WDR Heimatfilme – Ufos an der Abbruchkante

@SWeiermann gebührt der Dank für seinen Hinweis auf den Film vom WDR, „Eher fliegen hier UFOs“, der schon seit November bei der ARD in der Mediathek steht. Warum ich den Film von Ingo Haeb und Gina Wenzel damals übersehen habe, weiß ich nicht. Vielleicht war es die „Programmbegleitung“ der ARD? Vielleicht hatte ich anderes zu tun? Dumm wäre es gewesen, hätte ich den Film verpasst!

Vollmond und Schaufelradbagger. © WDR/Olaf Hirschberg

Anders, als der, ebenfalls im rheinischen Braunkohlerevier spielende ARD Tatort, ist ihr Film ein Langzeitprojekt, über, sage und schreibe fünf Jahre, entstanden. Tatsächlich eine fiktionalisierte Chronik über Menschen, die von der RWE Braunkohle bedroht, vertrieben und entwurzelt worden sind.

Während die Eskalationen um den Hambacher Forst und das Dorf Lützerath uns noch allen in guter Erinnerung sind, während die energiepolitischen und ökologischen Folgewirkungen der großen Politik uns noch Jahrzehnte oder länger beschäftigen werden, sind aber auch die zurückbleibenden Biographien der „kleinen Leute“ im Braunkohlerevier noch lange nicht zu Ende erzählt. Die Menschen sind ja noch da!

Der Film erzählt die Geschichte um die Familie Baumanns, die in Niersdorf lebt, einem Ort am Niederrhein, der in wenigen Jahren der Braunkohleförderung weichen soll. Marita Baumanns (Johanna Gastdorf) führt seit dem Tod ihres Mannes dort gemeinsam mit ihrem Schwager Claus (Markus John), dessen Frau Irene (Petra Nadolny) und deren Tochter Natalie (Merle Wasmuth) die ortsansässige, familieneigene Bäckerei fort. Die Baumanns wollen in Niersdorf bleiben, solange es geht – „bis der Bagger kommt“. Doch die Risse, die sich wegen der bevorstehenden Umsiedlung durch die Dorfgemeinschaft ziehen, erreichen zunächst den Betrieb und schließlich auch das scheinbar stabile Familiengefüge der Baumanns. „Eher fliegen hier UFOs“ erzählt von den Herausforderungen, vor die der Strukturwandel in Zeiten von Corona- und Energiekrise die Menschen stellt.

Der Autor Ingo Haeb hat ausgiebig über Jahre hinweg vor Ort rund um das Örtchen Keyenberg Alt (und Keyenberg Neu) recherchiert, Dabei ließ er sich von realen Ereignissen inspirieren. Auftakt der Geschichte ist der Abriss des Immerather Doms im Januar 2018, sie endet im Frühjahr 2022 mit Beginn des Ukrainekriegs. Maritas Geschichte im Film ist also mit den wahren und realen Begebenheiten der Weltgeschichte verknüpft.

Quelle: WDR Pressetext – 19.10.2023, 10.00 Uhr

Sich für eine solche Erzählung fünf Jahre Zeit zu nehmen, wie dieser Film, macht ihn so stark. Während die spektakulärsten Szenen, mit dem Abriss des Immerather Doms in Erkelenz schon gleich zu Beginn stehen, wird die Geschichte der Familie Baumanns und ihres fiktiven Örtchens Niersdorf (angelehnt an das reale Keyenberg), eher ganz leise erzählt. Und das, der kleine Strich, das Detail und die Authentizität, macht diesen Film so wertvoll.

Ganz wie schon „einer der besten Kölner Tatorte seit Menschengedenken“ (Judith von Sternburg, FR), „Abbruchkante“, nach einem Buch von Eva und Volker A. Zahn aus dem gleichen Jahr, hat der WDR es hier vermocht, wirklich auf der Höhe der Zeit, das beste der Spielfilm- und Krimi-Welten zu Dokumentation der realen Gegenwart und Geschichte in NRW zu machen. Auch diese Filme werden „altern“, doch auch nach Jahren oder Jahrzehnten werden sie selbst nach ungezählten Wiederholungen noch immer ihre „wahren Geschichten“ erzählen.

Es sind, im wahren und tatsächlichen Wortsinn, genau die Sorte „Heimatfilme“, für die wir öffentlich-rechtliches Fernsehen brauchen. Weil diese Filme sonst nie gemacht und die Geschichten sonst niemals erzählt würden.


Podcast: Tagebau-Heimatfilm: So entstand „Eher fliegen hier Ufos“

WDR 5 Morgenecho – Interview 08.11.2023 07:11 Min. Verfügbar bis 07.11.2024

Der Film erzählt die Geschichte einer Familie, deren Ort dem Braunkohle-Tagebau weichen soll. Autor und Co-Regisseur Ingo Haeb berichtet, wie die Dreharbeiten abliefen und wie die Menschen vor Ort auf den Film reagiert haben.


Eher fliegen hier Ufos – in der ARD Mediathek bis 12.11.2024 ∙ 20:15 Uhr

Drama, Deutschland, 2023
Regie: Gina Wenzel, Ingo Haeb,
Buch: Ingo Haeb
Produktion:
Ingmar Trost
Mit:
Johanna Gastdorf, Merle Wasmuth, Markus John, Petra Nadolny, Jürgen Rißmann, Aurel Manthei, Benjamin Hoeppner, Margit Laue, Ilse Strambowski, Gert Dahlheimer, Steffen Wil, Friederike Wagner, Jing Xiang, Liliom Lewald, Ingo Büttner, Romy Vreden


Tatort – Abbruchkante – in der ARD Mediathek bis 07.11.2024 ∙ 20:15 Uhr

Regie: Torsten C. Fischer
Drehbuch: Eva Zahn, Volker A. Zahn
Kamera: Alexander Pauckner, Olaf Hirschberg
Produktion: Jan Kruse
Musik: Olaf Didolff
Kamera: Theo Bierkens
Schnitt: Dora Vajda
Mit: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Barbara Nüsse, Lou Strenger, Peter Franke, Leonard Kunz, Jörn Hentschel, Daniela Wutte, Uta-Maria Schütze, Leopold von Verschuer, Ferhat Kaleli, Juliane Köhler, Tinka Fürst, Joe Bausch, Roland Riebeling


3 Antworten

  1. Avatar

    @mediathekperlen @SWeiermann Die Baumbesetzer kommen nicht gut weg

    1. Avatar

      @anpa2112 @mediathekperlen Die Szene ist natürlich sehr zugespitzt. Aber solche Konflikte gab es vor Ort oft. Real sind die Menschen aber oft besser miteinander ausgekommen, zumindest so wie ich es beobachtet habe.

      1. Avatar

        @SWeiermann @mediathekperlen Die Initiative "Alle Dörfer bleiben" geht auf Anregung eines Klimacamps zurück

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