Den Hashtag #MeToo gab es noch nicht, als die Fox-News Journalistin Gretchen Carlson die Bombe hat zünden lassen, die Roger Ailes, den Chef des amerikanischen Kabel-Nachrichtensenders, noch kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen 2016 aus seinem Job katapultiert und das Imperium des Rupert Murdoch erschüttert hat.
Für im deutschen TV-Universum sozialisierte Zuschauer:innen ist es bis heute kaum nachvollziehbar, wie gravierend der Einfluss der Medien aus dem Imperium des Australiers Rupert Murdoch auf die Politik in den Staaten der Welt ist, in denen seine Zeitungen und TV-Sender nicht nur die publizistische Agenda, sondern häufig auch die Regierungen bestimmen.
Deutschland war immer zu klein für Murdoch, doch hat er auch bei uns seine Geschwister im Geiste, Verbündete und Nachahmer:innen. Denn auch das Geschäftsmodell, mit welchem Axel Springer seit 1952 seine Flagschiffe „Bild“ und „Welt“ in Deutschland aufgestellt hat, von Beginn an nicht nur darauf beschränkt, mit Journalismus maximalen Gewinn zu erzielen, sondern auch maximalen (politischen) Einfluss, war immer ganz dasselbe wie jenes des Australiers.
Döpfner, Reichelt, Bild-TV
Nur der Transfer des Konzeptes in die Rundfunkmedien ist dem Hamburger Verleger und auch seinem vorerst letzten Epigonen Mathias Döpfner nie gelungen. Denn dort, wo Murdoch als TV-Veranstalter Milliarden verdient hat, außer in Deutschland, hier hat er mit Premiere/Sky ein paar dieser Milliarden verbrannt, musste die Axel-Springer-SE im Fernsehen eigentlich immer draufzahlen – und deshalb, wie zuletzt bei dem Versuch, seine Marke „Bild-TV“ im linearen Fernsehen zu platzieren, mit herben Rückschlägen in ihren Bilanzen zurechtkommen.
Wobei ein Grund für den letzten dieser Rückschläge sicherlich auch in dem ehemaligen Chefredakteur der Bildzeitung und Chef des TV-Ablegers gelegen hat, der, ganz wie sein Fox-News-Gegenstück Roger Ailes durch seinen ganz eigenen #MeToo Skandal seinen Job verlor. Da war für die amerikanischen Springer-Aktionäre offensichtlich ihre Toleranzschwelle überschritten.
Journalismus = Geld = Macht
Mit Journalismus (und damit Geld zu verdienen) hat all das, was wir dort sehen und gesehen haben, weit weniger zu tun, als mit Macht. Dem Streben nach Macht und dem Missbrauch. Geld überträgt sich in politische Macht und politische Macht in Geld. Das war schon vor der Erfindung des Kapitalismus immer so. Und die Macht über Individuen geht damit immer Hand in Hand. Die Macht von Männern über Frauen sowieso.
„Bombshell“ erschien 2019, drei Jahre nach dem Abgang von Roger Ailes bei Fox. Der Film – ohnehin nur eine verdichte und deshalb natürlich verkürzte Erzählung – wurde seither also schon mehrfach von der Wirklichkeit überholt.
Denn der Skandal bei Fox-News war weit größer und strukturell weit tiefer, als nur in der Person Ailes begründet. Gerade aber dessen Person und seinem jahrzehntelangen politischen Kreuzzug auf der amerikanischen Rechten gibt die Mini-Serie „The Loudest Voice“ (2019) weit mehr Raum, als dieser Film.
Auch die Frauen, die im Film, unter anderen, von den wirklich überragenden Nicole Kidman (als Gretchen Carlson) und Charlize Theron (Megyn Kelly), verkörpert werden, haben in ihren jeweiligen professionellen Karrieren seither sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen.
Kelly, die nach ihrem Ausscheiden bei Fox und einigen missglückten Neustarts bei NBC, heute als Podcasterin wieder als MAGA-Apologetin unterwegs ist, taugt so leider nicht wirklich zu einer Heldin der emanzipatorischen Frauenbewegung. Ihre Kollegin Carlson dagegen hat sich tatsächlich so weit vom Fox-Universum und seiner Zielgruppe emanzipiert, dass sie inzwischen wieder als seriöse Journalistin wahrgenommen wird (CNN), die ihr Profil als unabhängige Kommentatorin pflegt.
Nichtsdestotrotz ist „Bombshell“, bei allen Schwächen und dem zeitlichen Verzug zur Gegenwart, noch immer ein ziemlich großer und weiterhin überaus aktueller Film. Schauspielerisch ein Höhepunkt für Charlize Theron, Nicole Kidman und Margot Robbie. John Lithgow hat sich hier selbst ein Denkmal gesetzt, denn sein Roger Ailes ist nicht nur durch seine überragende Maske, für die der Film einen Oscar gewann, sondern vor allem auch durch den abgrundtiefen Charakter seiner Darstellung eine wirklich angsteinflößende und abstoßende Verkörperung des „Bösen“. Den Vergleich mit Russell Crowe in „The Loudest Voice“ gewinnt er um Längen.
Das hat Shakespeare Niveau.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 12.10.2024
Drama, USA, 2019, FSK: ab 12, Regie: Jay Roach, Drehbuch: Charles Randolph, Produktion: A. J. Dix, Aaron L. Gilbert, Beth Kono, Charles Randolph, Margaret Riley, Jay Roach, Robert Graf, Michelle Graham, Charlize Theron, Musik: Theodore Shapiro, Kamera: Barry Ackroyd, Schnitt: Jon Poll, Mit: Nicole Kidman, Charlize Theron, John Lithgow, Margot Robbie, Allison Janney, Kate McKinnon, Malcolm McDowell, Mark Duplass, Alice Eve, Brigette Lundy-Paine, Alanna Ubach, Elisabeth Röhm, Spencer Garrett, Liv Hewson, Connie Britton, Ashley Greene, @3sat
Schreiben Sie einen Kommentar