Sie können mir erzählen, was Sie wollen. Ich halte Kristen Stewart für die derzeitig aufregendste Frau im (amerikanischen) Filmgeschäft. Vielleicht weil sie mir schon 2002 das erste Mal an der Seite von Jodie Foster aufgefallen ist – und da war sie eigentlich noch ein Kind. Ich sehe in ihr jedenfalls eine würdige Nachfolgerin eben jener meiner persönlichen Filmgöttinen.
Derzeit haben Sie eine tatsächlich goldene Gelegenheit, sie in gleich zwei Produktionen in der ARD-Mediathek zu erleben, die fast gegensätzlicher nicht sein können, obwohl sie beide aus dem Leben einmal realer Frauen erzählen. Zwischen der feministischen amerikanischen Film-Ikone Jean Seberg und der ehemaligen Kindergärtnerin Diana Spencer, die einmal Prinzessin von Wales werden sollte, liegen weit mehr als nur ein Ozean und eine ganze Generation. Für Frau Stewart ein Geschenk, ihre Kunst in ihrer ganzen Bandbreite zu demonstrieren.
„Spencer“ (2021)
Das royale Stück über ein Weihnachtswochenende der Ehefrau des Kronprinzen, ist von der Natur seiner Geschichte eigentlich ein Film, den ich mir wohl nie angesehen hätte, würde eben jene Frau nicht ausgerechnet von Stewart gespielt. Monarchien sind mir fremd, da fällt mir der Zugang zu ihren Protagonist:innen einfach schwer.
How Kristen Stewart Became Her Generation’s Most Interesting Movie Star.
The actor’s naturalistic style is captivating to some and inscrutable to others. As Princess Diana in “Spencer,” she takes on the biggest role of her career.
Doch was die freigeistige Frau aus Kalifornien aus dieser Rolle macht, ist sehenswert, eben weil sie und ihre öffentliche Person, eigentlich den größtmöglichen Kontrast zu eben dieser darstellt. Nicht nur gesellschaftlich, sozial, kulturell und ja, auch in der Sprache, könnten die Schauspielerin und ihre Rolle wohl kaum weiter auseinander liegen. Schauen Sie, wenn Sie können, deshalb die Originalversion!
Nur dafür und nur für sie, ist der Film, ein „Kostümstück“ gedreht unter anderem auch in Nordkirchen und Dülmen (beide Links zu GoogleMaps) im südlichen Münsterland – und damit in meinem Vorgarten – wirklich sehenswert.
„Seberg“ (2019)
Bei „Seberg“ lag der Fall damals für mich tatsächlich ganz anders. Denn diese Frau hat, als ich sie vor vier oder fünf Jahrzehnten in Jean-Luc Godards, damals mein Leben veränderten, Belmondo-Thriller „Außer Atem“ (1960) gesehen habe, einen ganz besonderen Platz in meinem Filmgedächtnis. Auf mich, als Teenager hatte dieser Film, der bereits fünf Jahre vor meiner Geburt erschienen ist, noch anderthalb Jahrzehnte später tatsächlich einen tiefen Effekt. Nicht nur meine Liebe zum Kino, zu den Künstler:innen, sondern auch mein Bild von Filmfrauen wurde dort wohl für alle Zeiten mit geprägt.
Deshalb war ich auf „Seberg“ gespannt, seit ich nur davon gehört hatte, dass Kristen Stewart diese besondere Schauspielerin in einem Biopic verkörpern sollte, die ein Jahr vor Stewarts Geburt unter ungeklärten Umständen in Paris gestorben ist.
Für mich hat Stewart diese Rolle grandios verkörpert. Eben, weil sie immer wiedererkennbar blieb. Es ist ganz allein ihr Film.
„Ihr Spiel ist es, woran man sich in Seberg erinnert, nicht seine etwas zu ausgestellt wirkenden Dekors: Sie macht Seberg zu einem Film aus dem Hier und Jetzt.“
Die Geschichte allein ist eigentlich ein Polit-Thriller, der zwischen Hollywood und Frankreich, der Black-Power Bürgerrechtsbewegung und ihrer Verfolgung durch das faschistische FBI unter J. Edgar Hoover von einer Frau erzählt, die schon auf der richtigen Seite der Geschichte stand, lange bevor es für Hollywood opportun wurde, auch politisch Stellung zu beziehen und Verantwortung für die Erringung und Verteidigung von Menschen- und Bürger:innenrechten zu übernehmen.
Frau Seberg stand in einer langen Reihe von Kämpfer:innen gegen schwarze Listen der Studios, Verfolgung und dem Boykott durch die Industrie. Sie hat den Widerstand persönlich genommen und zu ihrer ureigenen Sache gemacht. So wurde sie noch zu einem der letzten Oper der McCarthy-Ära, als diese eigentlich schon lange als überwunden galt.
Wie aufregend kann ein einzelnes Leben sein? Wie kann so eine Geschichte nicht in einem Film erzählt werden? Wie konnte es bis 2018 dauern, dass sich ein Studio fand, diesem Film zu finanzieren? Wie konnte dazu kommen, dass ausgerechnet Amazon diesen Film produzieren würde?
Viele Fragen. Ich finde, sie sind es wert, nochmal darüber nachzudenken. Weil Geschichte sich nicht wiederholt, aber reimt.
Der Film, einmal abgesehen von der Leistung Frau Stewarts und auch ihrer Kollegen Anthony Mackie und Jack O’Connell, ist leider kein Meisterwerk über das wir noch lange sprechen werden müssen. Die Inszenierung ist routiniert, da gibt es fast nichts zu meckern, die Frage nach „Spannung“ stellt sich ja in einer Geschichte, von der wir wissen, wie sie ausgeht, schon von vorneherein anders als in der Fiktion. Ein besseres Buch und vor allem Dialoge hätten dem Film allerdings wirklich gutgetan. Diese sind auch im Original bedauerlicherweise mitunter genauso im Klischee gefangen, wie in der deutschen Synchronisation. Gleich sieben Produzent:innen waren für den Film offensichtlich ein paar zu viele.
Wenn Sie Frau Stewart mögen, sollten Sie keinen Augenblick zögern, diesen Film zu sehen. Sie und die (wahre) Geschichte sind Grund und eigentlich wichtig genug.
Wenn Sie von ihr bisher noch nicht überzeugt sind, dann empfehle ich allerdings aus vollstem Herzen, statt dessen mit „Love Lies Bleeding“ (2024) (Queer.de) zu beginnen. Der Film hat mich vor dem Bildschirm gefesselt, geboxt und umgehauen, wie ganz lange nichts.
Vielleicht finden Sie dafür ja einen Streaming-Service, der ihr Vertrauen verdient.
Drama, Bio-Pic, USA, 2019, FSK: ab 12, Regie: Benedict Andrews, Buch: Joe Shrapnel, Anna Waterhouse, Produktion: Marina Acton, Fred Berger, Kate Garwood, Stephen Hopkins, Brian Kavanaugh-Jones, Bradley Pilz, Alan Ritchson, Musik: Jed Kurzel, Kamera: Rachel Morrison, Schnitt: Pamela Martin, Mit: Kristen Stewart, Jack O’Connell, Anthony Mackie, Zazie Beetz, Vince Vaughn, Stephen Root, James Jordan, Jade Pettyjohn, Margaret Qualley, Colm Meaney
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