Hier haben wir wieder einen Film, der so viel größer ist, als das Fernsehen. Mit einer (wahren) Geschichte, die uns bewusst machen könnte, wie klein die Welt eigentlich ist. Was bestimmt unsere Identität, wo sind wir zu Hause, wenn ein Leben buchstäblich aus verlorenen Spuren besteht und durch Zufälle bestimmt wird? Wenn sie die Geschichte dieses „Löwen“ gesehen haben, werden sie diesen Film nicht mehr vergessen.
In einer Blitzumfrage unter acht indischen Freund:innen gab es niemanden, der/die diesen Film nicht gesehen hat. Das liegt natürlich daran, dass Hauptdarsteller Dev Patel spätestens seit „Slumdog Millionär“ eine nationale Ikone für das Indische Kino ist, und jede seiner Produktionen, auch im fernen Hollywood mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt wird. „Lion“ trifft aber auch einen Nerv, weil er letztlich ein Film über Heimat, Herkunft und familiäre Verbindungen ist.
Für den Film ist es ein Segen, dass sein Stoff wahr ist. Wäre die Story fiktiv, man würde hier und da die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, so absurd würde Saroos vertrackte Suche samt einiger bitterer Rückschläge wirken. (…) In all seinen emotionalen Momenten bleibt „Lion“ hoch-intensiv. Das ist nie zu viel. So fühlt man sich beim Zusehen nicht peinlich, sondern ganz einfach berührt. „Lion“ ist ein Film zum Weinen.
Lion stellt die Frage, wie kulturelle Identitäten – vor allem in einer globalisierten Welt – uns auf unauslöschliche Weise formen und sich, sprichwörtlich, in unseren Knochen festsetzen, selbst wenn wir denken, dass wir sie haben ablegen können. Aber es geht auch um Verbindungen, die sich über Zeit und geistigen Raum hinaus erstrecken. Verlust, Erinnerung, Zufall, Glück, Familie, Liebe und Google – als Glücksmaschine.
Und wenn sie den Film durchhalten, ohne wenigstens eine Träne aus dem Augenwinkel wischen zu müssen, dann haben sie vielleicht ein echtes Empathie-Problem. Doch darüber zu richten steht mir nicht zu.
Was mir aber zusteht, weil es eben ein Teil meiner Identität ist, das ist meine Liebe für diesen Film. So groß kann Kino sein. So wahr können Geschichten sein. So „echt“ kann es sich anfühlen, für zwei Stunden vor der Leinwand zu sitzen und den Spuren des jungen Löwen, der zu einem Mann geworden ist, zu folgen.
„Man muss die Vergangenheit kennen, um in die Zukunft sehen zu können, sonst geht man verloren.“
(Saroo Brierley, zitiert von Verena Mayer, Süddeutsche Zeitung, 25.02.2017)
Der Film war für 6 Oscars nominiert.
Drama, USA, Großbritannien, Australien, 2016, FSK: ab 6
Regie: Garth Davis, Drehbuch: Luke Davies, nach dem Buch von Saroo Brierley, Produktion: Emile Sherman, Iain Canning, Angie Fielder, Musik: Volker Bertelmann, Dustin O’Halloran, Kamera: Greig Fraser, Schnitt: Alexandre de Franceschi, Mit: Dev Patel, Sunny Pawar, Nicole Kidman, David Wenham, Rooney Mara, Pallavi Sharda, Abhishek Bharate, Divian Ladwa, Priyanka Bose, Deepti Naval, Tannishtha Chatterjee, Nawazuddin Siddiqui
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