Manchmal taucht eine Serie auf, die so intensiv, so anders, so kompromisslos daherkommt, dass wir glauben: Das könnte ein Wendepunkt sein. Und dann… bleibt es still. „Unbroken“, erschienen bereits 2021, war so ein Fall. Eine sechsteilige Miniserie, die auf ZDFneo kurz aufflammte, für Staunen sorgte – und bis heute keine echte Nachfolgerin im Programm gefunden hat. Sie blieb ein Solitär, der seitdem einsam in der Mediathek leuchtet.
Im Zentrum: Aylin Tezel, die wir noch als Nora Dalay aus Dortmund kennen. Doch in „Unbroken“ wirft sie diese Vergangenheit spürbar ab. Statt Routine gibt’s hier rohes, ungeschöntes Spiel. Ihre Figur – eine Kommissarin, die nach einem traumatischen Ereignis mit Erinnerungslücken und wachsendem Misstrauen kämpft – ist keine klassische Ermittlerin mehr. Sie ist ein Mensch im absoluten Ausnahmezustand.
Tezel zeigt in dieser Rolle endlich die Tiefe, die wir in ihrem bisherigen Fernsehschaffen eigentlich schon lange erahnen konnten. Jede Bewegung, jede Unsicherheit ist spürbar – sie spielt diese Frau nicht, sie ist Alexandra „Alex“ Enders. Und ja: Da frage ich mich unweigerlich, warum es für Schauspielerinnen dieser Klasse nicht mehr solcher Formate gibt. Oder vielmehr: warum das ZDF nicht weitergemacht hat.
Denn „Unbroken“ bleibt bis heute eine Art Ausreißer. Eine Serie, die etwas wagt – in Bildsprache, Tonalität und Erzähltempo. Und obwohl sie mit sechs Folgen abgeschlossen ist, bleibt nach dem Abspann ein Gefühl der Leere. Nicht, weil die Serie etwas vermissen lässt – sondern weil es seither keine ähnlich kompromisslose Produktion aus deutscher Feder gab. Jedenfalls nicht im ZDF.
Ich hätte mir den Stil und die Risikobereitschaft zum Beispiel sehr für „Katharina Tempel“ gewünscht. Eine erstklassig besetzte (Franziska Hartmann!) und eigentlich auch nicht schlecht geschriebene Reihe, die aber darunter leidet, nur sehr konservativ, fast schon vorsichtig ins Bild gesetzt zu werden.
International lässt sich „Unbroken“ irgendwo zwischen Serien wie „Marcella“ (ITV/Netflix), „The Fall“ (BBC) und „Sharp Objects“ (HBO) einordnen – Produktionen, die weibliche Protagonistinnen ins Zentrum stellen, die psychisch nicht unangetastet, aber gerade deshalb so faszinierend sind. Auch dort geht es weniger um den Fall an sich als um die seelischen Risse dahinter – genau wie hier.
Die Regie, Kamera und Musik tragen entscheidend zur dichten Atmosphäre bei. Kein hektischer Krimirhythmus, keine überzeichnete Action. Stattdessen eine leise, fast unheimliche Spannung, die auch mal bis in den Magen kriecht. Als wolle die Serie ihren Zuschauer:innen dasselbe zumuten wie ihrer Hauptfigur: sich der Wahrheit nicht zu entziehen.
„Unbroken“ war 2021 ein Hoffnungsschimmer auf mehr erzählerische Risikobereitschaft im öffentlich-rechtlichen Programm – leider bisher ein einmaliger. Aylin Tezel nutzt die Rolle als persönlichen Ausstieg aus dem Schema-F des deutschen Fernsehkrimis und zeigt, was schauspielerisch möglich ist, wenn nur mutig genug geschrieben, gecastet und inszeniert wird. Wer „Marcella“, „The Fall“ oder „Sharp Objects“ mochte, sollte hier unbedingt reinschauen – und fragen, warum das ZDF diesen Weg nicht weitergegangen ist.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 29.12.2023.
Thriller, Mini-Serie, 6 Episoden, Deutschland, 2021, FSK: ab 12; Regie: Andreas Senn, Drehbuch: Marc O. Seng, Andreas Linke, Produktion: Susanne Flor, Wolfgang Cimera, Musik: Florian Tessloff, Kamera: Leah Striker, Schnitt: Achim Seidel, Mit: Aylin Tezel, Özgür Karadeniz, Sebastian Zimmler, Karl Schaper, Sascha Nathan, Leslie Malton, André Jung, David Owe, Ulrich Cyran, Katharina Schmalenberg, Anton Weber, Bettina Engelhardt, Aleksandar Tesla, Christiano Papasimos, Moritz Führmann, Anja Nejarri, Alexandra Schalaudek, Caroline Hanke, Jürgen Hartmann, Thomas Kautenburger, Michael Keseroglu, Oliver Reinhard, Pierre Siegenthaler, Marc Fischer, Maxwell Richter, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF
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