Wenn Lars Becker und Armin Rohde zum Einschalten einladen, dann ist das gewöhnlich ein „Fernsehfilm der Woche“ im ZDF. Für mich ist es mehr als das. Weil es immer auch ein Programm-Highlight des ganzen Jahres ist, wenn es einen neuen Film von Becker gibt. Etwas, das so selten ist, ist kostbar. Hier ist es noch viel mehr. Es ist, ein Beweis, wie viel Kraft im Fernsehen liegen kann, wenn wir es ihm erlauben.
Im Januar hat Lars Becker, Autor und Regisseur einiger der großartigsten Krimis und Serien deutscher Fernsehgeschichte, seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert. Da ist das nachträgliche „Geschenk“ von ARTE und dem ZDF nur angemessen.
Und was wir da zu sehen bekommen, ist wieder einmal ein Meilenstein. Jedenfalls so weit es die künstlerische Symbiose zwischen Becker und seinem Hauptdarsteller Armin Rohde betrifft. Denn gemeinsam schreiben sie nun auch schon über 20 Jahre an ihrem Beitrag im Buch der deutschen TV-Geschichte. Eine Zusammenarbeit über so lange Zeit ist auch im Deutschen Fernsehen sehr, sehr selten.
Was 2003 mit „Nachtschicht“ als langlaufender TV-Serie (18 Folgen) begann, fand 2017 sozusagen eine kreative Ergänzung mit „Der gute Bulle“ – einer Reihe, die sich noch mehr ganz auf ihren Hauptdarsteller fokussiert, als die Ensembleserie aus dem Kriminaldauerdienst in Hamburg. Aus „Erichsen“ wurde „Schulz“ in Berlin. Und da, wo Erichsen früher seiner Crew als Anführer voranging, steht Schulz später als Einzelkämpfer eigentlich nur noch für sich.
Und wie Fredo Schulz da steht. Er ist ein gebrochenes Monument. Aber er ist eben ein Monument. Und er steht noch, solange, wie er eben noch stehen kann.
Von Beginn an war er kein einfacher Charakter. Aber immer einer, der mir, als seinem Publikum sehr nahe war. Auch, weil er vom Leben schon genug hatte. Krebs ist ein riesengroßes Arschloch. Nützt doch nichts, ihn gewinnen zu lassen und nicht weiterzumachen.
„Aufgeben ist keine Option. Jetzt kämpfst du um dich, Fredo.“
Armin Rohde ist einer, der solche Rollen ausfüllt, wie kaum ein anderer. Und Becker ist der Regisseur, der diesem Charakterboliden die Geschichten und das Umfeld gibt, die er braucht, um inzwischen tatsächlich seinen verdienten Platz im Olymp der deutschen Fernsehkommissare zu beanspruchen. Zum Helden taugt dieser nicht, doch als Mensch ist er einer der spannendsten, die ich kenne.
Im Grunde ist Rohdes Erichsen für mich ein legitimer Erbe von Horst Schimanski (Götz George). Ein Charakter, eine Rolle, die sich aus sich selbst heraus vermittelt. Alles Leid, alle schmutzigen Schicksalsschläge des Krimiuniversums können diesen Mann zwar niederschlagen, aber nicht verhindern, dass er wieder aufsteht. Das ist so tragisch, wie es episch ist.
Becker, (…) entfaltet immer dann eine geradezu kriminelle Energie, wenn er gebrochenen Charakteren auf dem Weg ins Dunkle folgt: den zwielichtigen Polizisten, den restmoralischen Verbrechern, den angeknacksten Alltagsmenschen dazwischen. Frei von Sozialkitsch, unterhaltungspädagogischer Zudringlichkeit oder der Gespreiztheit des sich als kulturell hochstehend nur Ausgebenden schafft Becker Filmkunst, die gesättigt ist mit Lebenserfahrung und dem Wissen um das Wesen der Menschen.
(Ursula Scheer, FAZ, 12.01.2024)
Gerade weil Lars Becker sich im Fernsehen so selten macht, gerade weil er sein „Long-Game“ immer einem verdichteten Serienkonzept vorgezogen hat, nutzt er sich nicht ab. Es gibt keine Gewöhnung an seine Figuren, dafür ist jeder Film, jede Folge, ein Solitär. Genau die richtige Strategie, um Unvergessliches zu schaffen. Eine große Karriere. Und große Kunst.
„Ein Bulle stirbt wie jeder andere.“
Ob das jetzt ein Nachruf auf Fredo Schulz, den guten Bullen war, das wissen wir nicht. Der Film lässt es jedenfalls offen. Ich selbst würde es lieben, Armin Rohde und Anica Dobra doch noch gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten zu sehen. Auch wenn das Leben meistens nicht so ist. Ob Becker für so etwas zu haben wäre, das wage ich nicht einmal zu vermuten. Doch wäre das ein Abschied, den die Reihe und diese besondere Figur sich eigentlich redlich verdient hätte.
(Nachträglich) Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 08.02.2024.
Krimi, Deutschland, 2024, FSK: ab 12, Regie & Drehbuch: Lars Becker, Produktion: Network Movie Film- und Fernsehproduktion, ZDF, ARTE, Produzent/-in: Wolfgang Cimera, Bettina Wente, Kamera: Alexander Sachs, Schnitt: Sanjeev Hathiramani, Musik: Stefan Wulff, Hinrich Dageför, Mit: Armin Rohde, Sabin Tambrea, Johann von Bülow, Nele Kiper, Sabrina Amali, Husam Chadat, Yasmina Djaballah, Mo Issa, Farba Dieng, Lena Kalisch, Nazmi Kirik, Anica Dobra, Sascha Reimann, Fediverse: @ArRo, @ZDF
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