Mein Falke – der neue Dominik Graf (2023)

Es gibt Regisseur:innen, bei denen ist Hinsehen Pflicht. Auch um nicht zu verpassen, welche nächsten Schritte sie gehen. Ein Film ist, im besten Falle, ja kein Standard-Produkt, sondern entspringt vielfältigen Entwicklungen. Da ist die Geschichte, das Buch, da sind Regisseur:innen, da sind Schauspieler:innen und die Zeit, für die ein Film schließlich steht. Bei Dominik Graf sind alle diese Dimensionen immer gleichermaßen spannend. Deshalb: „Hinsehen“, heute Abend (oder jetzt schon in der Mediathek).

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Die ARD (NDR) hat dem Film eine außergewöhnlich opulente Pressemappe spendiert. Darin auch ein lesenswertes Interview mit dem Regisseur. Hier nur ein Auszug:

Entzieht sich „Mein Falke“ jener Wahrscheinlichkeits- und Motivkrämerei, wie man sie in vielen Fernsehfilmen erlebt? Nichts Unvorhersehbares darf passieren, alles soll erklärt werden. Aber muss man die Dinge nicht auch einfach mal uneingeschränkt geschehen lassen?

Ja, ich finde nichts schöner, als mich in einem guten Film „lost“ zu fühlen. Freie Assoziationsketten fließen lassen zu können. Die Dramaturgie schlägt dann schon früh genug wieder zu.

„Mein Falke“ dauert 105 Minuten. Warum halten Sie sich hier nicht an das Gebot, wonach ein Fernsehfilm nicht länger als 90 Minuten sein soll?

Ich komme aus einer Zeit, in der „Tatorte“ und Fernsehfilme bei den Öffentlichen flexible Längen hatten. Nicht unbedingt drei Stunden, aber zumindest unterschiedliche. Ich sehe meine Filme fürs Fernsehen ebenso als „Filme“ an wie die „Spielfilme“, im Ernstfall ist auch „Mein Falke“ für mich fürs Kino gemacht, was mit einigen meiner TV-Arbeiten auch tatsächlich passiert ist. Es sind halt kleine, nicht so teure Filme. Film heißt immer, sie müssen sich selbst, ihren Figuren und ihrer Geschichte gehorchen, keine Konfektionslängen, keine seriellen Rücksichtnahmen. Manche sind mit 88 Minuten genau richtig, manche werden dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht.

Schon beim Lesen dieser Antworten Grafs war mir klar: den Film will ich sehen. Und ich werde damit nicht warten, bis er heute Abend bei ARTE oder in ein paar Wochen dann in der ARD läuft. Und so habe ich meinen Freitagvormittag in der Mediathek verbracht. Gute Entscheidung, wie sich zeigen sollte.

Es ist kein üblicher Freitagabendfilm, den man nach der Arbeitswoche nebenbei so wegguckt.

Hier zeigt sich, was möglich ist, wenn Geschichtenerzählerin Beate Langmaack und Regisseur eine gemeinsame Idee für einen Film, seine Figuren und seine, ja, Botschaft entwickeln können, ohne dass sie durch formatierte Sendeplätze oder Fließbandproduktionsbedingungen Kompromisse machen müssen. Und es zeigt auch, dass der Großmeister des deutschen Kriminalfilms längst schon auch ein Meister der kleinen Geschichten und ein Freund der Menschen ist. Wie schon seinen Film „Gesicht der Erinnerung“ – mit der hinreißenden Verena Altenberger, aus dem letzten Jahr, habe ich diesen Film heute nicht zum letzten Mal gesehen.

Das aufwendigste an „Mein Falke“ und seiner kleinen Geschichte, war, möglicherweise, das Team von drei echten Falken, die keine ganz unerhebliche Nebenrolle spielen durften. Der Rest aber, lebt ausschließlich von seinen Schauspieler:innen und der Zeit, die der Film sich nimmt. Keine Spezial-Effekte, keine aufwändigen Kulissen. Und kein Drama. Nebenbei werden zwar ein paar Todesfälle aufgeklärt und die Zwangsarbeit der Nazis im örtlichen Volkswagenwerk verhandelt…

Doch im Grunde geht es nur um die Unabhängigkeit einer Frau, die sie so nicht unbedingt gewollt hat. Es geht um Beziehungen – speziell die von zwei Frauen die vom Leben anderer quasi zusammengeführt werden. Es geht um Offenheit für andere. Und es geht um Verlust und um die Fähigkeit, das, was ein Mensch liebt, gehen lassen zu können. Ich musste, aus welchen Gründen auch immer, an den Song „If you love somebody, set them free…“ von Sting (1984) denken. Aber keine Sorge. Der kommt im Film nicht vor.

Mein Lieblingsdialog des Films ist tatsächlich ganz am Ende. Der bleibt hängen! Ich verrate nicht zu viel, wenn ich die Erzählerin (ganz wunderbar gespielt von Anne Ratte-Polle) zitiere:

„Netzwerke“, das ist wirklich die Vokabel des 21. Jahrhunderts. Die des 20. Jahrhunderts, war übrigens „Maschine“. Und dabei gibt es Netzwerke schon solange, wie es die Welt gibt. (…)

Stark ist das, ganz, ganz stark!


„Mein Falke“ (2023) – ist in der ARTE Mediathek verfügbar bis zum 30.01.2024

(ARTE zeigt den Film heute Abend um 20:15 und die ARD am 13. Dezember 2023 um 20:15 linear im TV)

Regie: Dominik Graf
Drehbuch: Beate Langmaack
Produktion: Jens Christian Susa, Provobis GmbH
Musik: Florian van Volxem, Sven Rossenbach
Kamera: Hendrik A. Kley

Mit: Anne Ratte-Polle, Jörg Gudzuhn, Olga von Luckwald, Catherine Chikosi, Bastian Hagen, Bernhard Conrad, Oliver Sauer, Harald Burmeister.



2 Antworten

  1. Avatar

    @mediathekperlen "Mein Falke" läuft noch und der FreitagabendARTEseherin gefällt der Film auch sehr gut. Coole Charaktere

    1. rhrwllnrtr

      @gretebrug: Ich habe den Film abends auch gleich nochmal gesehen. Und das war gut so!

      Was Dominik Graf dem Schauplatz Wolfsburg abgewinnen konnte, hat mich bei zweiten Sehen noch mehr beeindruckt, als beim ersten Mal. Die ganze Nebenhandlung der Zwangsarbeiter:innen unter den Nazis, die Geschichte von Volkswagen… damit hat die Lokation tatsächlich auch ganz erheblich die Geschichte und den Film geprägt.

      Richtig, richtig gutes Fernsehen!

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