer Wissenschaftlerin, die an ihrer eigenen Rationalität zweifelt, ohne je ihre Würde zu verlieren. Ich habe sie selten so nuanciert gesehen. Ihre Zerrissenheit – zwischen Disziplin und emotionaler Sehnsucht – wird nie laut ausgespielt, sondern in kleinen Gesten verhandelt.
Lucien Laviscount („Emily in Paris“), überrascht in einer zutiefst ernsten und intensiven Rolle. Er bringt eine Emotionalität mit, die gerade deshalb so überzeugend wirkt, weil sie nie sentimental wird. Martin McCann, der in vielen britischen Produktionen (u.a. „The Frankenstein Chronicles“) bereits durch seine Ambivalenz auffiel, als instabiler Techniker, dessen Motive nie ganz klar werden. Alle Figuren, auch Thomas Kretschmann, als leitender Offizier, tragen ein Geheimnis – und wir blicken in diese Schattenräume hinein, ohne je vollständige Erleuchtung zu bekommen.
Was „Last Contact“ von anderen Filmen des Genres unterscheidet, ist seine sture Weigerung, sich der Logik klassischer Science-Fiction-Dramaturgien zu beugen. Es gibt keine klaren Gegner, keine technische Lösung, kein kathartisches Ende. Der Film erinnert mich in seiner Tonalität an Werke wie „Moon“ von Duncan Jones oder „Solaris“ – sowohl Tarkowskis (1972) als auch Soderberghs (2002) Version – nicht nur wegen des Settings, sondern wegen der existenziellen Fragen, die zwischen den Dialogen mitschwingen. Auch „Aniara“ (2018), der schwedisch/dänische Film von Pella Kågerman und Hugo Lilja, kommt mir in den Sinn: das Gefühl, dass der Weltraum nicht unendlich ist, sondern ein Spiegel für unsere eigene Unfähigkeit, mit uns selbst zu leben.
Toom geht es weniger um Antworten als um Atmosphären. Und gerade darin liegt die Stärke von „Last Contact“. Der Film verlässt sich auf das Publikum – darauf, dass wir bereit sind, Lücken zuzulassen, dass wir keine narrative Hand halten müssen. Die musikalische Untermalung ist spärlich, meist reduziert auf Klangflächen, die sich wie Nebel um die Szenen legen. Wenn Musik einsetzt, dann nicht zur Dramatisierung, sondern als Verstärker innerer Prozesse. Die Stille übertönt den Dialog.
Dass der Film ein kleines Budget hatte, ist spürbar – aber who cares? Im Gegenteil: Die Begrenzung ist ästhetische Strategie. Hut ab, vor solchen Filmemacher:innen! Keine digitalen Exzesse, keine Weltall-Schlachten, keine künstlich aufgeblasene Mythologie. Stattdessen eine verrostete Plattform mitten auf irgendeinem Ozean, Räume, die bewohnt wirken, Kostüme, die gebraucht aussehen, Technik, die weder retrofuturistisch noch hypermodern ist, sondern einfach pragmatisch. Der Minimalismus ist eine Haltung. Und genau diese Haltung macht den Film so besonders.
Was bleibt nach dem Abspann? Bei mir ein Gefühl von Melancholie, aber auch eine seltsame Art von Trost. „Last Contact“ zeigt eine Zukunft, die nicht dystopisch im klassischen Sinne ist, sondern resigniert. Eine Zukunft, in der die Hoffnung nicht gerettet werden kann, aber vielleicht noch ein Echo hinterlässt. Es ist kein hoffnungsloser Film – aber einer, der seine Hoffnung nicht einfach verschenkt.
Tanel Toom ist mit diesem Werk ein leiser, poetischer Science-Fiction-Film gelungen, der sich jeder einfachen Kategorisierung entzieht. Für mich ist „Last Contact“ kein Film, ihn laut zu feiern, sondern einer, der im Stillen wirkt.
Wie ein letzter Funkspruch aus der Dunkelheit.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 14.06.2025.
SciFi-Drama, Deutschland, Estland, Großbritannien, 2023, FSK: ab 16, Regie: Tanel Toom, Drehbuch: Malachi Smyth, Produktion: Ivo Felt, Jörg Bundschuh, Ben Pullen, Matthew James Wilkinson, Pippa Cross, Kamera: Mart Ratassepp, Schnitt: Tambet Tasuja, Mit: Kate Bosworth, Lucien Laviscount, Martin McCann, Thomas Kretschmann, Fediverse: @filmeundserien
Schreiben Sie einen Kommentar